Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Dresden, Sonntag, 8. und Montag, 9. Juni 1817 (Nr. 55)
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Guten Morgen liebe theure Lina! wie gehts dir? gut, hoffe ich. jezt spazierst du wahrscheinlich schon herum und trinkst das bittere Waßer. Wenn du so schönes Wetter dazu hast wie wir seit ein paar Tagen, so muß es dir gut bekommen. Ich bin etwas liederlich, was mir aber nicht viel Freude macht, denn ich haße es wenn gleich ganz halbe Tage verlohren gehn. Vorgestern d: 6t hatte ich Probe von Geheimniß, aß dann im Engel, machte ein paar Visiten, erhielt einen Brief von Bruder Edmund aus Bern der sich seit Jahren nicht um mich bekümert hatte, der hier angestellt sein will, wozu aber mit dem besten Willen keine Möglichkeit ist. Vielleicht gienge es in Prag denn er ist doch ein andrer Mann als der Triebensee. Er hat zwar in Bern sein auskommen, ist ihm aber gar zu todt für die Kunst. das Ende vom Liede weis ich im voraus, wenn es hier nichts ist so wird es heißen du willst nichts für deinen Bruder thun – nun, da kann ich freilich beruhigt drüber sein. – ich werde an die Liebich schreiben, bei der Gelegenheit kann es sich auch vielleicht machen daß Wilhelmi hier ein paar Rollen spielt, weil unser Geyer gerne in Prag spielen möchte, da tauschten sie sich aus, einerley Fach spielend*. Von Bruder Friz habe ich lange nichts mehr gehört. — Abends war DichterTheeT, wo ich auch spielen muste, und der Decla:‡ Solbrig sehr hübsch sprach. Gestern d: 7t Probe von Geheimniß, dann ein großes Dinèr auf dem Baade zur Feyer des Tages*, das erschreklich lange dauerte, dann Abends die ital: Oper*, und spät erst in die Stadt. da fand ich einen Brief von Grünb: der mir gar nicht genug schreiben kann wie gut es ihnen geht, und was Beers alles thun. Gestern hat sie die Prinzessin zum leztenmale gespielt, und d: 10t geben sie Concert, d: 15t will sie hier noch einmal singen*. Auf dieser Reise verdienen sie sich ein hübsches Geld. Gestern kam auch der ältere Bruder von Hellwig aus Berlin an, mit denen muß ich nun heute auch wieder auf dem Baade eßen, und Morgen bin ich da Sekondas Gast* der nach Töplitz reiset. Ja wenn du dabei wärest, wär das alles recht schön, so kann ich aber gar nicht meines Lebens froh werden, und wenn ich so wie Gestern, recht aus HerzensGrund deine Gesundheit getrunken habe, so werde ich denn beinah traurig, und schelte mich oft heimlich daß ich nicht mehr den heitern Sinn habe, und den Leuten brummig vorkommen muß, hoffe aber daß das ganz anderst werden wird, wenn Muks einmal da ist, und Freud und Leid tragen hilft. Wie langsam schwindet mir in dieser Beziehung die Zeit, und wie schnell entflieht sie mir wenn ich auf die Berge von Arbeit sehe die ich vor mir habe, zumal ich so manche Stunde, manchen Tag, in Sehnsucht verträume. Wenn es geht wie es gehn sollte, so müste ich bis zum Winter 1 ital:T 1 deutsche Oper, und 1 Meße nebst Anzahl andrer Compositionen fertig haben. Gott gebe seinen Seegen dazu. Sehr oft verzweifle ich daran. So komm doch und hilf mir, sprich mir Muth ein, und kritisire was ich mache, damit ich weis obs Gefallen wird oder nicht. Ach ja Mukin, thue das. Ja, sie werden sich hüten dich fort zu laßen, und dann, das verdammte Geld, Mukin muß ja sparen daß das Loß wieder zu gemacht wird das sie dem Ballabene gemacht hat. Ach es ist keine Rettung und Hülfe, die 3 Monate müßen noch ausgehalten werden, daß sie mir aber täglich länger vorkommen ist gewiß, und seit Ostern dünken mich schon Jahre verfloßen. – Geduld!!!Es soll mich herzlich freuen wenn der Louis so ein gutes Engagement in Fr: bekömmt*. Wie kannst Du garstiger Pumpernikel aber sagen es sei keine Sünde denen H: Direktoren das Leben ein bischen sauer zu machen? ich bin ja auch so ein armes Thier. – Um die MeßeZeit wird sich gewiß eine Gelegenheit finden mit der die Mutter reisen kann. Mir graut selber vor dem Scheiden, und ich gäbe was darum wenn ich sie schon wohl und Gesund an Ort und Stelle wüste. So früh ich kommen kann, komme ich, das versteht sich ohnehin. Nun Gott wird uns alle stärken zu dem was nöthig ist.
