Carl Maria von Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
Hosterwitz, Montag, 6. September 1824
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Absolute Chronology
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- 1824-09-03: to Mosel
- 1824-09-05: from Brühl
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- 1824-09-06: to Biedenfeld
- 1824-09-28: from Weber
Direct Context
Preceding
- 1824-06-24: to Lichtenstein
- 1824-09-04: from Lichtenstein
Following
- 1824-09-15: to Lichtenstein
- 1824-12-21: from Lichtenstein
S: Wohlgebohren
dem Herrn Profeßor, Direktor des
Zoologischen Museums pp
zu
Mein theurer Bruder!
Du bist wohl gut, mir eher zu schreiben als ich es nach meiner Rükkunft gethan. ich wollte dir aber die Abschriften des lezten Sp. Briefes und meine Antwort mitschikken; nun hat sie Brühl, von dem ich sie erst zurük erhalten muß. ich habe ihn gesprochen*, aber noch nicht recht ausführlich. er hat mir die Akten mitgetheilt, aber ohne die lezten, eigentlich den Schluß machenden, die mir aber Sp: geschikt hatte, um sich nach seiner Meynung schön zu machen, woraus ich aber noch deutlicher ersah mit welcher Hinterlist und Erbitterung er gekämpft hatte. daß du die Part: der Eur: hast, wußte ich nicht. hast du sie offiziell bekommen? oder nur so zur Ansicht? ich hatte doch an Brühl geschrieben — nach seinen und deinen Wünschen*, — er solle sie einstweilen ins Archiv legen, darauf erhielt ich nun weiter keine Antwort. das riecht mir doch auch etwas als Winckelzügerey.!?? du hast mir auch noch nicht gesagt was der Aufsaz in der AbendZeitung von dem ich dir Exemplare schikte* für Wirkung gethan, und wie du damit zufrieden warst. ich hoffte immer in meiner Marienbader Einsamkeit etwas von dieser Geschichte zu hören. am Ende wars aber auch gut daß ich ganz abgeschnitten von allem blieb. der Aufenthalt war langweilig*. ob er mir was genützt hat, mag Gott wißen. Mein Kopf ist noch eingenomen, der Andrang des Blutes derselbe, und der Sinn eben auch nicht heiterer geworden.
Von London hat es so lange vorgespukt*, bis endlich ein wirklicher Antrag kam, von Kemble für Coventgarden, die Direction zu übernehmen für, die nächste Season vom 8b bis July 1825, und 2 Opern zu schreiben. Logier den ich unterdeßen zu meiner großen Freude gesprochen*, wird dir nun wohl das Nähere erzählen. ich habe es natürlich nicht abgelehnt, obwohl für dieses Jahr wohl nichts daraus werden wird, erstlich schüttelt man die Opern nicht so aus dem Ermel, zweitens ist meine Lina im gleichen Fall mit deiner Victoire, und wird auch im Januar oder Februar niederkommen. Gott gebe es beides glüklich*. | da kann ich mich dann unmöglich so weit entfernen, und überhaupt nicht wohl für so lange Zeit. ich habe deßhalb des breitern an Kemble geschrieben, und werde nun sehen wie sich die Unterhandlungen wenden. auch müßen die Bedingungen klar ausgesprochen sein. Auf jeden Fall bin ich entschloßen wenn es angeht, einige Jahre hinter einander 4-5 Monate in London zuzubringen, und mir hoffentlich dadurch ein hübsch Vermögen zu machen. Seiner Zeit werde ich daher sehr deine Güte in Anspruch nehmen.
Wenn du die Euryanthe hören willst mußt du hieher kommen, denn ich glaube in Berlin könnte noch manches Kind gebohren werden, bis diese Oper die Bretter betritt. Eine tüchtige Beurtheilung des Werkes? — lieber Gott, unsre Kritik liegt im Argen, wo die Welt Etwas hoch stellt, ist sie recht fleißig bemüht es herabzuziehen, und zu begeifern. d: 30t August war sie wieder. troz der großen Hizze bei brechend vollem Hause, und enthusiastischer wie jemals. die Devrient und Funk, gerufen. das war sehr gut, denn anwesend waren, Brühl, Seidlers, Hofrath Heune, /: Clauren :/ und viele viele Berliner und Wiener. d: 14t ist sie wieder, da die Reise der Funk nach Lukau frühere Wiederholungen verhindert, überhaupt kann man sie jezt recht oft hören. Es wäre herrlich wenn ihr einmal so ankämt. den armen Wollank grüße mir 1000mal.
