Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Dresden, Dienstag, 13. Mai bis Freitag, 16. Mai 1817 (Nr. 48)

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An Mademoiselle

Carolina Brandt.

MitGlied des Ständischen

Theaters

zu

Prag

Wohnhaft, Kohlmarkt

No: 514. 2t Stok.

Mein guter vielgeliebter Muks!

Muß noch ein bißel vor der Probe zu Lina gehn, guten Morgen sagen, und mir einen herzlichen Buß holen. dein Brief No: 51 hat mich gar weich gemacht und gerührt, du kamst so gut zu deinem Carl gekrabbelt und klagtest ihm, und am Ende wie du dein Herz so recht ausgeschüttet hattest, wurdest du wieder heiterer. ja, so soll es immer sein, so wollen [wir] gegenseitig uns unsre Klagen ins Herz legen und dann wieder heiter werden.      Du wirst recht wohl thun gegen Drs: immer recht freundlich zu sein, denn es sind gewiß grundgute Menschen, die aber natürlich wie wir alle ihre empfindlichen und schwachen Seiten haben.      Ich bin wieder recht begierig auf deinen heutigen Brief wie deine Stimmung und Lage sein wird. aber ich bitte dich thue mir es zu liebe, sieh alles von der besten Seite an, damit du wenigstens dir sagen kannst, alles gethan zu haben. Es wäre recht traurig wenn du in dem engen Nest den ganzen Sommer leben solltest. ich habe ihnen vor der Hand nichts zu schreiben, und mag besonders über diesen Punkt es nicht. das ist schriftlich zu weitläufig, und ist bei uns etwas ganz anderes, die wir täglich mit einander sprechen, und Schritt vor Schritt vereint unser wandeln wißen und sehen. Wegen meinem frühern Plan sollst du dir aber keine Gewalt anthun, stellt sich Euer heiteres Verhältniß nicht wieder her, so ändere ich ihn ganz. Es wäre ja höchst traurig wenn wir diesen wichtigen Tag auf irgend eine Weise beengt, oder nicht unter wahrhaft freundlicher Umgebung zubringen sollten.      Nun es wird sich ja wohl noch geben.

Nun zum Tagebuch. d: 12t Abends arbeitete ich in den Akten*, und hatte große Hüner-Augen Operation. componirte auch ein Liedchen von Kind. d: 13t um 10 Uhr Pr: von Blaubart. Mittag im Engel. dann wieder mit dem Grafen aufs Bad gefahren und die Decoration besehen*. Abends in den Kreuzfahrern die Musik besorgt*. dann den Aufsaz über den Blaubart geschrieben bis nach 1 Uhr Nachts.

Denselben Tag erhielt ich auch einen gar herzlieben Brief von Lichtenstein, den ich dir hier beilege. So, und von solchem Manne geehrt zu sein, thut wohl. d. 14t früh um 6 Uhr schon wieder auf. dann Lection*, und um 8 Uhr Pr: mit Orchester von Blaubart. um 12 Uhr mit Grünb: Hellwigs, Baßi, Winkler, Hartwig nach Tharandt gefahren. herrliche Gegend. da herumgestiegen. Abends spät zurük und müde in Bett.