Ich weiß […]‡ nicht habe ich dir schon geschrieben daß ich erst im August in unser Quartier ziehen kann?T so lange muß also der Schreibschrank noch in Prag warten*. es ist recht fatal. – Herr Bayer ist also nicht in Wien geblieben, nun er hat einestheils recht. Er muß schon in Prag leben und sterben.
Ade Muks habe noch gar viel zu schreiben, und muß also Abschied von dir nehmen. ich drüke dich an mein Herz, Gott segne dich + + +. Grüße alle herzlichst, ewig Dein Carl. |
Mein guter vielgeliebter Muks. Ich muß dich nur gleich recht sehr loben, denn ich bin recht zufrieden und herzlich erfreut über deine Handlungsweise, und deine Ansichten. Gott sei Dank, du bist also nun im Stande selbst das zu verfechten, was du Anfangs auch gar nicht einsehen und begreiffen wolltest. So stand ich dir und der Mutter pp gegenüber wie du jezt seiner Exzellenz! Du irrst sehr meine geliebte brave Lina, wenn du glaubst daß mich dein No: 59. den ich so eben erhalte nicht erfreut hätte. sehr hat er das gethan, weil er deine innere Ueberzeugung, deine festgestellten Ansichten des Lebens so schön, und mit der Ruhe ausspricht, die allein Dauer und vollkommne Begründung verspricht. Gott erhalte und stärke immerwährend diese Gesinnungen, und das daraus entsprießende Vertrauen auf deine eigne Kraft, und auf mich. du wirst einsehen lernen daß jeder Mensch der Schöpfer seines eigenen Glükes ist, und meistens ungerechter Weise das Schiksal anklagt. Wer im Stande ist den Zwek seiner Bestimmung und seines Lebens einzusehen, und daher einig mit sich selbst ist, dem können die widerlichen wie die glüklichen Zufälle des Lebens nur zur weiteren Ausbildung und Beruhigung führen. Wenn wir beide die höchsten Foderungen an uns selbst machen, und unsre gegenseitigen Schwächen mit Liebe und entschuldigender Nachsicht ertragen, so wird gewiß die herrlichste innere Beruhigung unser Glük machen und uns alle Stürme des Lebens nichts anhaben können. Fallen dir denn bei solchen Gelegenheiten nicht alle Gespräche ein die wir mit einander geführt haben? und wo du meine Ansicht von denen TheaterMenschen immer so überspannt fandest? ich dächte dein Geist müste sich manchmal wie entschleiert und neu gebohren fühlen. Aber!! liebe Lina, nicht genug kann ich dir es wiederholen, laße dich wenn du auch das Herabgesunkne dieser Menschen siehst nicht verleiten, sie zu hart zu beurtheilen, bleibe immer recht wohlwollend gegen Alle. Ach es gehört so wenig dazu recht tief zu sinken, selbst bei den schönsten Anlagen und Natur und GottesGaben*. Ein paarmal habe ich recht lachen müßen über deinen Brief, wie dir die Angst komt wegen der Frau KapellMstrin. O du Oz! nun und ists etwa nicht wahr? laßt du nicht alles im Stich um es zu werden? ist das nicht eben mein Stolz? meine Freude, unser Glük? ja lieber Muks, das wann, wie und wo giebt ein und derselben Sache gar mancherley und entgegengesezte Gestaltung. Und soviel Stolz will auch ich recht gerne aussprechen, daß meine Lina es wohl sagen darf, um dieses Mannes Leben zu theilen und ihn glüklich zu machen entsage ich allem Tand eigenen Prunkes, und hoffe nur in ihm, durch ihn zu glänzen und glüklich zu sein. Komm gieb mir mir einen Buß, so recht von Herzen, du meine Auserwählte. und nun! Puntum! Das war eine schöne Geschichte in der Schenke. Gott sei Dank daß du dich früher davon machtest. wenn Du kannst so vermeide dergl: ganz, obwohl es vor der andern Seite gut war, daß du dich‡ nicht ausschloßest, da Alles gieng. Die arme Juli dauert mich sehr, bezeuge ja Kleinw: mein Beileid.
