Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Dresden, Mittwoch, 23. Juli 1817 (Nr. 70)

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An Mademoiselle

Carolina Brandt.

Wohlgebohren

Mitglied des Ständischen Theaters

zu

Prag.

Mein vielgeliebter Muks!

Graf Brühl hat entsezliche Eile. ich schrieb doch d: 17t an ihn, begehrte noch 2–300 rh: Quartiers, Uebersiedlungs und Reise Geld, Urlaub pp und sagte auch daß ich vor Rükkunft des Grafen Vizth: nicht bestimmt mein Wort geben könnte, – darauf erhalte ich nun die Antwort die so lautet = Mit Vergnügen habe ich bester H: v: W: Ihr Schreiben vom 17t erhalten, und sogleich die nöthigen Schritte gethan um die Sanction S: Maj: des Königs zu erhalten. der StaatsKanzler Fürst Hardenberg ist bereits hievon durch mich unterrichtet und hat mir seinen vollen Beifall über meinen Vorschlag zu erkennen gegeben. Sobald ich das ultimatum des Königs erhalten habe, werde ich nicht ermangeln, es Ihnen unverzüglich zukommen zu laßen. =

Nun bittet er mich noch den Kienlen an meine Stelle vorzuschlagen, antwortet aber gar nicht ausführlicher auf die Punkte meines Briefes. da woraus und aus der so schnellen Berichterstattung an den König ich aber schließen muß, daß er alles bewilligt habe, sonst könnte er ja meiner Einstimmung nicht gewiß sein.      Ich bekam den Brief Gestern Nachmittag eben als ich zu meinem Director gehen wollte, den ich aber nicht traf, da er beim OberstKammerherrn speißte. um 12 Uhr gehe ich zu ihm, eine harte Stunde die ich fürchte weil ich ihn persönlich ehre und liebe, und einsehe in welches Elend mein Abgang alle Angelegenheiten stürzt. Nun ich werde ja sehen was man hier thun will um mich zu erhalten. Auf diese Weise ist wirklich der Vortheil in Berlin zu überwiegend. um 800 rh: mehr Gehalt. alle kleinen Opern dirigirt der MusikDirektor alle Chor Proben macht der ChorDirektor, also kann mich nur immer die 3t große Oper treffen. Welch ein Zeitgewinn, für meine Arbeiten und meine Gesundheit, im heiteren häuslichen Leben. Jeder Tag belehrt mich mehr, daß ich eine solche Thätigkeit nicht aushalten kann, und das Resultat davon doch nur immer einseitig für eine Stadt ist. wo hingegen wenn ich viel arbeite die ganze Welt bleibende Zeichen von mir erhalten kann die auch nebenbey mir meine Existenz durch ihren Ertrag verbeßern.       Noch bin ich nicht ganz entschieden, aber die Wagschaale neigt sich sehr nach Berlin.      d: 21t früh vollendete ich die kleine Kantate zum Geb Namenstag der Prinzeßin Marianne, dabei fällt mir ein, daß d: 28t auch der Mama Ballabene Namenstag ist. Abends brauchte ich mein erstes Bad. und gieng dann nach Hause und ließ mir was zu eßen holen, denn ich hatte wüthenden Hunger. überhaupt muß ich das meinen Pillen laßen, daß sie mir herrlichen Appettit verschaffen, und wenn der dume Hals nicht wäre, befände ich mich recht sehr wohl. Gestern d: 22t wollte ich um 10 Uhr in die Probe gehen, als mir der H. Bergman mit Halsweh gemeldet wurde, und aus der Probe nichts werden konnte. Es sizt ein rechtes Pech auf der Lodoiska, sie wird von einem Tage zu dem andern verschoben. ist mir recht fatal. ich arbeitete ein bißel an der Oper und an der Meße. fraß mit gehörigem Apettit im goldenen [Engel], /: denn der lebende bist du!! :/ ging nach Tisch vergeblich zum H. Grafen, und dann aufs Bad mit Baßi und Miksch, um einen SpazierGang mit dem Bad zu verbinden. vom Bad herein, noch ein bißel im Engel, und um ½ 10 Uhr schon im Bett, nachdem ich Opodeldok* eingerieben, wollne Lappen umgebunden, gegurgelt und gepillt hatte. welches mir alles, nebst dem Baden, sehr langweilig, theuer, und Zeit freßend ist. [H]eute habe ich eben so wieder den Tag begonnen. Lection gehabt*, Böttger besuchte [m]ich, und ist ganz außer sich bei dem Gedanken daß ich vielleicht weggehen | könne. auch ich würde manchen dieser trefflichen Männer, besonders meinen lieben Kind sehr entbehren. aber was ist zu machen, alles kann nun einmal in der Welt nicht vereinigt sein.       Was hat denn die Nachricht von dem Berliner RufT in Prag für Sensation gemacht? davon schreibst du mir gar nichts, vielleicht eben so viel wie beim Dr:? dann ists nicht viel. Er muß wirklich sehr in Trübsinn versunken sein, daß ihn das nicht mehr intereßirte. Die Türk hat mir einen recht freundlichen Brief geschrieben, in dem Sie dich bestens grüßt, und es schon für bekannt annimmt daß wir hin kommen. von den übrigen habe ich lange nichts gehört, wahrscheinlich werden sie nicht rathen, und daher auch nicht schreiben wollen.       Jezt muß ich mich anziehen, und zum Grafen gehn. Nach Tische ein Mehreres. Heute ist deutsches Schauspiel in Pillnitz, Der Rothmantel.       Guten Apettit Mukkin! bist du noch bös über meinen lezten etwas ernsten und grämlichen Brief? gieb mir einen Buß und sei gut. ade? ade!

