Carl Maria von Weber an Johann Gänsbacher in Innsbruck
Dresden, Montag, 10. März 1817

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Sr Wohlgebohren

dem Herrn Johann Gänsbacher.

K: K. Oberlieutnant des Hochlöbl

Tyroler Jäger Regiment Kaiser

Inhaber der goldnen Civil Verdienst

Medaille* pp

zu

Innsbruk.

in Tyrol.

Geliebter Bruder!

Längst hätte ich dir schreiben und meine bestimmte Anstellung als Kö: Sächs: K: Mster. und Direktor der deutschen Oper hier, die ich d: 27t Xb 1816 in Berlin erhielt, melden sollen, aber ich hatte gar zu viel zu thun. hier sizze ich also endlich recht fest, und die schönen Reisepläne sind zu Waßer geworden. freilich habe ich einen jährl: Urlaub, aber wenn ich mit Gottes Hülfe im Herbst heyrathe, so wird das Ausfliegen auch schwieriger werden, und ich somit wohl ein ziemlicher Philister werden. Ich habe meine Laufbahn mit viel Verdruß und Kabalen Kampf eröffnen müßen, und bin ein paarmal im Begriff gestanden wieder abzureisen, aber das alles hat doch am Ende zum Guten gedient, nehmlich dazu daß sie gesehen haben daß sie mit einem Manne zu thun haben der nicht mit sich spielen läßt, und selbstständig genug ist sich keine Art von Zurüksezzung oder Schmälerung gefallen zu laßen*. Nun geht alles seinen ruhigen Gang, und was mich nicht liebt fürchtet mich wenigstens.

Selbst die Italiener sind friedlich geworden seit sie sehen daß ich eher für ihre Erhaltung sorgen werde, als sie untergraben*. die Kunst hat ja kein Vaterland, alles Schöne sei uns werth welcher Himmelsstrich es auch erzeugt haben mag.      Somit habe ich denn alle Ursache zufrieden zu sein, und nur zu wünschen daß mir der Himmel bald ordentliche Sänger und Sängerinnen beschert*, denn bis jezt habe ich noch eigentlich gar nichts.      In Prag sieht es sehr elend aus, und das ganze geräht in großen Verfall. Meine Silvana ist jezt mit dem ungeheuersten Furore gegeben worden*, und alles bejammert jezt meinen Verlust, und die goldne Zeit der Oper wie ich da war – ja ja es geschieht Ihnen recht, damals war ihnen nichts gut genug.      Gegenwärtig werde ich bald Hand an eine neue Oper legen die mir der bekannte Dichter Friedrich Kind hier, geschrieben hat. die Jägersbraut. ein sehr romantisch schauerliches schönes Werk.      Im Ganzen lebe ich sehr einsam, und wohl auch etwas trübe, denn ich kenne zwar eine Menge Menschen und bin durchaus geachtet, aber ein wahrer Freund fehlt mir sehr, und in musikalischer Hinsicht kann ich wieder mit niemand sprechen. das ist denn recht traurig.      Ich hoffe lieber Bruder du besuchst mich bald einmal, da wollen wir was rechtes zusamen arbeiten und plaudern; du wohnst bei mir, und das soll ein Leben sein wie im Himmel. in 14 Tagen haben wir Ferien, da will ich einen Rutscher nach Prag machen und die Leute überraschen*. darauf freue ich mich unendlich.      Die arme D moll soll wieder Unglük gehabt haben. wahrscheinlich bist du beßer davon unterrichtet als ich, die Hälfte Ihrer Ärndte und Schloßes soll abgebrannt sein*. ich habe ihr geschrieben aber noch keine Antwort erhalten.      Von Meyerbeer habe ich Nachricht aus Mayland er bleibt das ganze Jahr 17 in Italien und seine Adresse ist Ferma in posta, Venezia. Er scheint viel zu arbeiten, hat eine franz: und 1 deutsche Oper geschrieben. Bärmann und die Harlas werden mich wohl bald besuchen, da sie eine Reise nach Berlin machen wollen. von Gottfried habe ich lange nichts gehört.      Schlesinger wird dir wohl unterdeßen geschrieben haben. Schike ihm oder mir, doch genau Opus, Titel und Dedication der 3 Werke*. Sei nur fleißig lieber Bruder. deine Sachen werden schon gehen und du dir jährlich eine schöne Zulage damit verdienen. – Meine Anstellung ist hier nur auf 1 Jahr. das ist so Form und obwohl man kein Beyspiel hat daß dann die lebenslängliche nicht erfolgt wäre, so kenne ich doch meinen Stern zu gut, um nicht wenigstens noch Umstände zu fürchten*. Wie Gott will, ich vertraue auf ihn und zage nicht, obwohl ich künftig für mehr als mich allein zu sorgen haben werde. Die Angelegenheit mit der Mutter meiner Lina ist nun auch in Ordnung. Sie geht zu ihrem Sohn nach Mainz*, und ich gebe ihr jährlich 100 Thaler, lieber dieses Opfer und Ruhe und Frieden im Hause. – schreibe mir ja bald wie es dir in Wien noch gegangen ist. erhalte dir ja deine Freiheit und laß dich nicht durch Versprechungen in F dur lokken. Selbstständigkeit ist doch das herrlichste und edelste am Manne.      Pixis soll von Prag abgehen sagt man, so auch die meisten vom Orchester, und vom Theater. die Liebich wird wohl H: Stöger heirathen. Clam hat einen Wechsel von 40 000 f W: W: zerrißen, das ist noch ein Freund. die Preise sind erhöht, das Theater aber leer. der Abgang der Brandt, und so Gott will, der Grünbaum, /: wenn ich sie fischen kann :/ giebt vollends den Gnaden Stoß.

