Carl Maria von Weber an Gottfried Weber in Mainz
Prag, Mittwoch, 24. April 1816

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Geliebter Bruder!

Meinen Brief vom 2t Febr: wirst du hoffentlich erhalten haben. Endlich bin ich im Stande nachdem ich so lange deine Güte mißbraucht habe, dir meine Schuld zu tilgen, in beyliegendem Wechsel auf 35 ƒT. Tausend Dank mein lieber Alter für deine lange Geduld.      Mein Schiksal hat sich also nun entschieden und ich habe meinem Entschluß und Ueberzeugung getreu, zu Ostern meinen Contract aufgekündiget, und trete Ende September abermals eine große Reise an.      Nun es mein Abgang gewiß ist, geht das lamentiren los, und ich empfange manche erfreuliche Beweise von Achtung und Anhänglichkeit die die Leute freylich hatten früher zu Tage fördern sollen. Mein Weg geht von hier wahrscheinlich zuerst über Berlin, Leipzig, Hamburg Kopenhagen pp vielleicht nach England. vielleicht wende ich mich südlich. wie Gott und die Umstände es wollen.      Was mich selbst betrifft so ist mein Gemüth etwas ruhiger und sogar zuweilen heiterer geworden ich arbeite so viel es meine überhäuften DienstGeschäfte zulaßen. Meine Kantate geht nun auch in alle Welt aus, ich habe sie schon geschikt, 1tens an unsern Kaiser, der sie aber wahrscheinlich kurz nach dem Tode der Kaiserin erhalten hat, und also wohl ignorirt. das gehört zu meinem Stern. 2t an den König von Preußen, den ich zugleich um die Erlaubniß gebeten habe sie am 18t Juny in Berlin zum Besten der Invaliden aufführen zu dürfenT. worauf ich nun sehen werde was er sagt. 3t nach England an den Prinz Regenten, und 4t nach Bremen, wo die ConcertGesellschaft der Union mich zu einem wohlthätigen Zwekk darum ersucht hat. Vor kurzem ist hier Beethovens Schlacht bey Vittoria 2 mal gegeben worden*, und hat nicht gefallen, wahrscheinlich weil die Erwartungen zu hoch gespannt waren und – weil wirklich nichts dran ist. Ich habe dabey die Freude erlebt daß das Andenken an meine Kantate wieder recht lebendig geworden ist, und zwar zu meinem Vortheil. unter andern sagte der berühmte General Nostiz, der bey Leipzig mit den Küraßiren entschied und ein tüchtiger Musiker ist, bey mir hätte er die Völker reden, bey Beeth: die Buben mit Ratschen spielen hören.      So etwas erfreut. – Seit ein paar Wochen habe ich theils an einer Halsentzündung gelitten, von der ich mich noch nicht erholen kann.      Nun bin ich mit mir fertig und nun kommts an anderes.      Weißt du schon daß Meyerbeers Mutter den LouisenOrden vom Könige bekommen hat?* daß Meyer in Rom ist, wo man ihm postrestant schreiben kann? – meine lezten Nachrichten von ihm waren aus Venedig.      Sein Alimelek hat sich fortdauernd mit Glük erhalten. Seit Ostern aber liegt er, da Ehlers die hiesige Bühne verlaßen hat*.      Von Gänsbacher wirst du mehreres von mir zugeschikt erhalten haben*, und also beßere und neuere Nachrichten von ihm haben als ich.      die Gervais komt im May auf Gastrollen zu uns*. Ich hoffe ihr also Böses mit Gutem zu vergelten*, was mir immer eine erfreuliche Sache ist.      Gegenwärtig ist der Klavierspieler und | Komponist Hummel aus Wien hier*. hat ein unmenschliches Concert gemacht und giebt übermorgen das 2t*. Außerordentliche Nettigkeit und geperltes Spiel und große Dauer sind seine Vorzüge. die Natur des Instrumentes hat er aber nicht studirt. Adagio spielte er fast gar nicht, treibt sich in den gewöhnlichen KlavierPaßagen herum und hütet sich etwas zu wagen.      Er hat Recht, denn er blendet durch die vielen Schnörkel und unaufhörlichen Läufe.      Er ist der ganze Repräsentant der Wiener SpielArt*. Uebrigens ein guter schlichter Kerl, ohne Prätension und Dünkel.      Er geht von hier über Leipzig, Berlin, Breslau zurük nach Wien*. Seine lezte Comp: ein Septett ist wirklich treflich gearbeitet und meistens auch glüklich und rund gedacht. besonders Menuet und Andante. Seine Concerte haben alten Schnitt, und heißen nicht so viel.

Mit großer Freude lieber Bruder lese ich deine trefflichen, tiefen und scharf gedachten Aufsäzze in der M: Z:* die Klarheit und Bestimtheit darin erfreut mich unendlich. du Teufelskerl wirst dir eine hohe Stufe am Helikon erringen, und machst dich wahrlich hoch verdient um das innere Wesen der Kunst, was du so schön ins Leben führst, und nicht wie die alten Herren blos als eine Rarität zum angaffen hinstellst.      Wenn wir doch wieder einmal zusamen kommen könnten. ich habe so vieles auf dem Herzen was man dem dummen Papier nicht sagen kann, und weil ich ein Buch über das meinige schreiben müste. Weist du nicht was das für ein Theoretisches Werk ist an dem der Meyerbeer schreibt?      Aber nun habe ich auch ein Hühnchen mit dir zu pflükken, Ey du verdammter Kerl, wer erlaubt dir denn Leyer und Schwert zu componiren, wenn die erhabensten Männer des Jahrtausends es schon gethan haben. von mir spreche ich nicht, aber Bezwarzowsky !!!!*      Nun ich bin begierig auf deine Behandlung. hast du meine schon gesehen?

