Carl Maria von Weber an Gottfried Weber in Mannheim
Leipzig, Dienstag, 31. Dezember 1811

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S: Wohlgebohren

Herrn Licentiat

Gottfried Weber

zu

Mannheim

Prost Neujahr!

Etsch! hab dirs abgewonnen, da hast du einen herzlichen derben Kuß o[Kreis als Kuß] und übrigens bleibts Gott sey Dank mit Uns beym alten. Daß du deinen lieben Eltern, Gustel, Houts pp recht ordentlich in meinem Nahmen gratulirst versteht sich am Rande, und nun gleich zum Trost die Nachricht daß ich – in Leipzig bin. allwo ich d: 27t anlangte. doch nun zur Ordnung zurük. d: 30t November schrieb ich dir* zum lezten male von München aus, und d: 1t December trennte ich mich schwer, von da und fort gieng die Reise nach Prag wo ich d: 4t nach Tag und Nacht fortgesezter Reise ankam. die Freude des guten Jörgels war eben so wie meine grenzenlos. Er hatte noch nie mündlich über den V:[erein] gesprochen. du kannst also denken daß ich ihm viel zu erklären, auseinander zu sezzen und zu erzählen hatte. ich hielt eine förmliche Sizzung mit ihm, und gab ihm alle unsre gewechselten Briefe zu lesen die ihn denn sehr au fait sezten, und zugleich lebendig für die Sache entflammten, ich zeichnete ihm einige Wege zur Thätigkeit vor, und befahl besonders streng sich in öftere Berührung mit dem C:[entrum]* zu sezzen. Er wird es halten. die andern Menschen die ich da kennen lernte beobachtete ich vereint mit ihm, genau, und fand leider daß keiner sicheigne.

Gänsbacher hat ein Requiem* geschrieben das* ganz vortrefflich ist, es ist so neu im Plan, himmelweit von Voglers verschieden*, so kräftig, so fließend und gelehrt ohne Schwulst daß es mich wahrhaft hingerißen hat. ich wünschte daß Dusch einen deutschen Text* dazu machte und du es aufführtest*. Nachdem wir überall herrlich in Prag aufgenommen wurden gaben wir d: 20t unser Concert* worüber dir Trias ein mehreres schreiben wird. es fiel sehr gut aus wir nahmen gegen 4000 ƒ ein, und alles gieng sehr gut. d: 22t Abends ein paar Stunden vor meiner Abreise erhielt ich deinen Brief vom 12t und 13t zu meiner großen Freude. ich habe dir ja geschrieben du möchtest | nach Prag schreiben. Trias las ihn auch mit Freude. die Fehde* hat mich sehr amusirt. Beers Aufsaz* ist recht brav und ganz dem Geist des V:[ereins] angemeßen. es ist mir lieb daß ich ein Zeichen seines Lebens dadurch erhalten. schreibe ihm doch daß er die Briefe zurecht macht die er mir nach Berlin geben will. daß der Erste Ton einmal wieder dran kam* hat mich sehr gefreut. daß Fröhlich so ein Schlingel* ist begreiffe ich nicht. das wegen der Jahrbücher* werde nächstens wo einfließen laßen. habe überhaupt so viele Aufsäzze in petto daß ich nicht weis wo ich anfangen soll. es geht mir wie dir, ich muß meine Zeit mit elenden Visiten und nichtswürdigen Abhaltungen zubringen. wie heißt denn der H: Courtin*? ich muß doch das Wesen auch kennen.

