Carl Maria von Weber’s Euryanthe. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Oper, von Helmina v. Chezy, geb. Freiin Klencke, 1840, Teil 9/9

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Carl Maria von Weber’s Euryanthe.

(Schluß.)

So wie ich nach Dresden zurückkam, übergab mir C. M. v. Weber ein Scenarium der Katastrophe, wie er es nun schließlich wünschte. Ich schritt baldigst, und recht zu seiner Zufriedenheit zur Vollendung, und gab ihm seinen Entwurf zurück.

Zu jener Zeit besuchte die Königin Carolina von Baiern, an der Seite Joseph Maximilians und der durchl. königl. Prinzessinnen das geliebte Dresden. Diese erhabene Freundin des Schönen, so wie Ihr königl. Gemahl bezeigten den ehrenvollsten Antheil für unser Werk: „Ich freue mich, es in München aufgeführt zu sehen, und möge uns die Dichterin zugleich besuchen“, sagte mir der huldvolle Monarch. — So heiter, freundlich lächelnd mit Aug‘ und Mund, so leuchtend von Gesundheit und Kraft stand Er vor mir! Ach, und nur seine Gruft fand ich in München. —

Ich versammelte einen auserlesenen Kreis, der die Euryanthe zu hören wünschte; ich hatte Weber’n zuvor gefragt, ob es ihm auch nicht unlieb sei; er wollte es mir nicht abschlagen, allein es war ihm nicht angenehm, und auch die neue Erscheinung der Novelle, um welche mich Gubitz für die Vereinsbuchhandlung ersucht, mißbehagte ihm, weil er darüber seine eigene Ansicht hatte, die auch bereits in einem seiner Briefe ausgesprochen ist. Noch heute kann ich diese Ansicht nicht theilen, die Euryanthe blieb ganz neu, so lange kein Hauch von der Musik ausduftete. Im Allgemeinen werden Opern durch die Textbücher meist noch vor der Aufführung in allen ihren Bestandtheilen bekannt; und nie zu ihrem Nachtheil. Noch immer habe ich gesehen, daß Opern ¦ eingänglicher wurden, und mehr gefielen, je ausschließlicher sich Antheil und Aufmerksamkeit des schon mit dem Text vertrauten Publicums auf die Musik allein lenken konnten. Bei alle dem würde ich bei diesem Punct, und späterhin bei andern, Weber’s Wünschen und Ansichten entgegengekommen sein, wenn ich seine überaus tiefe Verletzlichkeit besser gekannt und erwogen hätte.

Der leidende Zustand meines ältesten Sohnes, für den die erfahrensten Aerzte als einzig heilsam Seebäder, oder Schwefelquellen verordneten, zwang uns, nach Baden bei Wien zu gehen. Diese Reise traf mit der Vollendung der Arbeit des werthen Meisters, und mit seiner eigenen nach Wien zusammen. Damals stand die italienische Oper in Wien in voller Blüthe. Weber’s neustes Werk, Euryanthe, war in diesen Taumel mit seiner Strenge, seiner ethischen Schönheit und genialen Tiefe hineingestürmt, wie ein zürnender Cherub mit dem Flammenschwert, es hatte erschreckt statt zu entzücken, geblendet statt zu strahlen, die Wiener lauschten noch mit eingelullten Sinnen nach den italienischen Syrenenklängen; der Musen Lied war ihnen zu keusch, großartig und strenge. Da nun der Erfolg durchaus nicht den gespannten Erwartungen entsprach, die ihm entgegen gesehen, mußte es der Text sein, auf welchen die Schuld geladen wurde. Eine Fraction der sonst so harmlos heitern, gemüthlichen Ludlamshöhle glaubte sich Weber’s anzunehmen, indem sie das Opernbuch heruntersetzte: „Er hätte diesen Text nicht wählen sollen!“ *) Nicht anders als | wäre eine Dichtung, an welcher zwei Jahre lang gearbeitet worden, ein auf den Kauf fabricirtes Libretto gewesen, das Weber zu schlimmer Stunde blind weg erhandelt! Die Nämlichen sprachen so, gegen welche er oft geäußert:

„Er wollte keine Sylbe und keinen Ton von der Euryanthe aufgeben“.

„Er halte die Euryanthe für die schönste deutsche Operndichtung“.

„Er habe in gewissem Sinne so viel Antheil an dem Texte, als die Dichterin“.

Uebrigens war auch die Besetzung der Oper nicht günstig. Für die schwer zu überwindenden Schwierigkeiten der Euryanthe war Henriette Sonntag noch zu sehr Knospe, für eine Eglantine Mad. Grünbaum schon zu lange Rose. Haitzinger war auf der Bühne noch nicht heimisch, Seigelt klagte, sein Part sei unbedeutend; nur Forti als Lysiart, und die Chöre, durch die vorausgegangene unübertreffliche Einübung der Choristen, die bei der italienischen Oper mitgewirkt hatten, ernteten vollen Beifall ein. Castelli meinte, die Oper sei funfzig Jahre zu früh gekommen, doch schon die nächsten Jahre brachten Vergeltung. Ueberall in ganz Deutschland, auf den glänzendsten Bühnen, erlebte noch der edle Meister den Triumph seines Werkes *) . Seit Weber’s Hinscheiden ¦ hat Minna Schröder-Devrient, so wie auch Haitzinger am Strand der Seine, wie der Themse den blühendsten Kranz des Ruhms als Euryanthe, als Adolar errungen *) . Wo lebt ein großer Meister, eine wahre Sangeskünstlerin, ein herrlicher Sänger, den diese Töne nicht begeistert? Wie selten wird in London, Paris, überall wo die leuchtenden Tempel der Kunst prangen, ein erlesener Musikgenuß bereitet, ohne eine Production aus der Euryanthe? Diese Tondichtung ist, wie die Rose, die in keinem Kranze fehlen darf **) . Selbst durch neuere Operndichtungen, die zu den glänzendsten gehören, ist der Sinn für diese besser erschlossen, tiefer geweckt worden. Es wurde durch sie der musikalischen Romantik eine neue Bahn gebrochen, doch nicht Alle, die sich auf diese hingewagt, erreichten ihren großen Vorgänger, Carl Maria v. Weber! —

H. v. Chezy, geb. Freiin Klencke.

Nachträgliche Bemerkung.

