Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Berlin, Donnerstag, 4. Juli und Samstag, 6. Juli 1816 (Folge 1, Nr. 9)
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Mein geliebtes Mukken Linerl.
Noch immer Berlin und Berlin. ach guter Muks was bin ich so ungeduldig, ich sizze hier wie auf einem heißen Stein, und du wirst gar nicht begreiffen können, warum ich denn nicht von dem heißen Stein heruntergehe. Das ist mein Geheimniß H: Profeßor – aber das ist gewiß daß ich so ungern in diesem Augenblik hier bin, das ich es nicht genug sagen kann, ich bin zu ungeduldig zum arbeiten, bin für die Meisten schon abgereißt, und also nicht hier und nicht dort. zudem komt hauptsächlichstens daß ich gar nichts von dir mein geliebtes Leben zu hören bekome, welches mich oft in die peinlichste Unruhe versezt, die ich nicht eher als in Leipzig werde etwas gemildert hoffen dürfen. Auch [m]ein Aufenthalt in Carlsbad wird kaum hinreichen um ein Concert zu geben. und dann wäre Zeit und Umweg und Geld verschleudert. Nun, wie der Himmel will, es ist ja meine alte Ordnung daß ich alles nur nach den härtesten Prüfungen und Kämpfen erlangen kann, was sonst jedem Schlingel in den Hals fliegt. Wie bey meinem lezten ConcertT alle Umstände sich so sehr günstig und schnell für mich vereinigten, sagte ich 2 Tage vorher zu Lichtenstein, höre, das geht alles so gut daß mir ganz bange dabey wird. Er lachte mich aus, ich aber hatte Recht, denn da kam die Catalani die Quere. Doch genug von diesen fatalen Dingen, über die ich aber doch bey meinem guten Muks klagen muß, der sich gewiß dabey mein ärgerlich ungeduldiges Gesicht denken kann. also – Puntum! Wie geht es dir? was machst du? bist du fleißig? heiter? Lustig? brav? hat dir noch keiner beßer gefallen als dein armer ferner Muks? sag mirs nur gleich damit ich komme Euch pflichtschuldigst den Hals umzudrehen. Was mich betrifft, bin ich gesund und brav, wie sich das immer von mir versteht. — da fällt mir ein daß wenn noch die alte schwarzgallichte Grübelzeit wäre, du wahrscheinlich wieder einen Doppelsinn herausgrinden würdest. Gelt damit ists nichts mehr? und ich darf schon einmal einen Spaz machen.
Vorgestern habe ich einen herrlichen KunstSchmaus auf der SingAkademie gehabt*. Es ist doch etwas göttliches um die MenschenStimme ohne alle Begleitung. Diese Maße von 200 – 300 Kehlen und die Meisterwerke die sie ausführen macht einen unbeschreiblichen EindrukT. Desto schlechteren hat der KapellMstr. aus Venedig /: das Quodlibet :/ auf mich gemacht, es ist doch gar fades Zeug, das nur durch sehr lebendiges Spiel aufrecht erhalten werden kann. Das einzige Duett Quodlibet hat mich unterhalten, und ich dabey viel an dich gedacht*. Bey meinen gestrigen großen Abschieds Visiten hatte ich das Unglük alle Leute zu Hause zu treffen*. Abends war der Catalani ihr 3t Concert. wieder brechend voll*. Heute ist zur Todtenfeyer der gefallenen Krieger, eine Musik Aufführung im Theater, wo meine Körnerschen Lieder abermals gesungen werden*. sie sind wahrhaft schon Volkslieder geworden, und werden mit unbeschreiblichem Enthusiasmus gesungen. ich muß aber deßhalb Füße anziehen‡, o weh!!
Jezt lebe wohl lieber Mukkel denn, ich – stürtze mich ins Waßer –
werde aber schon nicht sterben, und Morgen diesen Brief fortsezzen, obgleich ich noch immer hoffe ihn hier nicht zu vollenden.
Gott behüte und segne dich geliebte theure Lina.
sey froh und gut, und behalte lieb deinen dich über alles liebenden treuen CarlvonMuks.
[Im Kußsymbol:] Millionen Bußen |
d: 6t
Gestern habe ich einen für mich entsezlichen Tag verlebt in lauter Eßen und Langeweile, und da weist Du wie mir zu Muthe wird wenn ich an die schöne Zeit denke die verlohren geht. Den Vormittag war ich umlagert von Besuchen, um 12 Uhr war großes Deje[u]ner bey Mlle: Schmalz zu Ehren der Catalani, das dauerte bis 3 Uhr dann ging ich nach Hause und um 4 Uhr versammelte sich da abermals eine große Gesellschaft mit Mad: Catalani, die sich um 5 Uhr zum Mittageßen sezte, und bis 8 Uhr sizzen blieb, dann wurde noch allerley diskurisirt, ich empfhal‡ mich aber bald in der Stille, und kroch in mein Bett, denn ich war entsezlich schläfrig, auch theils noch vom 4t her, wo ich Mittags /: nach dem Bade :/ beym Oestreichischen Gesandten speiste, dann ins Theater gieng, wo meine Lieder abermals mit Jubel da Capo gerufen wurden, und endlich den Abend bis 2 Uhr in die Nacht bey Gubiz zubrachte, und auch da schlief, dann in der Frühe in meinen Thiergarten zappelte*, und eine andere Toilette machte.
