Carl Maria von Weber an Friederike Koch in Berlin
Dresden, Donnerstag, 9. August 1821

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An

Demoiselle

Friederike Koch.

Wohlgebohren

Berlin

Brüderstraße

11.

Nun! meine gute Kochen, Sie haben sich gehörig ausgeleert. – Ey ey was ist das für eine Strafpredigt; aber es freut mich. Ich mag es wohl leiden wenn man frey von der Leber weg spricht, und sein Herz erleichtert. In vielem haben Sie auch ganz Recht, aber auch recht viel Unrecht. Wie sehr verkennen Sie mich und meine Lina. Können Sie einen Augenblik zweifeln, daß ich nicht mit der innigsten Dankbarkeit und Freude an Berlin überhaupt, und nun gar an meine Freunde da denke? daß ich unendlich verstimmt fast durchaus während meines Aufenthaltes* war, ist gewiß, aber auch sehr begreifflich. der unangenehmste Zustand ist der einer ewig schwankenden Ungewißheit*. und das war mein Fall in Hinsicht des eigentlichen Geschäftsganges. nehmen Sie dazu, daß die einzige Hoffnung auf die meine Frau seit Jahren baut, der Gebrauch eines Baades*, hierdurch zerstört schien. Nehmen Sie überhaupt an daß mein ohnedieß ernstes Gemüth, durch die Erfahrungen der lezten Jahre noch mehr in sich selbst zurükgescheucht, eine Reihe von schmerzlichen Schlägen erhalten hatte, die denn auch endlich den Körper mürbe machen. daß das Gefühl einer solchen mächtig herannahenden Hinfälligkeit wohl den Trauerflor über das Leben hängen kann, so werden Sie mich entschuldigen wenn ich nun eben so und nicht anders sein konnte. Wie tief schmerzliches Unrecht thun Sie mir aber, wenn Sie daraus eine mindere Anerkennung der Liebe meiner Freunde oder Berlins überhaupt, folgern wollen. Dresden kann da gar keinen Vergleich mit B: aushalten. ich habe hier vielleicht gar keinen Freund, und in Kunsthinsicht vollends steht mir Niemand nahe. Glauben Sie daß ich dieß schmerzlich entbehre, und ich wollte Sie und alle meine Lieben in B: könnten die Gespräche mit anhören, die so häufig zwischen meiner Frau und mir diesen Punkt berühren. Es würde mich sehr unglüklich machen, wenn meine übrigen Freunde eben so schwarz in Beziehung auf mich sähen, als wie Sie. Aber ich weiß wohl, daß Sie ein besonders schwarzmachendes Talent haben, und lege Ihnen zur Buße auf, mich darüber zu beruhigen, und die Stimmen meiner Freunde zu sammeln.

Meine Lina hat sich entschließen müßen allein ins Bad zu gehen. Sie ist seit 3 Wochen mit Fräulein Hahnmann in Schandau*. ich habe Sie einmal besucht und ihr Ihren Brief mitgebracht. Sie fühlt sich recht gekränkt dadurch daß Sie ihr mit Gewalt Wiederwillen gegen Berlin unterlegen wollen, und wird Ihnen wohl bald selbst den Kopf waschen. Mit Freuden errinnerte sie sich des Liedertafel Abends*, wo sie gerne gerne dabey gewesen wäre. bei gerne, fällt mir Gern ein – der arme Mann – pfuy!* das hätte ich der sonst so klugen Frau nicht zugetraut; und über die ersten Sprudel Jahre ist sie doch auch weg. – –

Ich leide seit einigen Tagen sehr an Zahnschmerzen, und kann mich gar nicht schonen, da ich jezt der einzige im Dienste bin*, und daher alles dirigiren muß. das will bei unserem vielfachen Geschäfte was sagen.

Troz dem arbeite ich fleißig an meiner neuen komischen Oper* die diesen Winter noch auf die Bretter soll. Es graut mir schon davor sie hier mit diesen Mitteln zu geben — — in Gottes Nahmen es geht nicht anders ich kann nicht länger ausweichen. Lange schon habe ich an Gubitz schreiben wollen um ihm für die wahrhaft treffliche Rezension zu danken*, und an Lichtenstein* pp aber es geht nicht. Sie haben es durch Ihre Vorwürfe gezwungen, nun mögen Sie auch hübsch herumlaufen und alle herzlichst von mir dankend grüßen und mittheilen von diesem Geschreibsel was Sie wollen. Hoffmann hat über den Freyschützen schreiben wollen*. scheint es aber vergeßen zu haben. Mein treuer Wollank könnte ihn wohl daran errinnern, und zugleich sich auch. Uebrigens schreibe ich gewiß nächstens Jedem einzeln.