d: 23t früh 2 Uhr reisten wir ab von Prag und kamen d: 24t in Dresden an. da der Hof nicht da war, so fanden wir es für gut einige vorläufige Anstalten zu treffen und dann sogleich nach Leipzig abzugehen wo wir d: 27t früh anlangten und ich die von dir geschikten Empfehlungen* fand. daß Benzels Manheim verlaßen* thut mir unendlich leid. hier hatte ich nun so viele Briefe abzugeben daß ich ganz toll im Kopfe wurde bey dem langweiligen Kaufmanns Volke. kaum war ich 5 Minuten bey Härtel so fragte er nach dir. ich gab ihm zu verstehen daß du etwas böse seist, worauf er sagte daß du aber auch gar zu empfindlich seist und dir oft nicht die kleinste Abänderung pp gefallen ließest, die meistens durch Umstände nöthig würden die niemand als der Redakteur einsehen könne, doch hoffe und wünsche er sehr mit dir wieder auf dem alten Fuß* zu stehen. ich glaube also beynah daß du auf dieses hin wohl wieder einmal an ihn schreiben könntest. Bey der ersten Visite kann man freylich nicht gleich alles so auskramen wie man gern wollte, z: B: bey Rochliz war ich lange, und wurde sehr gut aufgenommen so auch bey Mahlmann. Kühnel dem ich geschworen hatte nie etwas anzubieten, hat mich jezt selbst um etwas gebeten. so müßen die Kerls endlich | zu Kreuze kriechen. Jeder Tag den ich hier zubringe ist uns von dem grösten Nuzzen, und ich werde dir fleißig berichten. d: 14t ist hier unser Concert*. d: 16t gehen wir von hier nach Gotha von da nach Weimar und dann nach Dresden zurük. berechne also nach dem Empfang dieses Briefes wohin du mir schreiben kannst. Hieher ist meine Adreße. Abzugeben bey H: Küstner im Hotel de Baviere. in Dresden, an H: KammerMusikus Schmidl. in Gotha und Weimar Post restant. von Dresden gehts gerade nach Berlin wo ich gegen d: 10t Februar einzutreffen gedenke, von dort wahrscheinlich nach Hamburg, Koppenh: pp nach Petersburg, sollten aber Kriegerische Aussichten seyn, so nehme den Antrag in Prag* an Eine neue Oper für das dortige Theater zu schreiben, man hat mir ganz freyen Aufenthalt und eine garantirte Einnahme von 100 # circa angetragen. und es ist sehr möglich daß ich den Sommer dazu anwende, als der Jahreszeit wo doch nichts mit Concerten zu verdienen. Hier glaube ich wird nichts zu verdienen seyn aber item, man muß dem Gözen Moloch auch etwas opfern. sigle künftig deine Briefe sorgfältiger zu, den lezten erhielt ich ganz offen. Wie ist es denn mit Beers Reise nach München*, es ist ihm ein großer Schade daß ich nicht mehr da bin, den[n] Papa ist besonders bey dem Orchester pp nicht so beliebt daß er ihm sehr nüzlich seyn könnte. ich schreibe morgen an Beer, Heute muß ich schließen denn es geht die Post. componirt habe ich seit München nichts als in Prag Variat: für Bärmann und mich die nicht schlecht sind. wenn deine Quartetten heraus sind so schikke sie mir gleich damit ich sie alsbald versohle*. thut du denn Dusch gar nichts?, schreib mir doch einmal etwas von deinem Weben und Wirken damit ich weiß daß du noch existirst. nächstens in 8 Tagen spätestens folgt das längst angekündigte o[Rundschreiben]* gewiß. auch kommt in der Musik: Z: nächstens mein Bericht über München*, als Fortsezung des Aufs: über Mannheim*.

nun muß
ich schließen. Vale et me amas. Ewig dein M.

Apparat

Zusammenfassung

kurzer Bericht über Reise nach Dresden u. Leipzig u. weitere Reisepläne; Kontakte in Leipzig; über Gänsbacher, Härtel u. Kühnel; Vereinsangelegenheiten

Incipit

Etsch! Habe dirs abgewonnen, da hast Du einen herzlichen derben

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: New Haven (US), Yale University, Beinecke Rare Book and Manuscript Library (US-NHub), Frederick R. Koch Foundation

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
    • am rechten oberen Rand der Rectoseite von der Hand Gottfried Webers: „Erhalt. 6t Jan. 12 / beantw. 7en
    • auf der Adressenseite am linken Rand von der Hand Gottfried Webers Notizen für die Beantwortung: „Jahrzeiten / Macedonier / Frzls Tod / Cherubini Meße“
    • am unteren Rand der Adressenseite in umgekehrter Schriftrichtung „Nachschrift“ von Gottfried Weber: „Hier lieber Bruder Beer etwas für Dich zum lesen. Schike es bald zurük, u schreibe mir doch auch einmal einen vernünftigen Brief“

    Provenienz

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Bollert/Lemke 1972, S. 48–49
    • tV: MMW I, S. 314–316

