Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag (Fragment)
Dresden, Mittwoch, 11. Juni bis Freitag, 13. Juni 1817 (Nr. 56)
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Vorgestern habe ich endlich die vielen Baad Invitationen beendet, und nun bringt mich so bald kein Teufel mehr hinaus als zum Dienst. war ein entsezliches Dinèr* von ½ 2 bis 5 Uhr bei Tische, und dann gieng ich in Solbrigs Deklamatorium*, da war eine entsezliche Hizze und ich muß mir eine Art Schnupfen geholt haben, denn ich habe ein bißerl Augen und KopfWeh, und gar keinen rechten Zug in der Arbeit, obwohl ich Gestern den ganzen Tag zu Hause hokte, und was rechtes vorwärts zu bringen dachte. von Grünbaums habe ich Gestern wieder Nachricht erhalten, daß sie auf allgemeines Verlangen Nocheinmal in Aschenbrödel /: als heute :/ singen muß*, daher wird sie erst d: 15–16 hier eintreffen. Wie wir beide gesagt haben so ist es, das frohe Leben und der Weihrauch in Berlin scheint ihr sehr zu gefallen, und wahrscheinlich ist sie für uns verlohren. Gned hat als Richard Boll abermals sehr gefallen*, und geht nun nach Stuttgart*. ich sizze außer den täglichen Proben von Geheimniß, tief in meiner Jägersbraut verlohren. Aber es ist kurios, wie die Vorliebe zu allem was nur in der entferntesten Beziehung auf meine Mukin steht sich so auffallend bewährt. das Ännchen daß so ganz deine Rolle wäre, zieht mich vor allem an, und ich muß unwiderstehlich diese Sachen zuerst komponiren, wobei du mir immer lebhaft vor Augen schwebst. du wirst also einst darinn dein Portrait in einem nekischen spizbübischen Pumpernikel wiederfinden. Wenn ich nur einmal die erste Note niedergeschrieben hätte, damit ein Anfang da wäre, so lange das nicht geschehen ist, graut mir entsezlich vor der ungeheuren Arbeit. Eine neue Arbeit ist mir auch daraus entsprungen, daß die Königl. Kapelle ein großes Concert in der schönen Frauen Kirche d: 20t dieses zum Besten der Nothleidenden im Gebürge geben will*, und mir die Leitung und Anordnung des Ganzen übertragen hat. da giebt es nun nicht schlecht zu laufen, und zu besorgen. Zum Glük bin ich in diesen Geschäften gut bewandert, da ich schon einige Konzerte in meinem Leben gegeben habe. aber item, es braucht entsezlich viel Zeit und Schererey. Geschieht aber mit Freuden, denn so Gott will, soll Mancher Hungrige dadurch erquikt werden. So pakt man denn Alles deinem Muks auf, der gar keine Seele hat, in deren Umgang er sich wieder Erquikken und erfreuen könnte, Kurzum, dem du von allen Seiten fehlst. ich bitte dich Schneefuß, mach daß die 3 Monate herum gehn, denn ich kann es schon nicht mehr aushalten und manchmal will die Geduld mit aller Gewalt nicht länger bleiben und ihre Schuldigkeit thun.
Heute Mittag habe ich einen Prager gesprochen der mir auch von der schönen Geschichte erzählte, aber einiges anderst als du. nach ihm sollten auch die Damen nicht ganz unschuldig bei der Sache sein, und sich erst etwas über den Verwalter moquirt haben, worüber dieser schon ärgerlich gemacht, dann seinen Verdruß an H: Löwe pp ausließ. auch soll H: Bayer zuerst geschlagen haben‡, und dann die Polizei geholt haben. ohne einen Geistlichen aber wären sie vielleicht halb todt geschlagen worden. Ist eine dumme Historie*. bin auf deinen morgenden Brief neugierig um zu erfahren was noch weiter gepaßirt ist. Weit davon ist gut fürn Schuß – Muks. gelte? Wohl hast du Recht daß ich oft viel leide wenn ich so das Theatergewirre besehe, deßhalb bleib ich aber auch Allem ferne, bin freundlich, und erkenne daß es einmal nicht leicht anderst sein kann, habe deßhalb Nachsicht, thue meine Schuldigkeit, liebe meine Kunst. – Puntum. Nun | adje, H: v: Muks. muß wieder ein bißel zu meiner andern Braut gutten.
Gieb mir ein paar gute Bußen, sei brav, und behalte lieb, deinen dich so zärtlich liebenden Carl.
Gestern erhielt ich deinen lieben Brief mit dem halben Beine No: 60, nebst Einlage von deinem Bruder*; und erfreute mich herzlich deiner heitern Laune die mir selbst um so wohler that, als ich sehr brummig war. war mir gar nicht recht übelauf, und wollte immerfort schlafen, oder gieng im Zimmer herum wie ein Tagedieb. hatte früh 2 Proben und war Abends bey Geyer in einer kleinen MännerGesellschaft* wo ich eben nicht äußerst sehr die Unterhaltung belebte. Heut ist mir aber Gott sei Dank wieder beßer, und ich werd schon nicht sterben, sollte es länger dauern so thät ich ein bißel speyen, und damit gut. – Doch nun zur ordentlichen Beantwortung deines Briefes. Zuvörderst Glük und Seegen zur Firmung, und daß es der lezte Bakenstreich sei den du in deinem Leben, Geistig und leiblich erhältst. Wer sind denn deine Pathen? Daß ich schon längst an den Vater schreiben wollte ist gewiß, und du hast Recht zu zanken, aber es kam alle Posttage noch etwas dringenderes dazwischen, und jezt will ich auch warten bis ich wieder Antwort von dir habe.
