Carl Maria von Weber an die Berliner Freunde [1. Bulletin]
Gotha, Samstag, 12. September 1812

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Erstes Bulletin.

Völker! Baschkiren!!!Δ

Des Himmels Seegen, schwebte über meinen Sizzen, — leitete die Zügel der muthigen PostKlepper, und schwächte den berauschenden Schnapps der PostKnechteΔ, — damit unaufhaltsam ich dem großen Ziele — dem Hotel de Baviere — entgegen eilte*.

Noch waren nicht zwey volle Tage verfloßen, schon hatte ich viermal so viele Mahlzeiten überwunden, und ihr staunt mit Recht die raschen Schritte des Schiksals an.

Mein erstes Geschäft d: 2t Sept: in LeipzigΔ war, einen alten Feind, den Musikverleger Kühnel, in seinem Lager hinter den bekannten Verschanzungen der schlechten Zeiten und des geringen Absazzes, anzugreiffen.      Mein bloses Erscheinen bewog ihn sieΔ zu verlaßen und gutwilligΔ den Artillerie Park, der Overture, der Beherrscher der Geister, — ein noch zu errichtendes ClavierConcert, — ein leichtes Battaillon eben mobil zu machender Variationen, von Joseph angeführt, — und ein Concertino für Clarinette, in seine Staaten aufzunehmen undΔ zu verlegen*.      Nach diesem leichtenΔ Sieg besuchte ich den verbündeten Baschkiren Freund Gabain, und überlieferte deßen Tochter die anvertrauten Afrikanischen Depeschen*; nahm d: 4t bey ihm ein fröhliches Mahl ein, und sezte darauf meinen ZugΔ nach Weimar weiter fort. Δ

Die Großfürstin verlangte mit Ungeduld die Auslieferung einer gewißen berüchtigten Sonate, die ich so eben zusenden werdeΔ und nach meinerΔ Gothaschen Aufenthalt Höchstselbst vordrescheΔ. |

Den 6t langte ich in Gotha an, und erlaubte dem Herzog mich gütigst zu empfangen. Reißte den 8t mit ihm nach Reinhartsbrunn zur Revue meiner Truppen, und erhielt da das schönste Terrain, meine Lungenflügel und Hände vom frühen Morgen bis späten Abend im Feuer manövriren zu laßen.      d: 10t kam ich wieder zurük und eilte nun meinen lieben Getreuen alle diese höchst merkwürdige Dinge kund und zu wißen zu thun.

Mit gerechtem Unwillen muß ich aber sagen, daß Ihr in Eurer Mitte ein Subject beherbergt welches durch eine vorsäzliche ZurükbehaltungΔ meinen ganzen Zorn auf sich geladen hat*. Ich habe zu seiner HabhaftWerdung nachstehenden Stekbrief ausfertigen laßen, und indem ich Euch deßen Verbreitung schärfstens befehle, seegne ich alle ich alle Baschkiren und deren Anhänger aufs Feyerlichste und erwarte mit Sehnsucht einen genauen Rapport Ihres Thuns und Treibens.

Auch verordnen Wir schließlich, daß = da von vielen Seiten unsres Reiches, Klagen über die Schwierigkeit des Lesens unserer Handschriftlichen Zeichen eingelauffen — der Unglükliche der solche vorzulesen bekömt, und sich glüklich ohne Anstoß seines Auftrages entledigt, noch ein Glas Kümmel, extraΔ aus den Händen der liebenswürdigen Haustochter erhalten soll.

So geschehen d: 12t Sept: 1812 zu Gotha. Maria. |

Stekbrief.