Da wurde ich Gestern gestört und kam nicht mehr zum schreiben. hatte Sez Pr: von Blaub: Mittag im Engel. schrieb nach Tisch an Lichtenstein, Abends war das Lotterieloos wiederholt*. wozu die Grünb: noch eine Arie aus Tancred mit höllischem Aplaus sangT. da erhielt ich auch deinen lieben freundlichen Brief No: 52. den ich auch gar zu gerne eben so beantworten möchte wenn es nur gienge, aber du weißt wohl ich kann nicht hinterm Berge halten.      Ehe du weiter ließt waffne dich recht mit Ruhe, versprich mir nicht böse zu werden, und ängstige dich auch nicht unnüz ab. Es ist eigentlich nichts als das schmerzliche alte Wunden wieder aufreißen zu müßen, weshalb ich dich im Voraus bitte nicht traurig zu werden, oder verdrießlich auf mich[.] es ist aber der Folge wegen.      Du must bei deinem damaligen Verdruß mit Drs: dir doch haben noch manche Unbesonnenheit zu Schulden kommen laßen. du hast gewiß andern Leuten davon erzählt, und dadurch dich und Drs: compromittirt. grüble nicht woher ich das weiß, und wirf keinen falschen Verdacht und Haß auf irgend jemand deiner Bekanntschaft. laß das überhaupt, und überzeuge dich vielmehr daß man immer nur selbst der Schöpfer seines Verdrußes und Glükes [ist]. Lieber guter Muks, es wäre nicht möglich daß jener Streit so heftig, und die Nachwehen so langwierig sein könnten, wenn nicht durch deine Art heftig zu werden du den Menschen einen ängstlichen Eindruk gemacht hättest. Errinnere dich daß wir selbst wegen eines ähnlichen polit: Streites ein paarmal beinah daran waren zu brechen, und daß dein ganzes Wesen dann einen wahrhaft furchtbaren schreklichen Charakter annimmt, deßen Eindruk man sehr lange nicht verlöschen kann, wer einem solchen Augenblik nach folgern wollte müste dich für das böseste Wesen halten.      Du wirst dich wundern wie ich jezt dazu komme dieß wieder zu berühren und dir dadurch wehe zu thun.      Es ist aber natürlich, diese Sache hat sich weiter verbreitet durch deine Unvorsichtigkeit, die wieder einmal z: B: die Mutter zum ersten Versöhnungsboten brauchte pp Wenn nun auch Drs: vieles anderß dabei hätten machen können, was ich gern glauben will, so bist doch immer du diejenige der die Welt den Stein zuwirft, weil du ihnen früher zu viel Stoff zum Tadel gegeben, und nun kurze Zeit mit wahrhaft gut anerkannten Menschen diese von dir zurükscheuchst, was dann wahrscheinlich sich noch weiter auf Kleinwächters pp ausbreiten muß. Sieh, das sind die Folgen einer ungezügelten Leidenschaftlichkeit. Alles spätere Erkennen ist dann schön, aber es ist doch immer die Sache und der Glaube getrübt.      Nach der Stimmung die jezt vorzuherrschen scheint, kann ich nicht im Kreise der Drs: unsere Verheirathung vollziehen. die reine ungetrübte Freude würde fehlen. ich würde glauben, selbst wenn es nicht der Fall wäre, daß Sie nicht die vollendete Achtung gegen dich hegten, und mich nicht so glüklich priesen, als ich es von der verlange die mir angehört.      Deßhalb rathe ich dir auch nicht mit Ihnen in den Garten zu ziehen. den Vorwand findest du leicht darinn, ohne Bezahlung nicht mitgehen zu wollen, was allerdings auch billig wäre in den drükenden Zeiten. Es wird für dich dann ein ängstlicher beengender Sommer werden, aber ertrage ihn mit Duldung und nicht mit Erbitterung. Ich bitte dich sei freundlich und gut gegen Drs: und zeige durch ein gleiches heiter ruhiges Betragen, daß du würdiger und besonnener geworden. Geliebte Lina, es bestraft sich nichts so hart und unvergeßlich, als wenn man aus seiner Sphäre geht, besonders ein Weib das unweiblich wird.

Ich fühle es daß mich diese Geschichte sehr von Drs: entfremdet, denn sie hätten sich wohl auch anders gegen dich nehmen können, von der andern Seite finde ich es begreifflich, wenn man dich nicht in deinen Urprinzipen so genau kennt, wie ich dich zu kennen glaube. und dann thut es mir wieder so unendlich wehe um deinetwillen, wenn jemand nur einen Augenblik den Gedanken hegen soll, daß meine Freunde sich wegen dir von mir entfernen.      Von manchen Vorbereitungen zu jener Szene mag ich auch etwas Schuld tragen, unsere so herzlich gemeinten Oz, Esel pp können doch leicht zur Gewohnheit werden, und im täglichen vertrauten Umgang mit anderen entschlüpfen, 10 mal gut, und das eilftemal desto übler aufgenommen werden.      Du in deiner unglükseligen Umgebung von Jugend auf, kannst nicht hoch genug gestellt und jenem konvenzionellen Zwang unterworfen werden der wahrhaft gebildeten Menschen zur andern Natur geworden ist, den nur lange Gewohnheit geben kann, und es allein dahin bringt sich nie so weit zu vergeßen daß man nicht immer noch die gegründetsten Ansprüche auf Achtung machen sollt können, selbst wenn der Eifer für eine Sache bis zur Heftigkeit führte.

Theure, heißgeliebte Lina, verzeih jeden Schmerz den ich dir machen muß, aber so hoch erhebend das Gefühl ist den geliebten Gegenstand von Allen geliebt und geachtet zu sehen, so doppelt schmerzlich ist es ihm dieß nicht in vollem Grade gezollt zu sehen, oder zu fühlen, daß die Menschen sich nur nicht getrauen ihre Meinung laut zu äußern.

