Carl Maria von Weber an Johann Gänsbacher in Innsbruck
München, Freitag, 11. August 1815

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S: Wohlgebohren

dem K: K: Oberlieutnant des

löbl: Fennerschen

2t Tyroler Jäger

Battallion, Herrn

Johann Gänsbacher

dermalen

zu

Insbruck.

Geliebter HerzensBruder!

In großer Schuld stehe ich vor dir, und kann blos auf die Nachsicht deiner brüderlichen Liebe rechnen, da ich so lange ein tiefes Stillschweigen beobachtet habe. Aber du weist es giebt Zeiten im Leben, wo ein trüber Flor sich über alles verbreitet hat und die Seele schmerzlich in sich zusammendrükt, so daß es ihr nicht möglich ist nach außen zu sprechen.      ach, hätte ich dich um mich gehabt welch unendlich linderndes Gefühl hätte mich da beglükt.      ich bin sehr finster und in mich zurükgezogen worden. das erste einzige Wesen das ich liebte, hat sich von mir losgerißen. Sie hatte nicht den Muth mich Rücksichtslos zu lieben, ich nicht den Muth Sie und mich durch eine unvorsichtige Heyrath ohne sicheres Brod, unglüklich nach den ersten Flitterwochen zu machen. Von neuem stehe ich also mit einem Herzen voll Liebe allein da. werfe mich ganz der Kunst in die Arme, will blos ihr leben, und muß somit allem LebensGlük als Mensch entsagen. hier hast du ein kurzes Bild meines Zustandes. d: 7t Juny reiste ich im höchsten Schmerz von Prag ab, und gieng nach dem einsamen Hradek wo ich mich mit herzlicher schonender Freundschaft gepflegt wurde. d: 18t kam ich hier an. wohne bey meinem guten Bärmann.      habe d: 2t August Concert mit dem glänzensten Erfolge gegeben, d: 8t eben so in AugsburgT, und d: 10t erhielt ich einen brillanten Ring vom VizeKönig mit seiner ChiffreT, und nun sizze ich hier bis zu Ende meines Urlaubs d: 7t September still, und arbeite an einer Großen Cantate zur Feyer der Schlacht bey belle Alliance.      dann verlebe ich noch ein trauriges Jahr in Prag, und gehe dann abermals in den großen Weltstrudel. die Gründe die mich dazu bestimmen sind erstlich, daß man in Prag wie vergraben ist, 2t daß ich ein Publikum habe für das ich nichts schreiben mag, 3t daß ich so viel DienstGeschäfte habe, daß ich unmöglich als Componist etwas leisten kann, 4t daß ich mir nichts ersparen kann, und so viel als ich zum Leben brauche überall verdienen kann.

Nun mein lieber Bruder weist du alles, aber nur du! und nun zur Beantwortung deiner Briefe:      No: 2, von Padua 24t Februar, erhalten d: 10t März. du schreibst da etwas von einem Einfluße Angsts auf Firm: bleiben in Wien, deßen Grund ich vergebens zu erforschen suchte. mir scheint nichts an der Geschichte zu sein.      No: 1 von Padua | d: 27t Xber 1814, erhalten d: 10t Januar 1815. /: ich habe die Briefe […] verwechselt. [:/] was du darin über meine Liebe sagtest, war ganz aus meiner Seele gesprochen, seitdem hat sich der Knoten von selbst, wenn gleich auf andere Weise gelöst.

Deine treuen Musikal: und Militär: Relationen haben mich sehr ergözt und ich dank dir sie herzlich.      Vallotti war allerdings der Lehrer von Vogler dem er sein System verdankt.

An Haas habe ich schon oft getrieben wegen der Abrechnung aber das sind schrekliche Menschen. bey meiner Zurükkunft werde ich sehen was zu thun ist . wie Firmians durch Prag kamen, war deine Schwester bey mir, und da haben wir abgemacht, daß wenn Haas bis dahin nicht zahlt, damit der HaushofMster befriedigt werden kann, so wirst du mein Schuldner*. da will ich dich recht coujoniren.

No: 3t von Insbruk d: 24t July. denk dir die Ueberraschung. d: 2t August in meinem Concert, komt nach dem ersten Theil, Bärm zu mir und sagt, daß ein Offizier bey der Harlas in der Loge sey der Briefe von dir brächte, ich stürze hinunter, und siehe da es ist der Obrist Call, der eben zu meinem Concert zu recht kam. die Freude kanst du dir denken. den andern Tag kam er zu uns und brachte deinen lieben Brief.