Der MusikWeber Geselle Kielemann, der einige Zeit zwar nicht gerade in Lehre aber doch in Arbeit bey dem Weber Maria gestanden, und eines vertrauten Umgangs mit demselben gepflogen; — hat sich einer vorsäzlichen Veruntreuung höchst verdächtig gemacht.      Er hatte nehmlich ein Stükchen Zeug von eigner originaler Erfindung verfertiget und selbes zum Eigenthum dem Weber vermacht, indem es sehr dazu geeignet war, sich zu Zeiten drein zu hüllen, und dadurch schöne Errinnerungen zu erwekken, hat aber solches ihm nicht eingehändiget, sondern wahrscheinlich mit Willen zurükbehalten, da Er von jeher von verstokter und heimlicher GemüthsArt gewesen*.

Da nun unterzeichneter Behörde sehr viel daran gelegen des zierlichen Gewebes habhaft zu werdenΔ, so ersucht sie hierdurch alle Baschkiren und anderweitige Behörden, auf besagten gefährlichen KielemannΔ ein wachsames Auge zu haben, und ihm betretenden Falls, das Stükchen abzunehmen und betreten gegen Erstattung aller Unkosten, und Erbietung Gegendienstlicher HandlungenΔ, einzuliefern. Δ Die Grundfarbe des Gewebes war D Dur. die HauptBilder, Laune, und Herzlichkeit, das Ganze aus Liebe und Freundschaft gewebt mußΔ jedem dem es zur Anschauung komt ein freudiges Thränen lächeln abzwingen.

Signalement.

Der MusikWeberGeselle Kielemann ist lang und trokken. von Natur einem Pariser Violinbogen nicht unähnlich. schwärzliches Gesicht, von vielem Gebrauch des colofoniumsΔ. Geht viel ohne Hut, und ist vorzüglich daran kenntlich daß er mit dem Violoncell einen vertrauten Umgang pflegt, und häufig auf dem krummen Sande*. betreten worden ist. Ist übrigens ein herumziehendes Leben gewohnt, und weis Wechsel und andere wichtigeΔ Papiere aufs richtigste zu machen.

Seine Kleidung ist nicht genau zu bestimmenΔ, nur daß er zuweilen HofUniform trägt und den Wirth macht, muß bemerkt werden. Ueberdem singt er gewöhnlich Alt, als ob er dazu arrangiert wäre.

Die Einfachen und doppelten ContraPunkts
Gerichte.
[im Kreis:]L: S:

Apparat

Zusammenfassung

scherzhafter Bericht zum Verlesen im Berliner Freundeskreis über die Reisestationen seit der Abreise von Berlin (Leipzig, Weimar, Gotha), dazu spezieller Dank an D. Kielmann für sein Abschieds-Lied für Weber in Form eines „Steckbriefs“ mit Erinnerung, eine Kopie zu übersenden

Incipit

Des Himmels Seegen, schwebte über meinen Sizzen

Überlieferung in 2 Textzeugen

  • 1. Textzeuge: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
    Signatur: PB 37 (Nr. 2)

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (3 b. S.)

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, 44. Jg. (1899), 87. Bd., S. 23–24
    • Rudorff 1900, S. 17–20
  • 2. Textzeuge: Entwurf: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Mus. ms. autogr. theor. C. M. v. Weber WFN 6 (V), Bl. 36a/v und 37a/r bis 37a/v

Textkonstitution

  • v„V“ überschrieben mit „v
  • Zug„Reise“ überschrieben mit „Zug
  • „ich war nicht so glüklich Wieland aus dem Fenster gukken zu sehen, aber“durchgestrichen
  • „meiner“sic!
  • Eine vorsäzliche Zurükbehalten„seine“ durchgestrichen und ersetzt mit „ Eine vorsäzliche Zurükbehalten
  • W„w“ überschrieben mit „W
  • s„S“ überschrieben mit „s
  • Weber„macher“ überschrieben mit „Weber
  • „… Der Musik Weber“(dieselbe Korrektur auch im Entwurf)
  • „dieses gefährlichen Menschen, und Herausgeber“durchgestrichen
  • gefährlichen Kielemann„Kielemann“ durchgestrichen und ersetzt mit „gefährlichen Kielemann
  • „betreten“durchgestrichen
  • „Zur Erleichterung der Nachforschung haben Wir hier die Beschreibung deßhalb hinzugefügt.“durchgestrichen
  • muß„kann“ durchgestrichen und ersetzt mit „muß
  • nicht genau zu bestimmen„verschieden“ durchgestrichen und ersetzt mit „nicht genau zu bestimmen

