Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater, Mai/Juni 1816

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Correspondenz-Nachrichten.

Prag. Zum Vortheile des Pensionsfondes wurde das Lustspiel: „Welcher ist der Bräutigam?“ von Mad. Weißenthurn wiederhohlt. Der allgemeine Enthusiasm, den die erste Aufführung dieses Lustspiels erweckte, bestimmte wohl die Auswahl desselben zu heutigem Zwecke, und ließ ein volles Haus erwarten; aber der Tag war zu schön und der schönen Tage bisher zu wenige, und so wirkte der seltene Reitz, unter Gottes freyem Himmel lustwandeln zu können auf die Mehrheit, und der Kassenertrag war mittelmäßig. Ueberhaupt scheint dem Referenten die Wahl eines Lustspiels, sey es auch noch so gelungen, noch so herrlich dargestellt, wie dieses, für eine Einnahme nicht so ganz zweckmäßig zu seyn. Der gebildete Theaterfreund erscheint richtig an einer Tafel, wo er für seinen Gaumen Würze und Hochgenuß zubereitet findet, aber auch der große Haufe, der sich nur von einem langen ominösen Titel, und dem ungeheuren Personale welches ihm der Anschlagzettel benennet, ein tüchtiges Spektakelstück a son aise verspricht, muß an so einem Tage in Anspruch genommen werden, und es ist hier an unserem Theater, wie an den ersten Bühnen Deutschlands leider noch immer die traurige Nothwendigkeit für die Direction, ungeachtet ihres eifrigsten Wunsches – durch moralische und ästhetische ¦ Darstellungen wohlthätig auf Volksbildung hinzuarbeiten – ihrer Erhaltung wegen zu derley Pot purri so manchmahl ihre Zuflucht nehmen zu müssen. – Mad. Weißenthurn hat uns mit diesem Lustspiele ein allerliebstes Kind ihrer jovialen Laune geliefert, und obgleich in diesem nicht, wie in seinem Vorgänger „Welche ist die Braut?“ ein so gediegener Gehalt, so eine reichhaltige Handlung, und eine so durchgängig meisterhafte Zeichnung aller Charaktere, deren jeder den andern den Vorrang streitig zu machen scheinet, sich befindet, so ist doch dieses Lustspiel wieder eine höchst angenehme Erscheinung an unserem Theaterhorizont, den uns so manche unserer neuen hochtragischen Dichter durch Popanze und Mißgeburten verdunkeln, und die liebliche Muse der braven Dichterinn erhielt den lebhaftesten Dank, so wie das würdige Bestreben unsers Künstlervereines, der sich – so wie am Tage der ersten Vorstellung, wo man das allgemein errungene Verdienst gerecht zu würdigen, alle Mitspielenden hervor rief – eben so muthig um den Lorber des heutigen Abends stritt; und Referent hält es für Pflicht, die Rollenbesetzung hier beyzufügen, um durch die Benennung jedes Einzelnen, noch einmahl der Gesammtheit den rühmlich verdienten Dank zu entrichten. Billau (Herr Seewald) Ferdinand (Herr Wilhelmi) Langers (Hr Polawskj) Räthinn Elmen (Mad. Liebich) Rosalie (Madem. Brand) Käthe (Mad. | Alram) Julie (Madem. Böhler) Grundmann (Hr. Gerstl.)

Zum Vortheil des Herrn Seewald sahen wir General Schlenzheim, mittelmäßiges Schauspiel in fünf Akten. Diese Vorstellung wurde im Allgemeinen sehr gut gegeben, und das veterane Stück, welches seit vielen Jahren nicht mehr auf unserer Bühne erschien, gefiel. Die Rolle des General Schlenzheim ward durch Herrn Seewald meisterhaft durchgeführt. Mit Wärme und Natur gibt dieser brave Künstler – den wir zu den Lieblingen des Publikums rechnen – derley Charaktere, in denen richtiges Gefühl, reiner Conversations-Ton, und natürliche Empfindung, dem Herzen entströmend, wohlthätig aufs Herz wirken. Sein Dallner in der Dienstpflicht – den Abbée de l’epée im Taubstummen – den Pächter Welling in der silbernen Hochzeit – den Onkel im Testament des Onkels u. a. m. sind stets gelungene Kunstausstellungen. Er wurde allgemein hervor gerufen.

Zum Besten des Invaliden-Fonds: „Der Lorberkranz“ Schauspiel von Ziegler ging heute so matt und schleppend, daß diese Vorstellung, die sonst immer mit Vergnügen hier gesehen wird, ohne alle Theilnahme sich endigte. Herr Karsten beschloß – dem Himmel sey Dank! mit der Rolle des Grafen Seeburg seine Gastrollen am hiesigen Theater. Er hatte diese Rolle – dessen Geist gehörig aufzufassen ohnehin außer seinem Wirkungskreise liegt, – so schlecht memorirt, daß er dem Soufleur fast jedes Wort entlehnte, und in die Momente des höheren Affectes, durch seine Kälte und Schläfrigkeit eine höchst nachtheilige Stockung brachte, die sich auch den Uebrigen, in jenen Scenen, wo sie mit ihm zu thun hatten, und so gar keine Unterstützung fanden, narkothisch mittheilte. Gewohnt durch Herrn Bayer – diesem Liebling- unsers Publikums (den eine langwierige Krankheit seit mehreren Wochen unserer Bühne entzieht) den Graf Seeburg, mit belebendem Feuer und durchdachter Kraft, geben zu sehen; mußte der heutige Seeburg gerechten Unwillen erregen.

