Carl Maria von Weber’s Euryanthe. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Oper, von Helmina v. Chezy, geb. Freiin Klencke, 1840, Teil 5/9

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Carl Maria von Weber’s Euryanthe.

(Fortsetzung.)

Ich hatte bis dahin blos Lieder gedichtet, Sagen und Legenden bearbeitet, Novellen geschrieben, mit voller Freiheit, ohne bestimmte Vorauszeichnung. Rein lyrische Naturen werden durch Plane, durch abgesteckte Räume schüchtern und kühl. Es ist kaum denkbar, was ich für Gemeinplätze in die Oper, wo der Effect, auch der Worte, kräftig sein mußte, hinein schrieb. Weber, meine Geduld, meine Bescheidenheit lobpreisend, übte beide, indem er mir mit der größten Sanftmuth und freundlichsten Gelassenheit sagte: „da müssen wir schon andern Text haben! Die Stelle dichten Sie mir anders!“ — Gern! „Sie sind ein Engel!“ Er wußte es wohl, ein entschiedener, rauher Tadel von ihm würde mich durchaus entmuthigt haben.

Oft errieth ich ihn recht gut, und dann wußte er so überaus liebreich zu loben! Er lobte auch manchmal tadelnd, wie z. B. in der Scene Lysiarts mit Eglantinen:

Und sprichst du wahr?Bei Rache, Wuth und Gluth des ew’gen Hasses, ja!

sagte er mir: „So ist’s recht, nehmen Sie nur oft so kräftige Farben, an denen geht es ab!“

Hier und da that er selbst dazu, wo es ihm daran zu fehlen schien, und auch dann, wenn ich gar nicht mit ihm übereinstimmen konnte. Lysiart sollte beim Herausstürzen in den Burggarten singen:

Wo berg‘ ich mich? Wie find‘ ich hier mich wieder?O grüne Einsamkeit, hier war es jaWo ich zuerst die Holde sah. —

Weber setzte: ¦

Wo berg‘ ich mich, wo find‘ ich Fassung wieder?O toller Frevelwahn, Du warst es ja,Der sie als leichte Beute sah!

Auch statt:

Nur Rache, Rache füllt dies sturmbewegte Herz — Nur sein Verderben füllt die sturmbewegte Brust.

Dann für:

Was hör‘ ich da? Willkommen, dunkle Kunde! —Was hör‘ ich, Glück! Willkommne Höllenkunde!

In Eglantinens Cavatine:

Er konnte mich um sie verschmäh’n,Drum muß ich ewig klagen —

änderte der Compositeur: Und ich sollt‘ es ertragen? und so mehres. Er vernichtete auch oft die Früchte meiner Mühe, mit der ich in angstbemessenem Bewegung-Raum Reinheit des Rhythmus und Zusammenklang der Reime im Recitativ aufrecht hielt, so daß man besonders in der noch enger eingekeilten Dichtung in den Textbüchern an manchen Stellen wirklich zu glauben versucht wird, ich verstände meine Kunst nicht. Ich ließ es hingehen, denn vor Allem war mir daran gelegen, daß ihm die Dichtung tauge. Gern legte ich einen Text unter ein früheres Musikstück, aus welchem das entzückende Finale des ersten Actes entstanden ist, und folgte willig als der Meister zwei Zeilen jener Dichtung, auf die er dies Musikstück geschrieben, bezeichnend sagte: „Hier müssen Sie mir eine Härte hineindichten.“ Ich schrieb also:

Fröhliche Klänge, Tänze, GesängeFeiern, verschönenDiesen Tag, wo ihr hoch uns erfreut.

Ich hatte nicht auf diese Oper gewartet, um darzuthun was ich vermöchte, mein ganzes Bestreben ging einzig darauf hin, Weber’s Wünsche zu erfüllen; ich verehrte ihn auch zu innig, um ihm auch nur in einer | Sylbe entgegen zu sein. Wenn über Nacht ein neuer Gedanke in ihm aufgestiegen, so daß wieder umgestürzt werden mußte, was gestern festgestellt worden, so freute ich mich, ihm gefällig sein zu können.

Eines Tages sagte er mir: „Es ist nun bekannt, daß ich eine Oper für das Kärnthnerthortheater schreiben soll, da sind mir eine Menge Dichtungen zugeschickt worden, u. a. eine von Contessa nach Calderon, die für Hoffmann geschrieben wurde, sie ist seicht bearbeitet, aber der Stoff hat mir gefallen“.