Einzelstellenerläuterung

  • „… de Baviere — entgegen eilte“Zur Reise von Berlin über Leipzig und Weimar nach Gotha vgl. auch die Tagebuchnotizen vom 1. bis 6. September 1812.
  • „… aufzunehmen und zu v erlegen“Die entsprechenden Absprachen erfolgten laut Tagebuch am 4. September 1812.
  • „… Tochter die anvertrauten Afrikanischen Depeschen“Gemeint ist ein Brief von Hinrich Lichtenstein; vgl. Webers Schreiben an ihn vom selben Tag.
  • „… Zorn auf sich geladen hat“Weber spielt auf Kielmanns Abschieds-Lied „Viel Weber giebts in diesem Land“ zum 19. August 1812 an; vgl. Webers entsprechende Tagebuchnotizen. Weber hatte um eine Abschrift des Liedes gebeten; er erhielt sie laut Tagebuch am 15. September.
  • „… verstokter und heimlicher GemüthsArt gewesen“Vgl. dazu die obige Note zum Abschieds-Lied.
  • „… häufig auf dem krummen Sande“Örtlichkeit auf dem Weg von Berlin ins nahe gelegene Dorf Pankow.
  • L: S:Abk. von „Locus sigilli“.

Lesarten

  • Textzeuge 1: Baschkiren!!!
    Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
  • Textzeuge 1: PostKnechte
    Textzeuge 2: Postillionen
  • Textzeuge 1: in Leipzig
    Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
  • Textzeuge 1: sie
    Textzeuge 2: diese
  • Textzeuge 1: gutwillig
    Textzeuge 2: mit Freuden
  • Textzeuge 1: aufzunehmen und
    Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
  • Textzeuge 1: leichten
    Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
  • Textzeuge 1: Zug
    Textzeuge 2: Reise Zug
  • Textzeuge 1: Text nicht vorhanden.
    Textzeuge 2: ich war nicht so glüklich Wieland aus dem Fenster gukken zu sehen, aber
  • Textzeuge 1: so eben zusenden werde
    Textzeuge 2: ihr eben jezt zu sende
  • Textzeuge 1: meiner
    Textzeuge 2: meinem
  • Textzeuge 1: vordresche
    Textzeuge 2: vordreschen werde
  • Textzeuge 1: eine vorsäzliche Zurükbehaltung
    Textzeuge 2: seine Eine […] Flucht vorsäzliche Zurükbehalten
  • Textzeuge 1: extra
    Textzeuge 2: mehr
  • Textzeuge 1: daran gelegen des zierlichen Gewebes habhaft zu werden
    Textzeuge 2: an Habhaftwerdung dieses gefährlichen Menschen, und Herausgeber des zierlichen Gewebes gelegen
  • Textzeuge 1: gefährlichen Kielemann
    Textzeuge 2: Kielemann gefährlichen Kielemann
  • Textzeuge 1: und Erbietung Gegendienstlicher Handlungen
    Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
  • Textzeuge 1: Text nicht vorhanden.
    Textzeuge 2: Zur Erleichterung der Nachforschung haben Wir hier die Beschreibung deßhalb hinzugefügt.
  • Textzeuge 1: muß
    Textzeuge 2: kann muß
  • Textzeuge 1: schwärzliches Gesicht, von vielem Gebrauch des colofoniums
    Textzeuge 2: oben am Kopf, schwarz wie Kolofonium
  • Textzeuge 1: wichtige
    Textzeuge 2: kostbare
  • Textzeuge 1: nicht genau zu bestimmen
    Textzeuge 2: verschieden nicht genau zu bestimmen

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