Carl Maria von Weber’s Euryanthe. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Oper, von Helmina v. Chezy, geb. Freiin Klencke, 1840, Teil 2/9

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Carl Maria von Weber’s Euryanthe.

(Fortsetzung.)

An einem goldleuchtenden, milden Octoberabend des Jahres 1821 im deutschen Florenz, dessen Himmel mit italienischen Gluten prangte, weilte ich im Vorübergehen auf einer Brüstung der Elbbrücke, die herrliche Landschaft betrachtend, als unvermuthet beim Umwenden Weber und seine Gattin vor mir standen.

„Haben Sie Zeit?“ — Für Sie immer! — „Ich komme recht bald zu Ihnen, darf ich auf Ihr früheres Versprechen hoffen? Wollen Sie mir eine Oper schreiben“? — Ich war außer mir vor Vergnügen, es war Alles um her mit einem Mal schöner geworden, und die nächste Zeit lag vor mir, wie eine frohe Verheißung.

Ich dachte sogleich an Euryanthe. Diese herzige, uralte Dichtung, von der Dorothea von Schlegel, als wir in Paris beisammen lebten, in Tressans Bibliothek der Romane eine ganz verfumfeite Nachbildung gelesen, und den schöneren Sinn und Geist darin geahnt, war mir von ihrem Manne zum Uebersetzen empfohlen, und von Chezy aus der Bibliothek gebracht worden; es knüpften sich an sie alle Erinnerungen jener verhängnißvollen Lebenstage, deren Wonnen noch immer alle späteren Leiden durch ihr frühlinggleiches Walten besiegten.

Doch Weber hatte mir Wien genannt, für welches er die Oper schreiben wollte, ich meinte in meinem Sinn, dort könne man das komische Element nicht vermissen. Auf allerlei verfiel ich, vor Allem auf Calderon’s prächtiges Méjor esta que estava, das in Wien spielt. Von allen Stoffen, die ich ihm vorschlug, nahm Weber Notiz, und meine Uebersetzung der Euryanthe *) nahm ¦ er mit sich, wie auch den Entwurf zur Oper, den ich ihm mitgetheilt.

Schon am andern Morgen war er wieder da: „Was, Calderon“? rief er mir zu, „bleiben wir bei der Euryanthe! Dieser Stoff ist wunderherrlich. Wir wollen uns daran halten, und ein von Seiten der Poesie, wie der Musik vollendetes Meisterwerk daraus machen!“

Er meinte einstimmig mit mir, das Veilchen sei nicht in die Operndichtung aufzunehmen. — Ja das Veilchen! Es wäre gleichwohl das Beste gewesen! Freilich stand bereits was ähnliches im Boccaz, freilich hatte Shakespeare den Cymbelin gedichtet, das aber war’s nicht, was uns abhielt, sondern die Dichtung sollte durchaus ernst und streng sittsam in ihrer Haltung sein, und Weber wünschte die Geisterwelt hineinverwebt, die Geisterwelt, mit stillathmenden, ahnungsvollem Schauer, mit zarter Wehmuth; die Geisterwelt, nicht die Spukwelt; die des Himmels, nicht die der Hölle! —

Mir war beim ersten Anordnen der Ideen zum Plan, wie Jemandem, der einen Schatz gefunden, und kennt ihn nicht, und weiß nicht, wohin damit? Himmelweit war ich von dem, was Weber wollte und bedurfte, von | dem, was die Scene heischte. Ich hatte nun seit funfzehn Jahren nur für meine Kinder, und in den Kriegsjahren für die Leiden der Zeit gelebt; war nur höchst selten in ein Theater gekommen, hatte von Opern nur die wenigsten, und diese seit Jahren nicht gesehen. In Darmstadt hätte ich viel lernen können, als ich dort in kaum zu überbietender Vollendung mehre Opern hörte. Dreißig Proben pflegte der kunstliebende Großherzog Ludwig zu halten. Weber’s und Meyerbeer’s berühmter Meister Vogler, der sich im Allgemeinen wenig um das Theater kümmerte, zürnte darob und meinte: anderwärts würden die Proben der Vorstellung wegen veranstaltet, hier in Darmstadt sei’s umgekehrt. Concerte, und vor Allem Kirchenmusiken, Oratorien, Messen, besonders in Dresden, hatte ich unzählige gehört. Weber war immer so freundlich gewesen, mich zu benachrichtigen, wenn es etwas recht schönes, oder eine neue Composition von den königlichen Geschwistern gab. Er trug eine Liebe zu der höchsten Familie, die oft in begeisterten Worten sich Luft machte, und die ihn antrieb, es den Freunden im Stillen mitzutheilen, wenn wieder etwas Frisches den jungen, königlichen Händen entblüht war; denn mit verschämter Schüchternheit verbargen sie in jener Zeit des Aufblühens ihrer Talente ihre musikalischen Arbeiten.