Ich holte mein Manuscript frei nach Calderon’s El Galan Fantasma: „der Geliebte, ein Gespenst, hervor, und gab es ihm mit. Er las es mit großem Antheil.

„Das Stück ist eine geborene Oper“, sagte mir Weber, als er’s zurückbrachte, „besonders in Ihrem durchaus musikalischen Deutsch, doch von dem allen, was mich darin erfreut, steht nichts in Contessa’s Text, wo hat er nur den Calderon hingebracht?“

Ich erklärte ihm die Sache. Am 25. Mai 1817 hatte ich bei Freund Hitzig meine Nachbildung nach Calderon ihm und Hoffmann in einem schönen kleinen Kreise vorgelesen. Hoffmann suchte eben einen Opernstoff, er fühlte einen aus dem Stück schnell heraus. Ich wurde durch Hitzig für Hoffmann um das Scenarium ersucht, und gab es gern, ganz ausführlich her, denn Hoffmann konnte die Oper nicht mit mir schreiben, weil er schon seit Anbeginn meines bekannten Rechtsstreites mit der königl. preußischen Invaliden-Prüfungscommission zum Information-Commissär ernannt war, und mich, wegen des mir angeschuldigten Verbrechens, eine k. Commission fälschlich und calumniös schwerer Unbilden gegen brave Invaliden bezüchtigt zu haben, zu verhören hatte. Das Erstemal geschah dies auf dem königl. Kammergericht, in Gegenwart eines Referendars, der meine Aussage zu Protokoll nahm; auf dieses Verhör, und der nachfolgenden Untersuchung der von mir angegebenen Thatsachen, war nach Mitte Mai d. J. 1817 schon das erste, mich glänzend rechtfertigende Gutachten des ehrwürdigen Gerichtshofes erfolgt, vor welchem ich diese heilige Angelegenheit gebracht: nun aber, vor völliger Entscheidung konnte kein Verhältniß poetischer Natur zwischen dem Information-Commissär und mir Statt finden.

Contessa schrieb den Text für Hoffmann, und reichte ihn bei Graf Brühl, edlen und theuern Andenkens, ein; doch da ich schon längst meine Bearbeitung des Calderonischen Schauspiels eingereicht hatte, und diese recipirt worden *) ; so meinte Graf Brühl Contessa’s Opernbuch ¦ nicht annehmen zu können. Hoffmann ließ nun auch seinen Anfang der Composition liegen.

„Wenn ich diesen Stoff zu bearbeiten hätte“, sprach C. M. v. Weber, „so würde ich bis zum Schluß alle, selbst den Zuschauer in Zweifel lassen, ob Astolfo lebe? Wer weiß? Wir gehen wohl einmal daran!“

Unzählige Zweifel stiegen bei Ausführung der Dichtung unserer Oper auf. Vor Allem wegen des Geheimnisses, das dem Veilchen substituirt werden mußte: dies wurde als undramatisch, unmusikalisch, ja unkeusch, gleich verworfen. Ludwig Tieck, der Einzige, den Weber bei unserm Werk zu Rathe ziehen wollte, und es mit meiner freudigsten Zustimmung that, verwarf das Veilchen aus demselben Grunde. Wir waren alle drei zu jener Zeit entfernt vorauszusehen, bis wohinaus sich die Oper noch emancipiren würde, besonders vom Rhein herüber, sonst hätte wohl Weber das Veilchen bestehen lassen, und Lysiarts Liebeserklärung gegen Euryanthe gut geheißen, das Alles ist ja voll Kindesunschuld gegen Scenen, wie sie die neuere Zeit in mancher der beliebtesten Opern gebracht!

Wir hatten auch Bedenklichkeiten wegen der Schlange, die in der alten Dichtung höchst natürlich vorkommt, denn im 12ten Jahrhundert gab es noch hie und da in Deutschlands und Frankreichs Wäldern solchen „Wurm“, wenigstens im Mund des Volkes aus uralten Sagen, vielleicht auch in der Wirklichkeit. Weber dachte auf einen Löwen, wir sannen lange darüber nach, er meinte die Schlange erinnere zu sehr an die Zauberflöte. Warum nicht gar an das Paradies? sagte ich. Wir blieben dann bei der Schlange, denn wir wollten beide nichts an jenem Glanzpunct in der Novelle meistern, und ihn in seiner eigensten Gestalt beibehalten.

