Carl Maria von Weber an Gottfried Weber in Mannheim
Darmstadt, Freitag, 12. Oktober 1810
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Lieber Bruder!
Tausend Glük und Heil der lieben Wöchnerinn die so Heldenmüthig den großen Kampf gekämpft, und der Welt einen gesunden braven Bürger schenkte. ich kündigte sogleich die Nachricht dem ganzen Hause an und Vogler läßt dir recht herzlich gratuliren. Aber so sehr es mich im Ganzen freute so ärgerlich ist es mir doch eines Theils daß es ein Bub ist, der Componisten mit dem Nahmen Weber werden zu viel, denn daß der Kerl ein Comp: wird ist ausgemacht, und ich hoffe daß du ihm schon vorläufig etwas vom GeneralBass beygebracht hast, auch muß er ja offenbar schon die Akkorde noch vom Mutterleibe her kennen, denn die Frau Baaß studirte ja die lezte Zeit gar fleißig. ich möchte dich wohl sehen‡ in deiner Vater Glorie sehen und etwas mit von dem KindtaufKuchen verzehren helfen, aber so gut wird es mir wohl nicht werden, und so muß ich mich armer Teufel mit dem Gedanken daran begnügen. Du schreibst mir zwar in deinem lieben Brieflein, daß du mir nächstens eines Breitern schreiben wolltest, ich bin aber so frey, das vor der Hand nicht zu glauben, auch müste ich sehr unvernünftig seyn es zu Verlangen, denn die ersten Tage gehören deinem lieben Weibchen, und ich glaube doch, daß in Eurer freudigen Stimmung auch manchmal des verwaißten Webers gedacht wird, der fern von euch herzlichst mit euch fühlt. — ich muß ein bischen die Feder weglegen, wenn ich nicht weich werden will —
Von Gänsbacher hat Vogler vor ein paar Tagen einen Brief erhalten, er ist wohl, in Prag, hat seine kleine Oper von Treitschke, fertig, – und wollte den 8t dieses Monats nach Wien reisen, um da für deren Aufführung zu sorgen*. ich habe ihm schon dahin geschrieben, und werde ihm /: der dich auch grüßen ließ nebst allen andern Mannheimern :/ sobald er mir geantwortet hat, die frohe Neuigkeit deiner Vaterschaft zu wißen thun. ich bin überzeugt daß er warmen Antheil nimmt, es ist eine reine, wahre, Seele, und ohnstreitig der Beste von uns allen, | die Anwesenheit Kalkhoffs* hat mir viele Freude gemacht, denn so ein Mannheimer Gesicht ist ein belebendes Wesen für mich. er wird dir hoffentlich deinen Kirnberger mitgebracht haben*. Kaum war er abgereißt, so bekam ich deinen Brief. ich wäre gar zu gerne mit in den Wagen geseßen und hin kutschiert, da wäre ich just zu der Ganzen Geschichte zurecht gekommen. A propos, wie ist es denn, meinst du nicht daß jezt etwas bey der Prinzeß zu machen wäre?* wenn ich nur einigermaßen Voraussehen könnte die Reise nicht umsonst zu machen so besuchte ich mein theures Mannheim noch einmal, schreibe mir doch darüber etwas deine Meinung.
Ich bin leider seit ein paar Tagen in der schreklichen Stimmung nichts arbeiten zu können, von denen verfluchten 6 Sonaten sind 5 fertig*, und die lezte kann ich nicht zusammen kriegen*; und doch möchte ich sie André schikken damit ich hier fortkomme, es leidet mich nicht länger auf einem Flekke die gute Zeit komt näher, und nun gehe ich los. Was macht Dusch? und werde ich nie das Glük haben einen Fezen Papier von seiner Hand bemahlt zu bekommen.
nun leb wohl lieber lieber Bruder, empfiehl mich deiner theuren guten Gattin bestens, und sag ihr in meinem Nahmen alles was du glaubst daß ich für Euer Glük empfinde. ich küße deinen lieben Buben in Gedanken und bin ewig dein treuster Bruder Weber. Darmstadt d: 12t 8ber 1810*.
Apparat
Zusammenfassung
Glückwünsche zur Geburt des Sohnes von Gottfried Weber; fragt an wegen einer Reise nach Mannheim; teilt mit, dass fünf der Six Sonates fertig seien
Incipit
„Tausend Glück und Heil der lieben Wöchnerin, die so heldenmüthig“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: New Haven (US), Yale University, Beinecke Rare Book and Manuscript Library (US-NHub)
Signatur: Frederick R. Koch FoundationQuellenbeschreibung
- 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
- am oberen rechten Rand der Briefseite von Gottfried Weber: „10. 8br 12ten“
- darunter: „beantw. 22t Oct 10“
Provenienz
- Stargardt Kat. 630 (1983), Nr. 1005
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Caecilia Bd. 15 (1833), S. 49–51
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Bollert/Lemke 1972, S. 17–18
-
tV: MMW I, S. 221–222
Themenkommentare
Textkonstitution
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„sehen“durchgestrichen
Einzelstellenerläuterung
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„Wien reisen, um … Aufführung zu sorgen“Eine Aufführung in Wien kam nicht zustande, vgl. Brief Webers an Gottfried Weber vom 1. November 1810.
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„Kalkhoffs“Vgl. Tagebuch 10. Oktober.
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„Kirnberger mitgebracht haben“Vermutlich: Johann Philipp Kirnberger, Die Kunst des reinen Satzes in der Musik, Bd. 1 und 2, Berlin und Königsberg 1776–1779 .
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„… 6 Sonaten sind 5 fertig“Bis zum Briefdatum (12. Oktober) hatte Weber die Sonaten Nr. 1–4 fertiggestellt und die Nr. 5 (im Druck umgestellt zu Nr. 6) begonnen, bis zur Absendung des Briefes (laut Tagebuch 14. Oktober) auch die Nr. 6 (im Druck umgestellt zu Nr. 5) begonnen; vgl. die Tagebuchnotizen zwischen 30. September und 13. Oktober 1810.
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„… kann ich nicht zusammen kriegen“Gemeint ist wohl die im Autograph (D-DS) noch letzte zweisätzige Sonate in A-Dur, die per Zählung im Autograph nachträglich zur Nr. 5 wurde (so auch im Erstdruck, wo die Sammlung mit der dreisätzigen Sonate in C-Dur schließt). Allerdings wurden laut Tagebuch beide Sonaten erst nach Versendung dieses Briefes abgeschlossen: die in A-Dur (im Erstdruck Nr. 5) am 16. Oktober, jene in C-Dur (im Erstdruck Nr. 6) am 17. Oktober 1810. Zur Begründung des Tauschs vgl. Webers Brief an J. A. André vom 18. Oktober 1810.