Nun ein herzliches Lebe wohl für heute. Gott erhalte Sie gesund und beßere Sie, vor allem aber glauben Sie voll treuer Freundschaft
und Liebe stets
Ihrem Weber

Auch an den Katalog Hansmann* laße ich Wollank dringend errinnern.

Apparat

Zusammenfassung

entschuldigt sich für seine trübe Stimmung in Berlin mit der Ungewissheit seiner dortigen Geschäfte; vergleicht Situation in Berlin und Dresden; seine Frau Caroline sei zur Kur; erwähnt Arbeit an seiner komischen Oper und bittet um Grüße an verschiedene Berliner Bekannte

Incipit

Nun! meine gute Kochen, Sie haben sich gehörig

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Weberiana Cl. II A e, Nr. 31

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (3 b. S. einschl. Adr.)
    • Siegelrest und -loch
    • PSt: DRESDEN | 9. Aug 21.

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Virneisel/Hausswald, S. 93–94 (Nr. 28)

Textkonstitution

  • „nicht“über der Zeile hinzugefügt
  • S„s“ überschrieben mit „S
  • ß„s“ überschrieben mit „ß
  • hgelöschter Text nicht lesbar
  • vollgelöschter Text nicht lesbar

Einzelstellenerläuterung

  • „meines Aufenthaltes“Weber war vom 4. Mai bis 30. Juni 1821 in Berlin, vgl. Tagebuch.
  • „schwankenden Ungewißheit“Die Uraufführung des Freischütz wurde mehrfach verschoben und verlängerte so Webers Aufenthalt in Berlin, vgl. Kom. in den Briefen von Weber an Könneritz vom 20. Mai sowie vom 10. Juni 1821.
  • „Gebrauch eines Baades“Zu dem geplanten, aber nicht zustande gekommenen gemeinsamen Aufenthalt von Weber und Caroline in Alexisbad vgl. Kom. im Brief von Weber an Naue vom 16. Februar 1821.
  • „Schandau“Zu Caroline Webers Kur in Schandau vgl. Kom. im Brief von Weber an Kind vom 1. August 1821.
  • „Liedertafel Abends“Friederike Koch hatte Caroline Brandt, Victoire Lichtenstein und Ernestine Wollank zu einem „Theeklatschee“ am 28. Mai 1821 zu sich eingeladen, da die Männer (unter ihnen Weber) sich an diesem Abend in der Liedertafel versammelten; vgl. den Brief vom selben Tag.
  • „Gern ein – … Mann – pfuy!“Zu Georg Gerns Trennung von seiner Frau, vgl. Brief von Weber an seine Frau Caroline vom 25. Juli 1821.
  • „… der einzige im Dienste bin“Zu Morlacchis Italien-Aufenthalt von Sommer 1821 bis März 1822 vgl. den Kommentar zum Brief an Friedrich Kind vom 31. Mai 1821.
  • „… an meiner neuen komischen Oper“ Weber arbeitete in diesem Monat am 8. August an dem Duett und Terzett Nr. 3 und am 31. August 1821 an dem Terzett der Drei Pintos, vgl. Tagebuch.
  • „… wahrhaft treffliche Rezension zu danken“Ein nicht überlieferter Brief von Weber an Gubitz mit einer Empfehlung für Pauli ist erst am 21. September 1821 im Tagebuch nachgewiesen, ob er darin auch für die Rezensionen gedankt hat, ist ungewiss.
  • „an Lichtenstein“Weber hat an Hinrich Lichtenstein bis zu dessen Besuch in Dresden (vgl. Tagebuch, 10. September 1821) keinen Brief geschrieben.
  • „Hoffmann hat über … Freyschützen schreiben wollen“E. T. A. Hoffmann hat keine Kritik über den Freischütz verfasst, wie Wolfgang Kron, Die angeblichen Freischütz-Kritiken E.T.A. Hoffmanns, München: Hueber 1957, nicht zuletzt anhand dieses Briefes überzeugend nachgewiesen hat, vgl. insbesondere S. 34f. und 100–103.
  • „… Auch an den Katalog Hansmann“Fraglich, welcher Hansmann in Berlin gemeint; infrage kämen Ferdinand Hansmann, Friedrich Hansmann oder der Sophien-Kantor L. Hansmann.

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