Die Aufopferung Euryanthes für ihn, der sie tödten will, so einfach und innig wie die Novelle sie gibt, erschien uns als ein Juwel der romantischen Poesie, und ich hütete mich sehr etwas daran zu verderben.

Seltsam ist’s, daß der neu aufgeregte Impuls des französischen Volkes für seine frühere, schöne Romantik von Deutschland ausgehen mußte. Friedrich v. Schlegel war der Erste, der, Tressau’s modernisirte Nachbildungen verwerfend, nach den alten Quellen spähte, und den Schutt hinwegräumte, unter dem sie verborgen. Damals gab es so wenig Sinn und Gefühl in Paris für die Herrlichkeit altromantischer Poesieen, worauf Frankreich stolz sein dürfte, daß Niemand sich darum bekümmerte. Erst ein Jahrzehend nach Schlegels u. a. Gelehrten fruchtlosen frühern Bemühungen war es der Stael gewährt, den Sinn für die Schönheit deutscher Geistes|schöpfungen hier zu erwecken, dort zu beleben; die zwei kleinen Bändchen de l‘Allemagne waren das Schneestäubchen der langsam herabrollenden, dann jede Schranke durchbrechenden Lawine, denn mit dem Sinn und der Liebe für uns erwachte zugleich die für die eigenen, sorgfältig in den Bibliotheken aufgespeicherten Schätze, Urquellen aller europäischen Romantik. Sie wurden an das Licht gezogen, und das in ihrer ursprünglichen Gestalt; die grundkräftige, treuherzige, farbentiefe altfranzösische Sprache wurde zum Studium der trefflichsten Köpfe. Aus dieser mächtig erwachenden Liebe und ernsten Nachforschung des Altromantischen hat sich die üppige Blume der neuen Romantik mit all ihren Auswüchsen entfaltet; um das, was die alte Schule zu streng, herbe und mager, ist die neue zu schwelgend und sinnlich in der Form. Die Grundelemente auch sind sich durchaus entgegen, die der alten Romantiker: Religion, Ehrfurcht für den Thron, keusche Liebe; die der Neuen: Zweifel und Verzweiflung, Empörung, Unzucht — mehr oder minder, versteht sich, ganz ausgenommen hiervon stehen Einige, von denen ich nur Charles Nodier, Alfred de Vigny, Roger de Beauvois, und in seinen Gedichten Victor Hugo nenne, den größten und wahrhaftesten Dichter der Franzosen unserer Tage, Lamartine ist, gegen diesen gehalten, oft nur ein Reimer seiner in Prosa gedachten Gedanken. Sein Fall eines Engels ist indeß die unschuldigste seiner literarischen Sünden, denn die Idee ist nicht von ihm; es ist die alte Sage des Orients von Harut und Marut, die Lamartine benutzt, ihr aber die Spitze abgebrochen hat, denn Analud und die Verklärung des Morgensterns fehlen in seinem Gedichte. Hammer und Malsburg verdanken wir schöne, längstbekannte Versionen dieser alten Sage. Auf der durch Englands und Deutschlands große Dichter gebrochenen Bahn der echten Romantik sind die Franzosen nicht allein zurück, sondern häufig auf dem Holzwege.

(Fortsetzung folgt.)

[Originale Fußnoten]

  • *) Sie wurde auch in Dresden und München recipirt; Graf v. Brühl correspondirte mit mir wegen der Aenderungen, die damit vorzunehmen sein, um das Stück für Deutschland bühnenrecht zu machen, es ist nicht leicht, ¦ und unterblieb bis jetzt noch immer, auch ist unsere Zeit aus dem Calderon’schen Ultra-Prinzip, das in vielen seiner Stücke (nicht im Alcalde de Zalamea, noch in e. a.) vorherrscht, herausgewachsen.

Apparat

Zusammenfassung

Helmina von Chezy über die Entstehung der Euryanthe, Teil 5/9

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Charlene Jakob

Überlieferung

  • Textzeuge: Neue Zeitschrift für Musik, Bd. 13, Jg. 7, Nr. 5 (15. Juli 1840), S. 17–19

    Einzelstellenerläuterung

    • Tressaurecte „Tressan“.

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