Servus, H: v: Muks. da habe ich denn ein langes und breites mit dem guten Grafen gesprochen, der ganz außer sich ist, und mich auch sehr dauert. Er hat mit so großer Anstrengung die Sache so weit in Gang gebracht, und nun sollen alle seine Bemühungen und das Streben aller wakkeren Menschen an der Vorliebe für eine unwißende heimtükische elende Bestie, scheitern. Schon heute Mittag wollte er in Pillnitz Gelegenheit nehmen mit dem Minister und dem Könige davon zu sprechen. Er sagte, wenn der H: Morlachi so lange entbehrt werden kann, so brauchen wir ihn überhaupt nicht. das ist nun wohl wahr, aber dahin wird er es nicht s bringen, der S. Maj. haben zu viel Vorliebe für Morlachi, und zwar auch aus einer Art von RechtlichkeitsGefühl, weil alles gegen ihn ist, so will er ihn doch nicht sinken laßen.       Einer von uns wird also wohl weichen müßen, und das werde wohl ich sein, denn ich kann es am bequemsten, und ehrenvollsten, indem ich dadurch beweise daß ich nichts mit ihm gemein haben mag. – Wie mich der Director frug, wa[s] ich denn nun eigentlich wünschte, so muste ich ihm gradezu sagen daß ich das selber nicht wüste. Nur so viel wäre gewiß, daß es in dieser Art nicht auszuhalten sei.       Wenn man auch noch so viel Vernunft zu Hülfe nimmt, und sich ewig wiederholt daß solche Erbärmlichkeiten viel zu tief unter der Würde des Mannes sind, als sie zu beachten, so kann man doch dem reizbaren Gefühl nicht verbieten, dadurch wenn auch nur für Augenblikke erregt und erbittert zu werden, und wo soll das hinaus wenn das immer so fort gienge, das wäre ja nicht auszuhalten. Nun in 14 Tagen muß alles entschieden sein, ob du eine Königl. Sächs: oder Preußische KapellMsterin bist.       Es ist ein wahrer Lotterie Griff, und ich überlaße es der allwaltenden Vorsehung wie sie es lenken wird. in Berlin graut mir auch vor vielem, aber wo giebt es nichts Grauliches?       Mit dem comp: will es unter diesen Umständen und Spannungen nicht recht vorwärts. Besonders hindert mich aber das, daß ich nicht singen darf und alles nur ganz in der Idee arbeiten muß.       Übrigens ist mir aber wirklich recht wohl, ich habe nach Tische gar keine Neigung mehr zum still sein, und schlafe bei Nac[ht] meinen ordentlichen Stiefel weg.     Gestern habe ich was gethan | wo ich fast Haue verdient hätte, ich ließ mich nehmlich Mittags verleiten Schwämme zu eßen, so recht gute kleine, mit Petersilie und Butter gedünstet. freilich aß ich nur ein paar Löffel voll, aber das wär mir vor ein paar Wochen übel bekommen, Gestern aber habe ich sie gar nicht gespürt, was mir sehr angenehm war, und mich guten Muths für mein Magerl machte.      In dem kleinen Pillnitzer Theater werden sie heute gut schwizzen, denn es ist grimmig heiß. mir ist das aber lieb denn es ist meinem Baden zuträglich.       Aber Mukkin, was ist denn das? schon in ein paar Briefen sprichst du mir immer von blaß werden, mager werden pp was soll das heißen? bist du krank? das wolle Gott verhüten, und du mir es nicht verschweigen. ists aber aus Sehnsucht, so denke daran daß sie dein Carl eben so ausstehen muß, daß die Zeit der Trennung bald vorüber ist, und daß ich dir befohlen habe /: dießmal will ich einmal befehlen :/ daß du [ditt] fett, und roth sein sollst. und wenns es anderst ist! [Nun], du weißt schon, – so geh ich gleich wieder auf [mein] Schiff, und fahr nach Amerikaa!* ja! ja! – Grüße Grünb: von mir schön, oder sag es nur gerade zu dem Stiepanek, er möchte mir doch Partitur und Buch von Joconde so bald als möglich abschreiben laßen, für Geld und gute Worte versteht sich.