Textkonstitution

  • „du“über der Zeile hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

  • „d: 30 t … schrieb ich dir“Brief an Gottfried Weber vom 29. November 1811.
  • „… öftere Berührung mit dem C:[entrum]“Centrum des Harmonischen Vereins, laut Satzung bei Gottfried Weber.
  • „… Gänsbacher hat ein Requiem“Johann Gänsbacher, Requiem op. 15, vgl. Brief an Giacomo Meyerbeer vom 12. August 1811 und Brief an Johann Baptist Gänsbacher vom 31. Dezember 1811 bzw. Denkwürdigkeiten, S. 42–42; das Werk wurde 1812 bei Haas in Prag gedruckt.
  • „… hat ein Requiem geschrieben das“Korrigiert aus: daß.
  • „von Voglers verschieden“Georg Joseph Vogler, Requiem Es-Dur (SchafhäutlV 202), 1822 im Partiturdruck bei Schott (PN 1657) veröffentlicht; vgl. dazu Brief an Gottfried Weber vom 10. April 1810.
  • „Dusch einen deutschen Text“Es ist nicht bekannt, ob Alexander von Dusch eine Übersetzung des Requiem-Textes anfertigte; gedruckt wurde das Werk nur mit lateinischem Text.
  • „du es aufführtest“Gottfried Weber hat das Werk 1813 in Mannheim aufgeführt, vgl. seine Bemerkungen in einem Bericht über Aufführungen in Mannheim von Ostern 1813 bis Neujahr 1814, in: AmZ, Jg. 16, Nr. 10 (9. März 1814), Sp. 165–167.
  • „die Fehde“Gemeint ist eine Auseinandersetzung um die Rezensionstätigkeit Alexander von Duschs und Gottfried Webers, die in den sogenannten Diamone-Streit mündete. Auftakt dieses Streits, der sich in der zweiten Jahreshälfte 1811 überwiegend in Veröffentlichungen des Badischen Magazins und des Mannheimer Intelligenzblatts spiegelt, war ein in Nr. 61 des Mannheimer Intelligenzblatts (30. Juli 1811) erschienenes Epigramm, das die anonymen Kritiken Duschs und Gottfried Webers aufs Korn nahm. Dieses Epigramm wurde im Badischen Magazin am 3. August 1811, S. 524 unter Kenntlichmachung des holpernden Versmaßes nachgedruckt. In Nr. 70 des Intelligenzblatts (30. August 1811) erschien dann ein mit Kein Schauspieler gezeichneter Artikel, in dem nun konkret Gottfried Webers Kritik am Auftritt Karl Ludwig Kaibels in Dalayracs Leon oder das Schloß von Montenero (in Nr. 151 des Badischen Magazins vom 27. August 1811, S. 603–604) zurückgewiesen wurde, dem sich ein ins Allgemeinere gewendeter Artikel ähnlicher Tendenz in Nr. 76 (20. September 1811) anschloß, der mit „Einige Theater-Freunde“ gezeichnet ist. Hierauf antworteten im Badischen Magazin Nr. 173 (22. September 1811), S. 691–692 Die Besitzer der rosenfarbenen Brille. Am Vortag (S. 687–688) war bereits eine Art Ankündigung unter dem Titel Dialog im Theater zu Mannheim erschienen und in Nr. 176 (26. September 1811), S. 704 bestätigten „Keine Freunde und keine Feinde“ diese Stellungnahme zungunsten Webers und Duschs. Es schlossen sich dann im Badischen Magazin eine Reihe von Briefen über das Theater und Theaterkritiken an, die von Karlsruhe aus geschrieben wurden, jedoch mit dem Streit nicht in unmittelbarer Verbindung stehen. Als Gottfried Weber in Nr. 225 (22. November 1811), S. 897–899 des Badischen Magazins über das erste Mannheimer Winterkonzert am 15. November berichtetet hatte, wurde in der Extrabeilage Nr. 7 zu Nr. 236 vom 5. Dezember eine zweite, negative Kritik dieses Konzerts veröffentlicht, die mit Diamone gezeichnet war. Gottfried antwortete mit einem Artikel An Diamone in Nr. 238 vom 7. Dezember und bemängelt seinerseits einen Gedächtnisfehler Diamones während dessen Aufführung des Mozartschen Es-Dur-Klavierquintetts. Daraufhin meldete sich der angegriffene Pianist Carl Courtin mit Namen zu Wort und bestritt, der Verfasser des Diamone-Artikels zu sein (Nr. 239 vom 8. Dezember, S. 955). Gottfried Weber forderte ihn auf, im Badischen Magazin drucken zu lassen, er sei nicht mit Diamone identisch (S. 956), was jedoch die Redaktion wegen der Schutzpflicht der anonymen Einsender ablehnte (S. 959) und Gottfried mit der Bemerkung Sapienti sat kommentierte. Dies veranlaßte Courtin zu einer letzten Erklärung, in der er auf ein Zeugnis der Redaktion verzichtet und Gottfried auf das Wort eines Ehrenmannes verweist. Zu den Einzelheiten dieses Streits vgl. Erwiderung (an Carl Courtin).