Unser Theater liegt in einer fatalen Krise. unser Intendant geht Ende 7b als Gesandter nach Madrid, und noch ist kein Nachfolger ernannt. Morlachi ist auch noch nicht zurük*. Man hat provisorisch zwei sehr schwache Leutchen angestellt. ich laße sie gewähren, und thue nur was ich muß. daher mein Dienst in diesem Augenblik nicht eben drükkend ist.
Die Lust zur Arbeit ist noch nicht recht wiedergekommen, ich sehe zwar die Pintos zuweilen von der Seite an, aber recht erwarmen kann ich nicht. Von dem Königsstädter Theater hat man diese und andre Arbeiten von mir gewünscht. | ich erzählte es Brühl*. der protestirte aber eifrigst, wobei er klar aussprach daß er seine Stelle nicht niederlegen würde, und daher immer auf mich rechne. ich gestehe den Glauben an die Aufführung eines Werkes von mir in Berlin verlohren zu haben, wenn nach Einsicht dieser Aktenstükke*, keine durchgreiffende Maaßregel gegen Sp: erfolgte, so weiß man nicht mehr was man glauben und erwarten soll, als den Sieg der Ränke und Unverschämtheit.
Br: hat mir auch Wunderdinge erzählt wie der Ritter nun auch Robert, wie früher Hoffmann, umgarnt und in sein Intereße gelokt habe*. — —
Wollte der Himmel du würdest so böse daß noch nichts ordentliches über die Eur: geschrieben ist, daß du es selbst thätest. Es würde gewiß was Tüchtiges. aber sehen müßtest du sie doch vorher. Gottfried Weber hat mir sehr ehrenvoll darüber geschrieben. vielleicht thut der etwas.
Ich muß schließen, denn meine Frau soll Aderlaßen.
Gott befohlen. schenke mir bald wieder ein halb Stündchen deiner kostbaren Zeit, du glaubst nicht wie du dadurch erfreust,
deinen dich über
alles liebenden Bruder
Weber.
Hosterwitz d: 6t 7b 1824.
Editorial
Summary
Aktenstücke als Beweis für Spontinis Hinterlist; Weber ist verwundert darüber, dass Lichtenstein nun die Euryanthe-Partitur hat; erörtert mögliche Wirkung eines Artikels in der Abend-Zeitung; über Marienbad-Aufenthalt; London-Pläne; Privates; Weber glaubt nicht mehr an eine Euryanthe-Aufführung in Berlin; in Dresden ist sie jedoch weiterhin erfolgreich; Mangel an qualifizierten Rezensionen des Werkes; Theaterkrise in Dresden absehbar; wenig Schaffensdrang
Incipit
“du bist wohl gut, mir eher zu schreiben”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Tradition
-
Text Source: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
Shelf mark: PB 37 (Nr. 63)Physical Description
- 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
- Siegelrest
- Siegeleinriss
- PSt: DRESDEN | 6. Sept. 24
Corresponding sources
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Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, Jg. 44 (1899), Bd. 87, S. 384–385
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Rudorff 1900, S. 208–212
Commentary
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“… dem ich dir Exemplare schikte”Im Brief vom 24. Juni 1824 hatte Weber lediglich mitgeteilt, Lichtenstein „mit nächster Post“ Exemplare des Artikels schicken zu wollen, dann aber wohl die Absendung über seine Reisen nach Quedlinburg und Marienbad vergessen (im Tagebuch finden sich keine Hinweise zum Versand).
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“… blieb. der Aufenthalt war langweilig”Zu Webers Kuraufenthalt vom 11. Juli bis 11. August 1824 vgl. die Tagebuchnotizen.
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“… hat es so lange vorgespukt”Vgl. u. a. die Mitteilung im Literarischen Conversations-Blatt vom 8. Juli 1824.
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“… Gott gebe es beides glüklich”Alexander von Weber wurde am 6. Januar 1825 geboren, Ernst August Wilhelm Lichtenstein am 10. Januar 1825.
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“… ist auch noch nicht zurük”Zur Rückkehr vgl. Webers Tagebucheintrag vom 10. September 1824.
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“… in sein Intereße gelokt habe”Hoffmann hatte für die Berliner Einstudierung der Olimpie eine deutsche Übersetzung des Librettos geliefert. Für die bevorstehende Aufführung von Alcidor wandte sich Spontini in gleicher Angelegenheit an Ludwig Robert (vgl. Webers nächsten Brief an Lichtenstein vom 15. September 1824), allerdings stammt die 1825 in Berlin aufgeführte deutsche Textfassung von Herklots.