     Nun behüte dich Gott lieber Bruder, schreib mir bald wie es dir geht und was du machst. bleib gesund und behalte lieb, deinen ewig treuesten Bruder Weber

Apparat

Zusammenfassung

teilt seine Anstellung in Dresden mit; betr. Prager Theaterverhältnisse; erwähnt Plan zur Jägersbraut; über gemeinsame Bekannte; betr. Verlag von Kompositionen Gänsbachers bei Schlesinger; Privates

Incipit

Längst hätte ich dir schreiben und meine bestimmte Anstellung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Wien (A), Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Bibliothek (A-Wgm)
    Signatur: Weber an Gänsbacher 44

    Quellenbeschreibung

    • 1 Bl. (2 b. S. einschl. Adr.)
    • am linken oberen Rand der Adressenseite Echtheitsbestätigung von F. W. Jähns (Tinte): „Eigenhändig von C. M. v. Weber.“

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Nohl 1867, S. 262–264
    • Worbs 1982, S. 77–79

    Einzelstellenerläuterung

    • „… Medaille“Gänsbacher war Ende 1816 vom österreichischen Kaiser „zur Belohnung seines in den Jahren 1813 und 1815 in mehreren Gefechten durch beyspiellosen Muth, Tapferkeit und Entschlossenheit bewiesenen Patriotismus die große Civil-Ehrenmedaille mit Öhrl [= Ring] und Band“ verliehen worden; vgl. Denkwürdigkeiten, S. 82.
    • „… oder Schmälerung gefallen zu laßen“Weber war zunächst nur als Musikdirektor angestellt worden und erhielt den Titel eines Hofkapellmeisters (und somit eine Gleichstellung mit dem dienstälteren Morlacchi) erst nachträglich; vgl. zusammenfassend Joachim Veit in Weber-Studien 8, S. 68–70.
    • „… sorgen werde, als sie untergraben“Zur Rivalität zwischen der italienischen und deutschen Hofopernsparte vgl. Joachim Veit in Weber-Studien 8, S. 70f.
    • „… ordentliche Sänger und Sängerinnen beschert“Zu den Schwierigkeiten bei der Rekrutierung deutschsprachigen Sängerpersonals vgl. Joachim Veit in Weber-Studien 8, S. 73–84.
    • „… dem ungeheuersten Furore gegeben worden“Die Oper hatte in Prag am 2. Februar 1817 mit Caroline Brandt in der Titelpartie Premiere.
    • „… machen und die Leute überraschen“Weber hielt sich laut Tagebuch vom 23. März bis 1. April 1817 in Prag auf.
    • „… und Schloßes soll abgebrannt sein“Caroline Brandt hatte Weber über den Brand auf den gräflich Desfour’schen Besitzungen (vermutlich in Hradek) informiert; vgl. dessen Antwortbrief vom 28.–31. Januar 1817.
    • „… und Dedication der 3 Werke“Zu den bei Schlesinger durch Webers Vermittlung publizierten Kompositionen Gänsbachers vgl. Webers Brief vom 9. März 1816.
    • „… wenigstens noch Umstände zu fürchten“Laut Tagebuch erhielt Weber das Dekret über seine lebenslange Anstellung am 15. September 1817.
    • „… zu ihrem Sohn nach Mainz“Louis Brandt war zu dieser Zeit noch am Mainzer Theater angestellt, so dass Weber davon ausging, die Schwiegermutter würde dorthin gehen; er wechselte aber noch im Laufe des Jahres nach Mannheim.

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