In einem Münchner Zeitbl., der Bairische Landbote, wurden kürzlich Hrn. Hofrath v. Küstner von einem Correspondenten Vorwürfe wegen Bestellung einer Oper beim Operndichter Hrn. St. Georges in Paris gemacht, worüber der königl. Hoftheater-Intendant für angemessen fand, Aufschlüsse zu geben. Dieses kleine Federscharmützel endete mit einer Gegenantwort des ungekannten Correspondenten, und einer nur allzugerechten Klage über die Hintansetzung deutscher Operndichter Rücksichts des Ho|norars von den Theaterdirectionen. Um diese Klage gerecht führen und erörtern zu können, müßte vor allem berücksichtig werden, daß Deutschland keinen Centralpunct aufzuweisen hat, wie Frankreich und England, ferner, daß in Deutschland auch der herrlichste Componist nicht reich wird, daß zu noch ungünstigeren Zeiten Mozart arm gestorben, und daß jetzt Chelard in Baiern, nachdem ihm die unwürdigste Cabale Paris verleidet hatte, nur Salz und Brot fand, nur durch den Zudrang des Publicums für die Bitterkeit seines Looses getröstet und entschädigt wurde u. s. w. Dichter und Dichterinnen aber können ganz ungestört und unbeachtet in deutschen Landen verhungern, wenigstens im Elend leben, im Gegentheil, die Gemeinheit ergötzt sich an ihrer Noth — sie sind gewissermaßen Paria’s, vogelfrei, werden weder von Theaterdirectionen, noch Verlegern einer Rücksicht würdig gehalten, noch von Monarchen königlich belohnt, noch vom Publicum mit erhebender Theilnahme emporgehalten. Warum auch dichten sie mit der Seele, statt mit den Füßen oder mit der Kehle? Uns ist eine Stadt bekannt, wo die Opernsängerin L—r nicht blos vom Publicum etliche 40 Kränze, sondern von einer höchsten Person Juwelen von unschätzbarem Werth erhielt, indeß eine gefühlvolle, allgemein ansprechende Dichtung für dieselbe kaum berücksichtig wurde. Ainsi va le monde!

H. v. C.

[Originale Fußnoten]

  • *) Selbst Göthe soll gesagt haben, die Euryanthe sei ein schlechter Stoff; es steht in Eckermann’s Gesprächen mit Göthe, und ich setz‘ es zur Ergänzung der Geschichte dieser Oper her, wobei nicht übergangen werden darf, wie herrlich und entzückend sie in Weimar aufgeführt wurde und welchen über|schwänglichen Beifall sie in allen gebildeten Städten ersten Ranges fand. Im Sommer 1839 wurde sie u. a. in Berlin dreimal in einigen Wochen bei erstickendem Zudrang des Publicums gegeben, und riß Alles zum Entzücken hin, der Stoff muß also doch wohl nicht so schlecht, der Mißgriff Weber’s so arg nicht sein, wie der edle Todte, den Manche über mich und meine Dichtungen, selbst über die Euryanthe höchst günstig urtheilen hörten, an jenem Tage geäußert hatte!
  • *) Wie willkommen es in Dresden erschien, bezeugte die öffentliche Stimme; wir selbst sind in Besitz eines Denkmals vom Abend der ersten Aufführung daselbst, in einem Briefe des geschätzten Uebersetzers vieler herrlichen Stücke Calderon’s, des Freiherrn Ernst v. d. Malsburg, den wir hier im Auszug beifügen. Der Tadel, der darin ausgesprochen, hebt das Lob, das der geistreiche Dichter der Musik und Dichtung gespendet. siehe Brief Ernst von der Malsburgs
  • *) In der Allgem. Augsburger Zeitung vom 22. April steht irriger Weise, daß die Euryanthe in London noch unbekannt sei. Sie wurde 1831 von einer Elite deutscher Gesangskünstler, welcher Minna Schröder-Devrient und Heitzinger würdig zur Seite standen, mit einem Enthusiasmus begrüßt, wie noch zuvor keine deutsche Oper erregt. Dasselbe war in Paris geschehen.
  • **) Auch im glänzenden Concert des genialen Vaters und Sohnes Bärmann in Paris wurden Parthieen aus der Euryanthe mit ungetheiltem und hohem Enthusiasmus aufgenommen, doch ist’s unmöglich, alle Triumphe Webers für dies, sein Lieblingswerk, hier aufzuzählen.

Apparat

Zusammenfassung

Helmina von Chezy über die Entstehung der Euryanthe, Teil 9/9

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Charlene Jakob

Überlieferung

  • Textzeuge: Neue Zeitschrift für Musik, Bd. 13, Jg. 7, Nr. 11 (5. August 1840), S. 41–43

Textkonstitution

  • „Seigelt“sic!

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