Nun heißts schließen. brauche keine Repreßalien wie es beynah scheint lieber Bruder, und schreibe mir bald wie dir und den deinigen es geht. Ich grüße meine liebe Frau Baas und deine Kinder aufs herzlichste.      behalte lieb deinen alten treusten Bruder
Weber

Editorial

Summary

schickt Wechsel zur Tilgung seiner Schulden; Reisepläne; nennt Adressen, an die er seine Sieges-Kantate bereits geschickt habe; berichtet über die Aufführung von Beethovens Schlacht bei Vittoria in Prag; betr. Meyerbeer; berichtet ausführlich über ein Konzert Hummels in Prag; bewundert Gottfried Webers publizistische Tätigkeit

Incipit

Meinen Brief vom 2t Febr: wirst Du hoffentlich erhalten

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: New Haven (US), Yale University, Beinecke Rare Book and Manuscript Library (US-NHub), Frederick R. Koch Foundation

    Physical Description

    • 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
    • Am rechten oberen Rand Bl. 1r Vermerk von Gottfried Weber: “Apr. 24
      beantw. 5. May

    Corresponding sources

    • Bollert/Lemke 1972, S. 74–76
    • Worbs 1982, S. 72–75

Text Constitution

  • “es”crossed out
  • “theils”overwritten

Commentary

  • “… Vittoria 2 mal gegeben worden”Am 6. und 14. April 1816T.
  • “… LouisenOrden vom Könige bekommen hat?”Der Königlich Preußische Louisenorden (auch: Luisenorden) war der höchste Damenorden des Königreiches Preußen und wurde am 3. August 1814 während der Freiheitskriege gegen Napoleon I. durch König Friedrich Wilhelm III. als Andenken an seine 1810 verstorbene Gemahlin Königin Luise gestiftet.
  • “… die hiesige Bühne verlaßen hat”Aufführungen des Werks fanden 1815 am 22., 24. und 30. Oktober, 9. und 24. November sowie 28. Dezember stattT, 1816 am 29. Januar und 19. März; eine Wiederaufnahme gab es am 13. August 1816, nun mit Stöger anstelle Ehlers in der TitelpartieT.
  • “… von mir zugeschikt erhalten haben”Zur Zusendung der ersten Teile der dramatisch musikalischen Notizen durch Gänsbacher vgl. den vorhergehenden Brief an Gottfried Weber vom 2. Februar 1816 sowie die Aufforderung im Brief an Gänsbacher vom 20. Januar 1816.
  • “… May auf Gastrollen zu uns”Vgl. den Prager SpielplanT zum 22., 25., 28. und 31. Mai sowie 10. Juni 1816.
  • “… Böses mit Gutem zu vergelten”Vermutlich Anspielung auf die vergeblichen Verhandlungen um eine Anstellung von C. Gervais in Prag. Die Gastvorstellungen hatte Franz Danzi vermittelt; vgl. Webers Brief an ihn vom 16. März 1816.
  • “… Komponist Hummel aus Wien hier”Ankunft Hummels in Prag laut Tagebuch am 9. April 1816.
  • “… giebt übermorgen das 2 t”Zu den Konzerten am 19. und 26. April 1816 vgl. u. a. Webers Bericht in der Prager Zeitung vom 2. Juni 1816.
  • “… ganze Repräsentant der Wiener SpielArt”Vgl. ergänzend Webers Urteil in Brief an Friedrich Rochlitz vom 22. April 1816.
  • “… , Breslau zurük nach Wien”Zu den Konzertauftritten in Leipzig am 7. Mai und in Berlin am 30. Mai, 5. und 7. Juni vgl. u. a. AmZ, Jg. 18, Nr. 21 (22. Mai 1816), Sp. 354–356, Nr. 25 (19. Juni 1816), Sp. 424f. und Nr. 29 (17. Juli 1816), Sp. 497.
  • “… Aufsäzze in der M: Z:”In der AmZ war im Dezember 1815 in 2 Folgen der Aufsatz Versuch einer Begriffsbestimmung von Ton, Tonkunst, Tonsetz-Kunst. Bruchstück aus einer ungedruckten Theorie der Tonkunst und im Januar/Februar 1816 eine Aufsatzfolge u. d. T.: Versuch einer praktischen Akustik der Blasinstrumente von Gottfried Weber erschienen.
  • “… ich nicht, aber Bezwarzowsky !!!!”Anton Beczwarzowsky, Leyer und Schwerdt für Singstimme und Klavier, 3 Hefte: Teil 1 im Selbstverlag 1815, Teil 2 im Selbstverlag sowie bei Schlesinger, Berlin (VN: 167) 1815, nachfolgend noch Teil 3 bei Schlesinger (VN: 507) 1817.

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