Carl Maria Webers Oberon (Teil 4/8)

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Carl Maria Weber’s Oberon.

Fortsetzung.

Wir kommen nun zur dritten Scene, wo der Musik wie noch nie Gelegenheit geworden wäre, den höchsten sinnlichen Reiz, das Lockende, Verführerische, Bezaubernde, Schmeichelnde, mit einem Wort das Zerliniche* in ihr, zu entwickeln, und, ist die Stelle einmal auf der Bühne da, entwickeln musste; – ich meine, die Verführungsscene zwischen Huon und Roschana. In Wielands Oberon* ist diese Stelle die meisterhafteste von Allen, wer sie je gelesen, ist gewiss von ihr auf’s heftigste ergriffen worden; Bilder, Sprache, Rhythmus, alles ist ein süsses Einlullen und Murmeln, es ist so natürlich und menschlich, dass Huon dort einen ¦ heftigen Kampf besteht, aus dem er sich nachher um so herrlicher hervorhebt. Und hier ist wiederum ein merkwürdiger Unterschied zwischen dem redenden Drama und dem musikalischen. In der Poesie sind Stellen der Art nur für die erzählenden, beschreibenden Arten, im Roman, (Philine)* im Epos bei Wieland. Auf die Bühne gebracht, wo die Phantasie nicht wie beim Lesen durch blosses geistiges Vorstellen, sondern durch ausgesprochene Worte, Gemählde und Geberden in zu grosser Steigerung sinnlich aufgeregt würde, wäre eine solche Scene, weil sie da die niedere Sinnlichkeit in Anspruch nähme, nicht die höhere bloss, wie die Kunst soll, unmoralisch, daher nicht bloss verdammenswerth, sondern im höchsten Grade unschön, weil frivol. – Die Musik aber umkleidet Alles mit ihrem ätherischen, nur andeutenden, ahnen lassenden Gewande, nimmt daher das Körperliche mit sich fort, und versetzt die niedere Sphäre aus dem Auge ins Ohr in die höhere hinüber. Giebt der Dichter und Componist nicht Alles in und durch Musik, so wird die Scene entweder im blossen Wort, im Gemählde und in der Gebärde jene frivole, oder bleibt er im Wort und in der Gebärde in den sittlichsten Gränzen, eine unendlich todte und matte werden, die, wenn man die Dichtung kennt, unerträglich wird. Den letzten Weg haben beide gewählt, alles Musikalische haben sie verbannt, so dass Roschana, wie Almansor, nur spricht; statt dass sie selbst lockt, – wodurch sie beim Dichter allein fast ihre Wirkung erreicht, und natürlich, denn sie will ihn ja für sich, nicht für die Tänzerinnen, bezaubern – spricht Roschana nur von Rache, und sucht den Ehrgeiz des liebenden Huon, mit eben so viel Kurzsichtigkeit in die Natur der Leidenschaft die selbst als Ehrgeiz kalt im Vergleich mit Liebe ist, zu erregen, und will ihn nachher durch andere in einen liebenden Taumel bringen. Dem Gemählde fehlt daher nicht nur alle Wärme, sondern auch Wahrheit. – Musste irgend Jemand in der Oper singen, wäre sie es, in Tönen könnte sie unverletzend allen Zauber lockender, sinnlicher Leidenschaft aussprechen, und eine Wirkung auf Huon in dem Zuschauer vermuthen lassen, daher eine Spannung bewirken. So spricht sie so kalt, dass der Zuschauer, indem zwei Akte die grösste Meinung von Huons Edel¦muth absichtlich beizubringen strebten, diesen für wahnsinnig halten müsste, folgte er ihr. Wird nun obendrein diese Parthie, wie bei uns, einer nicht koketten Schauspielerin übertragen, die die Stelle, so wie sie da ist, für ihre Weiblichkeit verletzend hält, daher statt den Dichter im Spiel zu ergänzen, nur Hoheit und Stolz blicken lässt, so friert uns Alle dabei. Fast lächerlich ist, wenn Roschana mit grossem Pathos sich erklärt, jetzt wolle sie das Aeusserste versuchen, klingelt, und nun Tänzerinnen, nicht in lockenden Stellungen von Ferne oder sonst ihn zu sich hin winken, sondern ihn so umtanzen, dass er still stehen muss, sich nicht einmal bewegen kann, seinen Kampf auszudrücken, aus Furcht, eine Dame in einem Pas zu stören, und daher wirklich wie ein Tropf in der Nähe Roschana gegenüber steht, die auch nicht weiss wie sie thun soll, und stillschweigend dem Ganzen zusieht. Der Unmuth, der uns bei dieser Scene überfällt ist so gross, dass ihn der von nun an immer matter werdende Schluss, wo Einer nach dem Andern verschwindet, die Feuerscene in einem lächerlichen Possenspiel Faxen machender Mohren sich endet, und zuletzt in einem ungeheuer langen Parademarsch ein stummer Kaiser hereintritt, dem Huon aus der Ferne sechs Zeilen zu singt, ihn nicht zu steigern vermag. (Fortsetzung folgt.)

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Schreiter, Solveig

Überlieferung

  • Textzeuge: Münchener allgemeine Musik-Zeitung, Jg. 1, Nr. 45 (9. August 1828), Sp. 717–719

    Einzelstellenerläuterung

    • „… mit einem Wort das Zerliniche“Zerlina, eine Bäuerin und Braut des Masetto in Mozarts Don Juan.
    • „… Roschana . In Wielands Oberon“Christoph Martin Wielands Epos Oberon. Ein romantisches Heldengedicht, erstmals erschienen 1780 in vierzehn Gesängen im ersten Vierteljahresheft des Teutschen Merkur; im gleichen Jahr erschien auch eine Einzelausgabe: Oberon, ein Gedicht in 14 Gesängen, Frankfurt und Leipzig 1780; 2. Fassung 1785 in zwölf Gesängen: Die Sieben ersten Gesänge des Oberon sowie Die Fünf Lezten Gesänge des Oberon (Wielands auserlesene Gedichte, Bd. 3 und 4), Leipzig 1785.
    • „… im Roman, ( Philine )“Figur aus Goethes klassischem Bildungsroman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, erschienen Berlin 1795/96 in 8 Bänden.

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