Du siehst geliebte Mukken Königin, daß der Musje Carl ein sehr liederlicher Patron ist, und daß ich sehr auf ihn acht geben muß, daß Er sich nicht besäuft, oder überfrißt. — Nein Gott sey Dank, mein Magerl führt sich sehr gut auf, und ich bin bis auf ein zuweilen sich ein klein wenig regendes Halsweh, recht wohl und gesund. Hätte ich doch nur dieselbe Gewißheit von Dir, mein geliebtes Leben. Es dünkt mich eine Ewigkeit daß ich keine Nachricht von dir habe, und ich werde gewiß den ersten Brief den ich von dir in die Hand bekomme so herzlichst küßen und drükken als wie dich selbst. Doch bin ich froh daß ich dir nur wenigstens ordentlich Nachricht von mir geben kann, weil ich eitel genug bin zu glauben, daß wenn du mich gesund und heiter weist, du auch zufrieden und beruhigt Deinen Gang gehen wirst.
Ich schreibe dir diese Zeilen bey meinem armen Bruder Lichtenstein, der krank ist, und das Bett hütet. Dieser KernGesunde Mensch hat vor ein paar Tagen Blut gespukt. da es aber sich weder wiederholt hat, noch sonst mit Anzeigen von Fieber, Beklemmung pp verbunden ist, so sind die Ärzte und ich darüber beruhigt, als eine kleine Verlezzung irgend eines Aederchens in der LuftRöhre und nicht in der Lunge. Er hatte den Tag gar zu viel öffentlich Lehren und Sprechen müßen. Du kannst denken daß ich nun jeden Augenblik bey ihm zubringe den ich erübrigen kann. Er grüßt Dich schönstens.
Noch immer kann ich den Tag meiner Abreise nicht bestimmen, aber ich bin zu jeder Stunde reisefertig, und bleibe gewiß nicht eine Minute länger als höchst nothwendig ist. ich kann dir es nicht oft genug wiederholen wie fatal und verstimmt mich diese ewige Verzögerung macht, da ich meinem ersten Planen gemäß, jezt schon längst in Karlsbad säße, ja wahrscheinlich schon auf meine Rükreise dächte.
Nu nu erschrekk Er nur nicht, H: v: Muks ich denke zwar auch an die Rükreise, aber ich will damit nur andeuten, daß ich wenigstens 8 Tage früher nach Hause in Ett gekommen wäre. Es ist unbeschreiblich wie sehr ich mich darauf | freue, wieder an dem ru[nden Ti]sch zu eßen. Du ißt wohl fleißig bey Liebichs. und Grünbaums werden ja wohl auch jezt zurük sein, doch das werde ich alles erfahren in deinen in Carlsbad zu findenden Briefen, deßhalb darf ich nicht erst fragen, was dort wahrscheinlich schon alles von selbst beantwortet ist. Nun muß ich schließen, und den Brief auf die Post tragen.
Geliebte theure herzliebste Lina, Gott erhalte dich Gesund und brav, denke fleißig an Deinen Carl behalte ihn so lieb, als Er Dich über alles liebt, sey brav, und fromm, ärgere dich nicht, und zanke nicht. Siehst Du? auch aus der Ferne brumt der Herr Präzeptor. ich umarme Dich in Gedanken aufs innigste, drükke dich an meine treue Brust, und bin ewig unveränderlich dein treuer Dich innigst liebender Carl.
Viele schöne Grüße an die Mutter und Freund Apitz.
Apparat
Zusammenfassung
klagt über Verzögerung seiner Abreise; berichtet über ein Konzert der Singakademie; bemerkt Popularität seiner Lieder nach Körner; gesellschaftl. Verpflichtungen
Incipit
„Noch immer Berlin und Berlin. ach guter Muks was bin ich“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Mus. ep. C. M. v. Weber 67Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
- Siegel-Loch und -Verklebung
- Rötelmarkierung von Max Maria von Weber
Provenienz
- Weber-Familiennachlass
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Muks, S. 249–254
Themenkommentare
Textkonstitution
-
„anziehen“„anzuziehen“ überschrieben mit „anziehen“
-
„empfhal“sic!
Einzelstellenerläuterung
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„… KunstSchmaus auf der SingAkademie gehabt“Zu weiteren Gästen und dem Programm vgl. den Tagebucheintrag.
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„… dabey viel an dich gedacht“Aufführung laut Tagebuch am 1. Juli 1816; es wurde gegeben: Die Vertrauten von Adolf Müllner, hierauf: Der Kapellmeister aus Venedig, oder: der Schein trügt, musikalisches Quodlibet in 1 Akt von Leopold Breitenstein; in letzterem Stück (Premiere 25. August 1810 in Frankfurt/Main) hatte Caroline Brandt die Rolle des Hannchen gespielt.
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„… Leute zu Hause zu treffen“Vgl. dazu die Tagebuchnotizen vom 3. Juli 1816.
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„… Concert . wieder brechend voll“Zum Konzert im Konzertsaal des Schauspielhauses vgl. u. a. AmZ, Jg. 18, Nr 35 (28. August 1816), Sp. 603.
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„… Körnerschen Lieder abermals gesungen werden“Die Königlichen Schauspiele veranstalteten einen Konzertabend „zur Gedächtniß-Feier der in den Jahren 1813, 1814 u. 1815 gefallenen Krieger“ als Benefiz „für die Wittwen und Waisen der gefallenen Krieger“. Neben den von Weber im Tagebuch genannten Kompositionen erklang zu Beginn ein Trauerchor von Miltitz nach einem Text von Kind, gefolgt von einer Rede von Förster, gesprochen von Wolff; vgl. Tagebuch der deutschen Bühnen 1816, S. 231f.