Carl Maria von Weber’s Euryanthe. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Oper, von Helmina v. Chezy, geb. Freiin Klencke, 1840, Teil 3/9
Carl Maria von Weber’s Euryanthe.
(Fortsetzung.)
Weber’s Auswahl des Stoffes der Euryanthe war mir um so willkommener, als ich mich innerlich so oft damit beschäftigt und stets gewünscht hatte, ihn poetisch zu bearbeiten. Es war auch schon von 1810 ein Anfang da, den ich liegen lassen mußte, weil die Pflege meiner Kinder mir keine Muße zur Combination eines Planes, noch zu sorgfältiger Ausführung ließ. Lieder kamen von selbst, die durft’ ich nur aufschreiben.
Bei der Bearbeitung für Weber wollte ich mich streng an die Novelle halten, nur statt der alten Hofmeisterin Hondrée (Hundrieth), die Euryanthe verrieth, Eglantine einflechten; die kommt in der Novelle, jedoch später, und im Conflict mit Euryanthen vor. Lysiarts Erklärung und Versuch, Euryanthe für seine Liebe zu gewinnen, die ich für höchst effectvoll und dramatisch hielt, verwarf Weber, ich glaube sie hätte bleiben sollen, denn nicht sowohl würden Euryanthe und Lysiart dadurch eine‡ reichhaltigeren Part bekommen haben, sondern das Publicum würde verstehen, warum Lysiart verzweifelnd in den Burggarten herausstürzt? Die Scene war gedichtet, doch Weber las sie nicht einmal. Ludwigs Königin wollte ich in die Handlung hineinziehn. „Nein,“ sagte Weber, „die muß wegbleiben, die interessirt keinen Menschen.“ Ich wollte den Schluß der Novelle treulich beibehalten. „Nicht doch!“ sprach Weber, „Turniere, Gottesgerichte, die gibts zum Uebermaß auf den Brettern, wir müssen was Neues bringen!“ Ich kann mir nicht versagen, aus meinem ersten Scenariumsentwurf diesen Schluß darzulegen:
III. Act. Kampfplatz mit Gerüsten, die sich nach und ¦ nach mit Menschen füllen, der Herold tritt auf, die Ritter versammeln sich, man erblickt einen Ritter (Gerhard) mit festgeschlossenem Visier in schwarzer Rüstung, dann Graf Montfort, Alos, den Herzog von Burgund.
Der Herold verkündet, daß König Ludwig ein Gottesgericht zu Euryanthes Ehrenrettung verstatte, wenn sich für sie ein Kämpfer fände, — sie solle, wenn ihr Ritter unterliegt, den Tod der Verbrecherin leiden, wie sie es selbst, im Vertrauen auf ihre Unschuld und die göttliche Gerechtigkeit, begehrt.
Der Herzog von Burgund, die Grafen Alos, Montfort und der schwarze Ritter treten zugleich hervor, jeder will für Euryanthe kämpfen.
Das Loos entscheidet für den schwarzen Ritter.
Die Königin und ihre Damen erscheinen, und lassen sich auf die für sie bereiteten Sitze nieder.
Euryanthe, ganz von Trauerflören umwallt, dicht verschleiert, wird herbeigeführt; sie erblickend, neigt sich der schwarze Ritter vor ihr auf ein Knie, und verlangt ihren Segen, als Weihe zum Kampf.
Eglantine stürzt herbei, von Reue durchdrungen, sie will Alles gestehen, Lysiart stürmt zum Kampfe, jedes Geständinß verhindernd. Er fällt, und bekennt im Sterben seine Schuld. Gerhard schlägt den Helmsturz auf, Euryanthe fliegt an seine Brust. Die Liebenden verzeihen Eglantinen, Wonne und Jubel der Versammlung. Schluß.
Weber sagte: „Wenn die Leute das Ende eines Stückes wittern, so greifen sie schon alle nach Shwals und Hüten, und wollen weg, das möcht ich hindern! Euryanthe soll für todt gehalten werden. Kann sie nicht vom Pferde gestürzt sein? das gibt mir einen schönen musikalischen Effect am Schluße, und vermehrt Gerhard’s Reue!“ |
Ich willigte sehr ungern ein.
Wegen meines Entwurfs bemerkte noch unter andern Weber: „Es ist nichts mit den vielen Personen, wir können nur 5 handelnde Personen aufstellen, denn die Euryanthe muß über alle Bühnen gehn. Es gibt deren viele, wo man mit knapper Noth einen Sopran, einen zweiten Sopran, einen Baß, einen Tenor und einen Bariton zusammenbringt. Mit dem Pomp müssen wir es so einrichten, daß man ihn in Fülle anbringen, aber daß man ihn auch weglassen kann. Bei kleinen Theatern schmeißt man dann den Spektakel weg.“
Nach einigen Tagen brachte mir Weber folgendes Scenarium, es war großentheils nach meinem eignen Entwurf, nur mit genauer Bezeichnung der Musikstücke, geschrieben, und von meinem Schluß wollte der Componist nichts wissen, und hatte ihn nach eignem Wunsch gestaltet.