Gott sey Dank, daß er dich in allen Gefahren so glüklich und gesund geleitet hat. es ist höllisch sich so nahe zu sein, und doch sich nicht sprechen zu können. Call ist unerschöpflich in deinem Lobe.      Wann wird uns das Schiksal wohl wieder einmal vereinigen?

Ich muß lachen über deine Eifersuchts Äußerungen, da kannst du ganz ruhig sein.      mit meinem Besuch bey F dur wird es ohnedieß nichts, da meine Rükreise nicht wie ich anfangs projectirt hatte über Leipzig geht, sondern von hier gerade wieder zurük.      Wenn meine Lieder hieher kommen, werde ich dir sie schikken*.      Schreibe mir nur gleich wieder, wie lange du noch in Insbruk bleibst p p.

Weber ist jezt TribunalRath in Mainz. ich habe ihm lange nicht geschrieben. mein Trübsinn riß mich von allem los.      Meyer Beer, war zulezt in Paris, wo er jezt stekt weis ich nicht, werde es aber wohl bald erfahren und dir dann melden.

Nun lebe wohl altes Haus hiebey ein paar Zeilen von Bärmann. alles Erdenkliche von der Harlas pp ewig unveränderlich dein treuster Bruder bis in den Tod
Weber

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a propos. die arme Fany Jungh war dem Tode nahe, bey ihrem lezten Kindbette, daß Kind muste geholt werden, und man gab es mit der Mutter für verlohren, aber Gott lenkte es anders und beyde leben und sind gesund. der Dr: gieng nach Karlsbad von wo aus er mir dieß schrieb*.

Apparat

Zusammenfassung

bittet um Nachsicht wegen längeren Stillschweigens; beschreibt den Fortgang seiner Beziehung zu Caroline Brandt als Ursache seines zerrissenen Zustands; berichtet über Aufenthalt und Konzerte in München und Augsburg; erwähnt Arbeit an „Kampf und Sieg“; nennt verschiedene Gründe, weswegen er Prag nach Ablauf eines Jahres verlassen will; nimmt Bezug auf Briefe Gänsbachers; betr. Angelegenheiten verschiedener gemeinsamer Freunde

Incipit

In großer Schuld stehe ich vor dir, und kann blos

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Brief in zwei Teilen
  • 1. Fragment: Wien (A), Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Bibliothek (A-Wgm)
    Signatur: Weber an Gänsbacher Nr. 36

    Quellenbeschreibung

    • Fragment 1, Haupttext des Briefes
    • 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Nohl 1867, S. 244–246 [Haupttext des Briefes ohne Nachschrift]
  • 2. Fragment: Berlin (Deutschland), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Weberiana Cl. II A f 1, 2a

    Quellenbeschreibung

    • Fragment 2, Adressenblatt mit Nachschrift
    • 1 Bl. (2 b. S. einschl. Adr.)
    • Siegelrest
    • PSt: R 4. MÜNCHEN. | 11 AUG. 1815.

Textkonstitution

  • „2tüber der Zeile hinzugefügt
  • „mich“durchgestrichen
  • „und“durchgestrichen
  • „… No: 2“Versehentlich mit 1 bezeichnet und durch Überschreibung in 2 korrigiert
  • „[…]“gelöschter Text nicht lesbar

Einzelstellenerläuterung

  • „… so wirst du mein Schuldner“Gänsbacher plante, sein 1811 entstandenes Requiem „auf Praenumeration, aber auf […] eigene Umkosten“ bei Haas herauszugeben (vgl. auch die Anzeige vom 30. Juni 1812), und hatte dafür „ein Anlehen von 200 fl. gegen 6 Procent“ aufgenommen. Erst Jahre später (ca. 1814/15?) entschloss er sich, das Werk (mit Verlust) an den Verlag zu verkaufen, „um nicht noch länger die Interessen [= Zinsen] von dem aufgenohmenen Capital zu bezahlen“; vgl. Johann Gänsbacher, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, hg. von Walter Senn, Thaur 1986, S. 42. Möglicherweise bezieht sich Webers Angebot auf einen Teil dieser Schulden. – Mit dem Haushofmeister könnte eventuell der mit Gänsbacher befreundete Firmiansche Ökonomierat Aloys Schildknecht gemeint sein.
  • „… werde ich dir sie schikken“Gemeint vermutlich die Chöre aus Leyer und Schwert, die allerdings erst Anfang März 1816 erschienen.
  • „… aus er mir dieß schrieb“Philipp Jungh war gemeinsam mit dem Juristen Dr. Johann Lippa am 4. Juli 1815 in Karlsbad angereist und zur „gold 3 auf dem Markte“ abgestiegen: vgl. Karlsbader Kurliste (1815, Nr. 613 Lippa und 614 Jungh).

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