Mukkel kauf du nitz mehr, hier sind die Sachen jezt, spottwohlfeil. spare lieber das Geld. Es wäre Zeit daß der Merino Schaal fertig würde – Freut mich daß der gelbe Rott wieder hübsch ist. Nun muß ich in die Probe. habe heute schon so viel geschrieben, daß meine Finger ganz lahm sind. Grüße mir Dr: aufs herzlichste. auch die Mutter.
Gott segne dich + + + und erhalte dich stark und laße dich gedeihen
an Geist
und Seele, ich Vertraue unbedingt meiner Lina, sie wird
den glüklich zu machen suchen, der
auch kein anderes Streben kennt als dieses, und ewig
mit der innigsten Liebe hängen wird an seiner geliebten
Lina. Ihr
Carl.
Millionen Bußen.
Apparat
Zusammenfassung
habe einen Brief von seinem Bruder Edmund erhalten, der wegen einer Anstellung in Dresden anfrage; werde versuchen, ihn nach Prag zu vermitteln; klagt über Arbeitsüberlastung, da er bis zum Winter eine Reihe von Kompositionen zu schreiben verpflichtet sei; teilt mit, dass er erst im August die gemeinsame Wohnung beziehen könne; betr. Caroline, die er für ihre Haltung in einer bestimmten Sache? lobt; Privates
Incipit
„wie geht's dir? gut, hoffe ich. jezt spazierst Du“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Weberiana Cl. II A a 2, 11Quellenbeschreibung
- 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
- am unteren Rand der Versoseite von F. W. Jähns mit Tinte: „Carl Maria von Weber an seine Braut. Eigenhändig.“
Provenienz
- vermutlich zu jenen 60 Weber-Briefen gehörig, die Max Maria von Weber Anfang 1854 an Friedrich Wilhelm Jähns verkaufte; vgl. Max Jähns, Friedrich Wilhelm Jähns und Max Jähns. Ein Familiengemälde für die Freunde, hg. von Karl Koetschau, Dresden 1906, S. 403
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Muks, S. 404–409
Themenkommentare
Textkonstitution
-
„[…]“gelöschter Text nicht lesbar
-
„dich“über der Zeile hinzugefügt
Einzelstellenerläuterung
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„… sich aus, einerley Fach spielend“Friedrich Geyer spielte hochkomische Rollen und Intriganten; er gastierte am Prager Ständetheater am 30. September sowie 2., 7., 9. und 10. Oktober 1817 (Tagebuch der deutschen Bühnen 1817, S. 347). Im Austausch gastierte Wilhelmi in Dresden am 28. September sowie 2., 5., 9. und 12. Oktober (ebd., S. 301, 325).
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„Decla:“Abk. von „Declamator“.
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„… sie hier noch einmal singen“Therese Grünbaum sang die Prinzessin von Navarra in Johann von Paris in Berlin am 7. und 11. Juni; dazu sowie zum dortigen Konzert am 10. Juni vgl. u. a. AmZ, Jg. 19, Nr. 29 (16. Juli 1817), Sp. 494. Die Ankunft in Dresden verzögerte sich auf den 16. Juni; vgl. Tagebuch.
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„… gutes Engagement in Fr: bekömmt“Louis Brandts Gastauftritte in Frankfurt vom 11. Mai bis 18. Juni 1817 führten nicht zu einem Engagement.
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„… Schreibschrank noch in Prag warten“Wohl der Schreibtisch/Schreibschrank, den Weber laut Tagebuch am 29. März 1817 beim Prager Tischler A. Schambach in Auftrag gegeben hatte.
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„… Anlagen und Natur und GottesGaben“Vermutlich bezogen auf die Auseinandersetzungen zwischen L. Löwe und F. R. Bayer, die im folgenden Brief an C. Brandt nochmals thematisiert werden.