Scenarium zur Euryanthe. (Treu nach Weber’s Originalentwurf abgeschrieben.)
- 1. Introduction. — Fest bei Hofe. Tanz mit Chor.
Preis der Künste &c., der König fordert Gerhard auf. Hymne zum Preis seiner Schönen. Beifalls-Chor. Lysiart höhnt &c., heftiger Wortwechsel, der König mischt sich drein, entläßt die Tänzer &c., vermittelt &c., die Wette wird beschworen. Alle ab. - 2te Scene. Garten vor dem Schlosse. Euryanthe allein.
- 2. Arie, Sehnsucht, Liebe, Andacht.
- 3te Scene. Eglantine dazu.
- 3. Duetto. Freundschaft, fröhliche Hoffnung. Eglantine ab.
- 4te Scene. Lysiart mit Rittern. Bewillkommungschor.
- 4. Nr. 6
- 5te Scene. Nr. 7.
- 5. Aria. Bosheit, Rachsucht, Wuth. Lysiart allein.
- 6te Scene. Eglantine.
- 6. Duetto. Verderben-brüten, Rachegejubel.
- 7te Scene. Hof.
- 7. Aria. Gerhard. Vertrauen, sorgloses, auf Liebe.
- 8. Finale. Einzug der Euryanthe. Gerhard ruft den Hof herbei. Anklage des Lysiart &c. &c.
- Zweiter Act.
- 1te Scene. 1. Duett. Einöde. Die Liebenden erschöpft. Er übergibt sie Gottes Gericht, schildert ihr die höchste Verzweiflung, in die sie ihn gestürzt. Sie voll Ruhe und Liebe, betheuert ihre Unschuld.
- 2te Scene. Sie geht, sich am Quell zu laben. Er sinkt erschöpft zu Boden.
- 3te Scene. Sie stürzt herbei. Er soll sich retten. Er geht das Ungeheuer zu bekämpfen. ¦
- 4te Scene. 2. Arie. Euryanthe sieht den Kampf, er verläßt sie, aus der Ferne ihr Abschied winkend.
- Scene und Arie. Euryanthe allein. Verzweiflung, die sich in Gottergebung auflöst, in völliger Ermattung ersterbend. — Ritornell. Die Morgenröthe steigt empor. Jagdsignale von Ferne, immer näher. Der König mit Gefolge finden Euryanthe, er will sie mit sich nehmen, sie verweigert es. Sie beschwört ihre Unschuld, er faßt Vertrauen, und gelobt ihr nicht eher zu rasten, bis Gerhard gefunden und sie mit ihm versöhnt sei.
- Arie und Duett mit Chor. Ihr wonnevolles Entzücken der Hoffnung, Trost- und Muth-einsprechen des Chors. (ab).
- Chor mit Solo’s. Tanz?
Mädchenchor, Festesfreude.
Erinnerungs-Wehmuth.
Gerhard kommt als Pilger. - Cavatine, des Schmerzes. Die Mädchen, die sich zurückgezogen haben, kommen theilnehmend näher, freudiges Erkennen. Alle betheuern ihm der Geliebten Unschuld. Er wankt in seinem Glauben, da sieht er Lysiart &c. nahen, alles verbirgt sich in der Hütte.
- Lysiart von Eglantine verfolgt.
- Terzett mit Chor. Gerhard belauscht sie, stürzt hervor, beschimpft Lysiart, dieser ruft seine Knechte herbei, den frechen Fremdling zu ergreifen. Gerhard gibt sich zu erkennen. Alles sinkt ihm huldigend zu Füßen und tritt dan mächtig auf seine Seite, Lysiart entgegen. Gerhard, zu edel von der Uebermacht Gebrauch zu machen, fordert ihn zum Gotteskampf.
- Finale. Da erscheint der König ohne Euryanthe, die mit dem Pferde gestürzt ist. Eglantine gesteht. Euryanthe wird ohnmächtig herbeigetragen. Gerhard stürzt ihr zu Füßen, sie schlägt die Augen auf, ist glücklich.
- Das für Lysiart angeordnete Fest beschließt für Gerhard gefeiert das Ganze.
- NB. Soll Lysiart die Eglantine ermorden, oder sie ihn? oder was geschieht mit Beiden?
Apparat
Zusammenfassung
Helmina von Chezy über die Entstehung der Euryanthe, Teil 3/9
Entstehung
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Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Charlene Jakob
Überlieferung
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Textzeuge: Neue Zeitschrift für Musik, Bd. 13, Jg. 7, Nr. 3 (8. Juli 1840), S. 9–10