  • „Beers Aufsaz“Giacomo Meyerbeer hatte sich in der Endphase dieses Streits mit einem Aufsatz zu Worte gemeldet, der unter dem Titel Aus einem Briefe an den Herausgeber, geschrieben nach Durchlesung des Aufsatzes „Ueber die Concurrenz von zwey Kritiken“ im Badischen Magazin, Jg. 1, Nr. 240 (10. Dezember 1811), S. 958–959 erschien; vgl. auch Becker (Meyerbeer), Bd. 1, S. 136–138.
  • „… Ton einmal wieder dran kam“Der erste Ton (JV 58) wurde am 30. November im Mannheimer Museum zum zweitenmal aufgeführt, darüber berichtet Gottfried Weber im Badischen Magazin, Jg. 1, Nr. 237 (6. Dezember 1811), S. 946–947 u. 951; vgl. Aufführungsbesprechung Mannheim: „Der erste Ton“ (WeV B.2) von Carl Maria von Weber 30. November 1811 (Teil 1 von 2).
  • „Fröhlich so ein Schlingel“Franz Joseph Fröhlich; Bemerkung unklar!
  • „wegen der Jahrbücher“In den Heidelberger Jahrbüchern der Literatur, Philologie, Historie, Literatur und Kunst, Jg. 4 (1811) ff. veröffentlichte Gottfried Weber mehrere Rezensionen; vgl. Brief an Gottfried Weber vom 6. Juni 1811. Eine Notiz Carl Maria von Webers zu diesen Jahrbüchern war nicht zu ermitteln.
  • „der H: Courtin“ Carl Courtin, (s.o. Kommentar nach „Fehde“) Weber wollte sich mit dieser Frage vermutlich nach dem wirklichen Pseudonym Courtins erkundigen.
  • „von dir geschikten Empfehlungen“Vgl. TB 28. Dezember 1811 bzw. Brief an Gottfried Weber vom 15. November 1811.
  • „Benzels Manheim verlaßen“1812 wurde Bentzel-Sternau als Finanzminister im Großherzogtum Frankfurt angestellt.
  • „wieder auf dem alten Fuß“Zu dem Streit mit der Redaktion der AmZ, über dessen Inhalt nichts Genaueres zu ermitteln war, vgl. Briefe an Gottfried Weber vom 21. August 1810, vom 20. Februar 1811 und vom 30. April 1811.
  • „d: 14 t … hier unser Concert“Z u Webers Konzert am 14. Januar 1812 in Leipzig vgl. Aufführungsbesprechungen Leipzig, Gewandhaus: Konzert von Heinrich Joseph Baermann und Carl Maria von Weber am 14. Januar 1812.
  • „Antrag in Prag“Der Prager Theaterdirektor Liebich hatte Weber angeboten, eine Oper für das dortige Theater zu komponieren, vgl. Aufführungsbesprechung München, kleiner Redoutensaal: Konzert von Carl Maria von Weber am 11. November 1811.
  • „Beers Reise nach München“Giacomo Meyerbeer traf erst am 25. April 1812 in München ein, vgl. Becker (Meyerbeer), Bd. 1, S. 166; zu Meyerbeers Reise mit Vogler vgl. auch ebd., S. 158 bzw. die in Brief an Gottfried Weber vom 15. November 1811 angegebenen Briefe.
  • „alsbald versohle“Zu Webers Rezensionen der Zwoelf Vierstimmigen Gesaenge vgl. Brief an Gottfried Weber vom 30. April 1811.
  • „das längst angekündigte o[Rundschreiben]“Circular Nr. 4, laut TB am 20. Januar 1812 geschrieben, nicht erhalten.
  • „in der Musik: … Bericht über München“Ein entsprechender Bericht ist in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung nicht erschienen, der Bericht über die Aufführungen im November und Dezember 1811 in Nr. 8 (19. Februar 1812), Sp. 121–125 nennt Aufführungen, die Weber nicht mehr gehört haben kann.
  • „Aufs: über Mannheim“Vermutlich gemeint: Städtecharakteristik: Mannheim.

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