Unser Schiksal ist nun aufs innigste verschlungen, verarge es mir nicht, wenn ich aufs eindringlichste dir jeden Flekken der die traurigesten Folgen haben könnte, in den schärfsten Farben schildere. könntest du dich selbst nur einmal in einem solchen heftigen Augenblik sehen, wahrlich du würdest erschrekken.      Daß du dir Achtung der Welt erwirbst, muß immer höchster Wunsch sein, du hast viel in dem Andenken der Menschen zu vertilgen. ich würde es nicht ertragen dich auch nur mit zweideutigen Blikken betrachten zu sehen. Gegenseitig wahrhaft begründete Achtung giebt allein der Liebe Dauer, und sichert des Lebens Glük.      Ich weiß es es schlummern die herrlichsten Stoffe in dir. ich glaube sie gut gewekt, durch mein treues Beyspiel gestärkt zu haben. tiefer Gram erfüllt mich sehe ich wieder einen Ausbruch, und des ängstlichen Gefühles, – daß du nur unterdrükst nicht bekämpfest deinen Dämon kann ich mich dann nicht immer erwehren. Wehe uns wenn er je in alter Kraft erwachte.

Liebe Lina. Gotte gebe daß diese Zeilen dich in einem Augenblikke treffen wo du im Stande bist zu fühlen aus welchem warm liebenden treuen Herzen sie kommen, und wie deinem Carl die Thränen in den Augen stehn bei dem Gedanken dich nicht so gut so tadellos zu fürchten wißen, als sein Stolz seine einzige höchste Freude wäre. Du bist künftig meine Welt, in dir will ich alles Glük und Ruhe finden. für dich, die Welt, und mich selbst wäre ich verlohren, sehe ich dich nicht auch so geliebt und geachtet, wie ich dich lieben, und achten will.      Könnte ich als besänftigender Engel bei dir stehen, und deinen bösen aufhalten wenn er emporlodern will im Zorne, und erbittert sein will daß man noch nicht erkenne was du alles gethan. Sei nicht so, sei sanft sei gut, lerne deine ganze vorige Gestalt erst recht kennen, sei nicht so nachsichtig und entschuldigend gegen dich, schreibe nicht zu viel der Erziehung und Umgebung zur Last, Gott hat dir als mächtiges Gegengewicht einen herrlichen klaren Verstand und Gefühl gegeben, das nie verläßt, läßt man es nicht von Leidenschaftlichkeit und Aufwallung übertäuben.

Mit ängstlichem bangen Gefühl schließe ich diesen Brief, ich drükke dich aufs innigste an mein dich gewiß so innigst und wahrhaft für dein Wohl und Glük schlagendes Herz. Gott segne dich + + + und erleuchte deinen Geist und Herz daß es weich sei, keinen Groll gegen Niemand hege, sondern gern Last und Strafe auf sich allein nehme, die sich dadurch endlich in den schönsten Lohn verwandeln.

Ich muß schließen ich bin zu bewegt. Nochmals Gott segne dich + + + . Ewig dein treuster Carl.

Gruß an die Mutter und Drs:

Apparat

Zusammenfassung

über Probleme zwischen Caroline Brandt und Junghs; am 12. Liedchen von Kind komponiert; am 13. Probe Blaubart; mit Vitzthum aufs Bad gefahren; abends Kreuzfahrer; Aufsatz über Blaubart geschrieben; am 14. Probe Blaubart; Ausflug nach Tharandt; am 15. Probe Blaubart, Abends Lotterielos; Erörterungen zum Streit zwischen Caroline Brandt und Junghs

Incipit

Muß noch ein bissel vor der Probe zu Lina gehn

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Mus. ep. C. M. v. Weber 95

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
    • Rötel- und Bleistiftmarkierungen von Max Maria von Weber

Textkonstitution

  • „mal“über der Zeile hinzugefügt
  • „fürchten“überschrieben

Einzelstellenerläuterung

  • „… arbeitete ich in den Akten“Laut Webers Brief an C. Brandt vom 6.–9. Mai 1817 (Briefteil vom 8. Mai) hatte er in der Konferenz am 7. Mai den Auftrag erhalten, nach Auswertung der Akten eine Bestandsaufnahme zur deutschen Operngesellschaft in Dresden zu verfassen.
  • „… gefahren und die Decoration besehen“Erste Begutachtung im Theater auf dem Linckeschen Bad laut Tagebuchnotizen am 9. Mai 1817.
  • „… den Kreuzfahrern die Musik besorgt“Vgl. den Bericht in der Abend-Zeitung vom 28. Mai 1817. Weber, der laut Tagebuch selbst die Orgel spielte, könnte sowohl die Schauspielmusik von Gänsbacher als auch die Schauspielmusik von Vogler dafür verwendet haben.
  • „… schon wieder auf. dann Lection“Webers Italienisch-Unterricht (17. Februar bis 5. September 1817).
  • „… Abends war das Lotterieloos wiederholt“Vgl. den Bericht in der Abend-Zeitung vom 29. Mai 1817.

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