Wenn Weber’n wohl einmal eine Klage entschlüpfte, daß sein Gehalt nicht höher bemessen sei und er gefragt wurde, ob er nicht anderwärts eine bessere Anstellung fände? so gab er zur Antwort: Leicht! aber nie werde ich gehen, denn wo fände ich solche Menschen wieder? Diese Huld und Liebe von oben herab, die mich beglückt und vor mir selbst erhebt? —

Weber hatte ein so feines und richtiges Durchschauungsvermögen, und wollte mir so herzlich wohl, daß er sich hütete, mir sein stilles Entsetzen über meinen totalen Mangel an Bühnenkenntniß, den er halb bemerkte, auch nur im geringsten zu zeigen. Er bot mir getrost die Hand zur Leitung, und ich ergriff sie freudig und hielt sie fest. Mein Leitstern war unbegrenzte Verehrung, unbedingtes Vertrauen, herzliche Anhänglichkeit an den Meister.

Weber brachte mir einen Stoß Textbücher. „Nehmen Sie zum Muster für die Kürze der Scenen, der Gesangstücke, der Behandlung überhaupt, Jouy’s Vestale“, bat er mich „diese ist ein Meisterstück!“

Einst, in Paris 1805 bei einem Diner, wo Spontini neben mir saß, hatte er ganz trocken weg geäußert:

„Die Welt weiß noch nicht was Musik ist, sie soll es von mir erfahren.“

Ich hatte das nie vergessen können. Ich gebe es ohne alle Bemerkung, als ein Factum. Spontini schrieb damals, wie ich glaube, die Vestale.

Von der Olympia brachte mir Weber das deutsche Textbuch von Hoffmann, er scherzte gutmü¦thig über Hoffmann’s schwere, holperichte Verszeilen, doch wir verehrten beide Hoffmann zu sehr, als daß dieser Scherz hätte ausarten können. Was ist’s auch überhaupt um die Dichtung? meinte ich, man übersieht, man vergißt sie über die Musik. Nein! rief Weber, ewig wird man Metastasio, Quinault, neben den Meistern nennen, für die sie gedichtet!

Wenn C. M. v. Weber so etwas sagte, brachen die Worte so warm und rasch aus seiner tiefsten Ueberzeugung hervor, sein Adlerblick dabei drang so leuchtend in die Seele, alle seine Züge belebten sich so wunderbar, daß all sein Wesen, seiner Stimme Klang, mit Wort, Gedanken und Gefühl zusammenwirkte. Er sagte so viel, und sprach so wenig! Die Grazie, die in seinen Melodieen lebte, war auch seinen Worten eigen.

Sein ganzes Wesen war stets aufgeregt, der innere Mensch feierte nie. Hier und da war diese Aufregung schmerzlich, auch wohl krankhaft, von Besorgnissen, von Mißtrauen bekämpft, stets jedoch in allen ihren Bewegungen, bis in die leiseste, kaum wahrzunehmende hinein, ganz unverhehlt. Dies ist die eigenste Beschaffenheit vom Wesen des Künstlers stets vom Troß mißverstanden, oft selbst von den Feineren, und immerdar von den Halbgebildeten verkannt. Nur der gediegene Mensch fühlt und ehrt dies unbezwingliche Hervorbrechen der inneren Gluth, daran sich die Gemeinheit ihre Mottenflügel versengt.

(Fortsetzung folgt.)

[Originale Fußnoten]

  • *) Romantische Dichtungen des Mittelalters, ¦ von Friedrich Schlegel, II. Theil, 1805. Dorothea von Schlegel hatte für den ersten Theil den Merlin im Auszug übersetzt, ich für den 2ten die Histoire de Gerand de Nevers et de la belle et vertueuse Euryante de Savoye, Sa mie. 1823 wurde die Uebersetzung in der Vereinsbuchhandlung neu aufgelegt; und erschien nun unter meinem Namen. 1833 gab Hr. Francisque Michel den Text in Versen, nach einem alten Manuscript von der königl. Bibliothek in Paris heraus; ich kannte blos die gedruckte Novelle in Prosa, die sich unter den Incunabeln auf der königl. Bibliothek befindet, vom Manuscript in Versen wußten weder der Marquis de Tressan, noch Friedrich von Schlegel; es war dem verdienstvollen jungen gelehrten F. Michel vorbehalten, unsern Dank dafür einzuernten.

Apparat

Zusammenfassung

Helmina von Chezy über die Entstehung der „Euryanthe“, Teil 2/9

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Charlene Jakob

Überlieferung

  • Textzeuge: Neue Zeitschrift für Musik, Bd. 13, Jg. 7, Nr. 2 (4. Juli 1840), S. 5–6

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