Wegen des Dr: Bücher Comission kann ich noch immer nicht ins Reine kommen, mit nächster Post aber hoffe ich gewiß die Adresse deßjenigen zu schikken der das Geschäft übernimmt.     Bey Odonells bin ich seit der ersten Visite nicht [gew]esen; ich schäme mich ordentlich jezt hinzugehen. [Kann] auch niemals Zeit dazu finden. ich gehe wirklich [zu] Niemand.       Nun will ich so nach und nach ans Bad denken.      

Gott behüte und seegne dich + + + vielgeliebtes Leben, ungeduldiger Mammelutt, treuloses Krokantill.       Grüße mir die Mutter und alle bestens. mit der Mutter gehts wohl wieder gut, da du mir nichts mehr von ihr schreibst. desto beßer.       Lebe wohl, sey brav, heiter, und – – fett! fett! fett! sonst wett! und nicht in Ett, ohne Spett, – –
Ich umarme dich 1000mal, ewig dein dich treu liebender Carl.

Millionen Bußen /: das sieht aus wie Rußen ’s sind aber Bußen.

Editorial

Summary

berichtet Neuigkeiten aus Berlin: Brühl treibe die Sache offensichtlich eilig voran; erwägt Vorteile einer Anstellung in Berlin; habe die “Kränze zum Annen-Tage” am 21. vollendet; Tagebuch 21.-22 Juli; berichtet über sein Gespräch mit Vitzthum; äußert sich abfällig über Morlacchi; bittet um Abschrift der Partitur von “Joconde”; betr. Bücher-Kommission für Jungh

Incipit

Graf Brühl hat entsezliche Eile. ich schrieb doch

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Shelf mark: Mus. ep. C. M. v. Weber 110

    Physical Description

    • 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
    • bei der Adresse von fremder Hand “Dorin” in Tinte vermerkt; außerdem Postvermerk “30” in Röteln
    • vom 2. Blatt unten ein Stück abgerissen (möglicherweise mit Nachschrift), dabei auch eine Ecke des 1. Blatts mit abgerissen (geringer Textverlust)
    • Rötelmarkierungen von Max Maria von Weber

    Corresponding sources

    • Muks, S. 447–453

Text Constitution

  • “in”uncertain transcription
  • “da”crossed out
  • “… mir erhalten kann die auch”„die auch“: Tinte verwischt, Worte aber noch lesbar
  • “Geb”crossed out
  • “der”added above
  • “s”crossed out
  • sie“Sie” overwritten with “sie
  • “Nun”supplied by the editors
  • “mein”supplied by the editors
  • “Kann”supplied by the editors
  • “fett”dreifach unterstrichen
  • “fett”vierfach unterstrichen

Commentary

  • “… im Bett, nachdem ich Opodeldok”Einreibung aus Seife, Kampfer, Rosmarin- und Thymianöl nach Paracelsus, angewegndet bei Rheumatismus und Gicht.
  • “… den Tag begonnen. Lection gehabt”Zu Webers Italienisch-Lektionen vgl. den Kommentar zum Brief vom 5./7. Februar 1817.
  • derrecte “denn”.
  • “… Schiff, und fahr nach Amerikaa!”Zum Zitat aus der Oper Der lustige Schuster vgl. den Kommentar zum Brief vom 3./6. Juni 1817.

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