Das Plänchen das du ausgehekt hast*, ist wohl so übel nicht, und doch bin ich nicht damit einverstanden, weil ich schon lange ein anderes mit mir herumtrage was nur noch nicht recht reif war, und es auch noch nicht ist. dem deinigen steht gar mancherley im Wege. Erstlich ist es mit dem Gastspielen so eine Sache, das läßt sich nicht genau auf die rechte Zeit berechnen. dann möchte ich es auch hier nicht gerne thun, weil gar kein anderer Grund dazu da ist, als der, es mir zu gefallen zu thun, er spielt Hellwigs Fach, sucht kein Engagement pp auch werden ihm die Manheimer so wenig eine Zeit erlaßen, als dir die Liebich. da wäre denn alles gar zerstükkelt, du müstest einen ganzen Monat allein in Prag sizzen, die Mutter könnte nicht bei unsrer Hochzeit sein pp. Viel beßer wäre es am Ende – um auf meinen Plan zu kommen, wir brächten die Mutter selbst nach Mannheim, so sähst du deine ganze Familie und deinen guten alten Vater, und ich könnte in Darmstadt, Mainz, Gotha, Weimar pp im Rükweg Konzerte geben, und so das Reise Geld zu verdienen suchen. dieß scheint mir bei weitem beßer. Denn wenn auch dein Bruder hier 3 Rollen spielt, und in Prag auch, so wird er damit kaum die weite Reise verdienen, und unsre Auslage bleibt dieselbe. freilich komt dabei noch in Betracht, ob ich so lange Urlaub bekomme, was ich aber doch hoffe, da ich es früher zur Bedingung machte. – Der Mutter ihr Koffer müste dann Voraus geschikt werden, und wir nur das Nothwendigste mit uns nehmen. die Reise hin, würde uns alle so viel kosten, als wenn wir die Mutter allein reisen laßen, und dann haben wir doch die Beruhigung, Sie vollkommen versorgt zu wißen. Ueberlege dir diesen Vorschlag gut. – wahrscheinlich, und nach deinem Brief zu schließen hast du schon an Louis geschrieben und ihm deine Idee mitgetheilt, das thäte aber wohl nichts, denn es muß ihm auch angenehm sein wenn du seine Frau kennen lernst. auf diese Art kämen wir Anfangs 8br zu ihnen, mein junges Frauchen machte eine hübsche Reise, […]‡ zerstreute dadurch den ersten Schmerz der Trennung, und käme dann in ihr stilles Nestchen nach Dresden.
Was meinst du Muks? ist das nicht schön? Ehe du mir darüber nicht geantwortet hast, schreibe ich also nicht an den Bruder, deßen Zufriedenheit und Glük das aus seinem Briefe leuchtet mich recht herzlich erfreut.
Mosje Klement ist sehr naiv, mit seinem länger warten; der muß: bitten* – Wenn aus der Prügel Geschichte* weiter nichts geworden ist als ein Epigram, so geht es noch an, und auch das wird wie alle StadtGeschichten bald vergeßen sein. die Wilhelm und Müller mag ich nicht, solches gemeines Volk können wir hier nicht brauchen, und da sie nichts ausgezeichnetes ist, so hilfts mich gar nichts, denn ich muß eine haben die dir doch ein bißel nahe komt, sonst ist niz. wer sollte denn das Änchen spielen? Also ein Gewürzkästchen? gut; mir scheint [Rest des Briefes fehlt]
Apparat
Zusammenfassung
arbeite an der Jägersbraut; habe zusätzliche Arbeit durch die ihm aufgetragene Ausrichtung eines Benefizkonzertes; betr. einen Streit unter Prager Theaterleuten, der zu Handgreiflichkeiten geführt haben solle; beglückwünscht sie zum Entschluss der Firmung, fragt nach den Paten; geht auf einen Vorschlag von Caroline Brandt ein, der besagt, dass ihr Bruder Louis in Prag und Dresden Gastrollen geben solle und dann die Mutter nach Mannheim mitnähme; Weber insistiert aber auf seiner Variante, dass sie auf ihrer Hochzeitsreise die Mutter nach Mannheim bringen wollen, damit sie an ihrer Hochzeit teilnehmen kann und Caroline nicht einen Monat allein in Prag sein muss
Incipit
„Vorgestern habe ich endlich die vielen Baad Invitationen“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Mus. ep. C. M. v. Weber 100Quellenbeschreibung
- 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
- Schluss fehlt
- Rötel- und Bleistiftmarkierungen von Max Maria von Weber
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Muks, S. 410–412 (unvollständig)
Themenkommentare
Textkonstitution
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„haben“durchgestrichen
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„[…]“gelöschter Text nicht lesbar
Einzelstellenerläuterung
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„… als heute :/ singen muß“Therese Grünbaum sang am 11. Juni in Berlin die Prinzessin von Navarra in Johann von Paris; vgl. u. a. AmZ, Jg. 19, Nr. 29 (16. Juli 1817), Sp. 494.
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„… Richard Boll abermals sehr gefallen“In der Berliner Aufführung der Schweizerfamilie am 1. Juni; vgl. u. a. AmZ, Jg. 19, Nr. 29 (16. Juli 1817), Sp. 494.
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„… worden. Ist eine dumme Historie“Siehe auch weiter unten die wohl auf den selben Sachverhalt bezogene Erwähnung.
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„… nebst Einlage von deinem Bruder“Bei der im Tagebuch nicht eigens erwähnten Einlage dürfte es sich um einen Brief von Louis Brandt an seine Schwester Caroline handeln.