Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater: 26. August bis 29. September 1815
Theater zu Prag.
(Eingesandt.)
Den 26. August. (Zum erstenmal.) Der travestirte Aeneas. Obschon der Referent durchaus nicht zu jenen Kunstliebhabern gehört, welche das Heil dramatischer Dichtungen schlechterdings nur in dem Gebiet der hohen Tragödie suchen, ja in Gegentheil der festen Meinung ist, daß der Wechsel selbst den Genuß jener noch erhöhet, und der Geist des alten Hamlets nicht minder das Gemüth ergreifen wird, wenn Tags zuvor der Schatten der Sichäus auf denselben Brettern das Zwerchfell erschütterte; so scheint es dennoch als wäre dieser Aeneas etwas zu sehr auf Localität berechnet, um in allen seinen Theilen dieselbe Wirkung hervorzubringen, und es gebe vielleicht manche ähnliche Gebilde des Komus, welche, allgemeiner gehalten, auch allgemeiner ansprechen müßten. Es ist die Eigenschaft der ächten Komik, daß sie selbst den Ernsthaftesten auch wider seinen Willen mit sich in ihre Laune reißen muß, und dieß Ziel würde vielleicht Herodes von‡ Betlehem eher erreichen; zumal da auch die Hussiten vor Naumburg dem Theaterpublikum lebhafter im Angedenken sind, als Virgils Aeneis, und das eigentliche Komische dieser Gattung doch hauptsächlich erst durch Vergleichung mit dem Erhabenen, welches es parodirt, sich ausspricht. Unsre Schauspieler haben den Aeneas mit einem sorgfältigen Fleiße einstudirt, der ihnen um so mehr Ehre macht, als gewöhnlich die Mitglieder der größeren Schaubühnen es unter ihter‡ Würde halten, komische Dichtungen mit Sorgsamkeit zu behandeln. Vorzüglich zeichen‡ sich Hr. Liebich als Jupiter, Mad. Brunetti als Dido, (welche den Ton eines gewissen Pathos mit dem es nicht Ernst zu seyn scheint, mit bewundernswerther Kunst trifft, und dabey stets auf der schmalen Linie zwischen Ernst und gemeiner Lustigkeit sich zu erhalten weiß) Mad. Allram, die aus ihrer Venus gerade eine kokette Zofe bildet, wie es der Dichter gewünscht zu haben scheint, und Hr. Gerstel als Jarbas. Hrn. Seewald (Aeneas) gelang es nicht so gut als Mad. Brunetti den wahren Ton der Travestie im höhern Sinn zu treffen. Auch Dem. Brand (Amor und Askan), und Hr. Löwe (Merkur) gaben ihre kleinen Rollen recht brav. Hr. Allram spielte den Heubauer Jopas, und das Publikum bedauerte herzlich, ihn nicht mehr und länger sehen zu können.
Den 19. Sept. Zum Besten des Hrn. Ehlers, Joseph in Egypten, Oper in 3 Aufzügen von Mehul. Alle Verehrer der höhern Tonkunst sind Hrn. Ehlers dafür dankbar, daß er ihnen den Genuß dieses ächt sentimentalen, im biblischen Geiste gearbeiteten Kunstwerks, welche seit Mohrhardts Tode ruhte, wieder verschafft hatte. Dieser reichende‡ Stoff, die Aufnahme Jakobs und seiner Söhne, die das Elend aus ihrem Vaterlande treibt, und Gottes Stimme nach Egypten ruft, bey dem Statthalter dieses Landes, in dem Jakob endlich seinen verlornen und todtgeglaubten Joseph wieder erkennt, ist von Herrn Alexander Duval ziemlich poetisch aufgefaßt, und von Mehul zu einem in sich abgeschlossenen Kunstwerk bearbeitet, das wohl einst die schönste Blume in des Künstlers Kranze ausmachen dürfte. Es ist nicht leicht, einzelnen Tonstücken in demselben einen besondern Vorzug zu geben, da das ganze Werk ohne künstlerischer Koketterie bloß auf Zusammenwirkung berechnet ist, und der Tonsetzer wohl den Sängern Gelegenheit giebt, Gefühl und Kunstkenntniß an den Tag zu legen, nicht aber mit Bravour zu glänzen. Wenn uns Mohrhardt im Joseph das Ideal der Pietät darstellte, so wußte dagegen Hr. Ehlers mit dem kindlich frommen Sinn auch noch die Kraft und Würde des Statthalters zu verbinden, des Mannes, vor dem das errettete Egypten im Staube liegt. Der einstimmigste Beyfall lohnte sein Streben. Auch Benjamin, der sonst durch eine Choristin gegeben ward, gewann an Bedeutsamkeit und Interesse durch das Spiel und den Gesang unsrer talentvollen Dem. Brand. Hr. Kainz mahlte den Simeon zwar mit starken aber wahren Farben, und vorzüglich schön sang Hr. Siebert den Jakob. Die übrigen 9 Söhne und der Vertraute Josephs ließen viel zu wünschen übrig.
Den 20. September. Hr. Lorenz Stark. Ein bürgerliches Charaktergemälde in 5 Aufzügen nach Engel. Obschon dies Stück nicht neu, und nur in einigen Rollen neu besetzt war, so kann sich doch der Referent seine Erwähnung nicht versagen, da dieser Abend durch den vortrefflichen Einklang des Personales, vorzüglich aber durch das untadelhafte Meisterspiel des Hrn. Liebich als Lorenz Stark, einer der genußreichsten war, den uns die Kunst seit langer Zeit gewährt hat. Dieses Schauspiel gehört zu jener Klasse von Charaktergemälden, die ohne ergreifende Momente das stille bürgerliche Leben zeichnen, und nur dann ein bedeutendes Interesse gewinnen, wenn die Kunst sich in Natur verwandelt, und zugleich diese durch jene erhöht und veredelt worden, so daß jeder Zug aus dem Gemüthe zum Gemüthe spricht, und die Personen des Stücks zu unsern nächsten Freunden zaubert. Diese Zauberkraft ist Hrn. Liebich in hohem Grade verliehen, und wenn er von den Mitgliedern seiner Bühne stets so unterstützt wird, wie dießmal, so kann es ihm nicht fehlen, das Publikum zu erfreuen. Ihm am Nächsten stand Mad. Brunetti (Doctorin) welche gleichfalls ihre Rolle ganz erschöpfte, und Hr. Gerstel als (Buchhalter); auch Mad. Junghans (Frau Stark), Mad. Sonntag (Wittwe Lück), und die Hrn. Polawsky (junger Stark), Reitzenberg (Doctor), und Allram (Krämer Fabritius) spielten sehr brav.
Den 29. September: Das Lotterieloos, Oper in 1 Akt von Isouard. Diese artige Operette ist vormals ziemlich kalt aufgenommen worden; und es schien Hrn. Ehlers, welcher diesmal den Plainville als Gastrolle gab, vorbehalten, das Publikum für Isouards gefällige und glänzende Musik zu gewinnen. Mad. Grünbaum sang die Adele, und im gewöhnlichen Notizenstyl könnten wir sagen; sie habe im Vortrag der großen Arie allen Zauber ihrer Kehle entfaltet, oder: sie habe sich selbst übertroffen; aber dieses ist nicht leicht möglich, und jenes ist gar zu abgenutzt, und wir begnügen uns mit der Versicherung, daß sie diese Rolle ganz ihres Ruhmes würdig durchgeführt habe.
Apparat
Generalvermerk
Bei Bužga fälschlich Weber zugeschrieben.
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Solveig Schreiter