Zum Vortheile der Mad. Gervais wurden bisher die beyden Opern „Don Juan“ und „Aschenbrödl“ gegeben, worin die beliebte Künstlerinu unserem früher geschöpftem Urtheile wie¦der vollkommen entsprach, und sich eines zahlreichen Hauses erfreute.

Nach einer beynahe zwey monathlichen Krankheit hatten wir heute das Vergnügen Herrn Bayer als Essex in Fürstengunst, das Theater wieder betreten zu sehen. Der Willkomm rauschte ihm so allgemein und lärmend entgegen, daß er einige Minuten zu sprechen verhindert war. So ein allgemein reger Antheil ist wohl ein großer Solitair im Diadem des Künstlers. Er gab seine Rolle mit der Würde und dem Anstande, die wir an diesem Künstler schätzend gewohnt sind, und wurde eben so lärmend hervor gerufen.

Der „Vielwisser“ Lustspiel von Kotzebue, den Herr Polavsky (wie gewöhnlich Rollen in diesem Genre) mit einer ihm eigenen Präcision, Leichtigkeit und Gewandtheit gibt, die wohl schwerlich sobald von einem andern Künstler in diesem Fache erreicht werden dürfte, scheint, nach einigen erlebten Vorstellungen, nunmehr das Repertoir verlassen zu wollen. Man muß auch einen denkenden Künstler wie Herr Polavsky wirklich bedauern, so ungeheuren Fleiß und Kraftaufwand auf eines des Herrn Kotzebues mißrathensten Kinder verwenden zu sehen.

Klara von Montalban“ von Elise Bürger sahen wir wiederhohlt, und es scheint, daß auch diese Vorstellung – ungeachtet der Richtigkeit und der Anstrengung aller Mitwirkenden, mit der es hier gegeben wird, – sich ferners nicht lang erhalten dürfte. Nebst Herrn Bayer als Herzog, und Mad. Sonntag, die die Rolle der Clara vorzüglich schön giebt, zeichnet sich hierin Herr Wilhelmi als Marquis Montalban rühmlich aus. Dieser Künstler hat im Fache der Intrigants eine hohe Kunststufe erreicht, aber auch die Mannigfaltigkeit seiner Verwendung – bald in komischen, bald in Charakterrollen verdient eine ehrenvolle Erwähnung.

Mit wenig Glück, und noch weniger Beyfall, wurde die Blühende und Verblühte, Lustspiel von Voß zum erstenmahl gegeben, und wird vielleicht nicht mehr auf die Bühne erscheinen, obschon die beyden Hauptrollen darinn durch Mlle. Brand und Mad. Allram besetzt, nichts mehr zu wünschen übrig ließen; um desto gehaltloser und fader sind die übrigen Episoden des Stückes, und der 2te Theil, die | Verblühte nehmlich ist so herzlich langweilig, daß die Vorstellung schon bey der ersten Aufführung verblühen mußte.

Das Schauspiel, „Die Vaterliebe“ von Herrn Ziegler – seit Jahren nicht gegeben – verschaffte uns einen der höchsten Genüße, wovon wohl sehr wenig auf Rechnung des Dichters kommet, dessen Schöpfung oder Umarbeitung keine nähere ästhetische Beleuchtung erträgt; Aber das rasche Ineinandergreifen und Zusammenwirken aller Mitspielenden, die meisterhafte Auffassung und Veredlung jedes einzelnen hie und da vom Dichter verwahrlosten Charakters, führte uns so schnell und allgewaltig über die Lücken und Mängel dieses Schauspiels, daß am Ende des Stückes, ein allen Kehlen allgemein entströmender Ausruf die Helden des heutigen Abends zum Empfang des Lorbeerkranzes hervorrief, den man keinem vorzugsweise zu reichen sich erkühnte. Die Besetzung war*: Lamstein (Hr. Liebich) sein Sohn (Hr. Polawsky) Simmer (Hr. Seewald) Scheibel (Hr. Gerstl) Simmer (Hr. Wilhelmi) Hr. Löwe (Hofräthin (Mad. Junghans) Therese (Mad. Alram)[.] Es ist der höchste Triumph der Kunst, so eine allgemeine Stimmung zu bewirken, und es ist der schönste Beweis von dem Gemeingeist unserer verdienstvollen Künstler, die sich der nehmlichen Auszeichnung schon in mehreren Vorstellungen, als in den Jägern – in den Räuschchen – in dem Lustspiel welcher ist der Bräutigam und andern mehr, würdig gemacht haben. Es dürften aber wohl auch wenig Bühnen wie die unsrige sich so eines vorzüglichen Assembles im Schau- und Lustspiele rühmen, wenigsten[s] entscheidet der Ausspruch mehrerer Fremden, die über den Werth eines Theaters zu urtheilen vermögen, sehr zu Gunsten unsers hiesigen Institutes.

Hr. Siebert Bassist am hiesigen Theater hat sich ohne Abschied empfohlen. Die Ober-Direction so wie Hr. Director Liebich scheinen auf die Rückkehr des Ausgewanderten nicht dringen, und ihn dem Ort seiner ferneren Laufbahn ruhig überlassen zu wollen.

Mad. Costenoble werden wir im Fremden von Iffland als Mutter Fresen, und Hrn. Kostenoble als Kammerrath Fegesak im Gei¦tzigen, nächstens sehen, und freun uns im voraus viel Schönes und Gutes über dieses Künstlerpaar sagen zu können.

Auch wird Hr. Häser Bassist ein früheres Mitglied dieser Bühne in Camilla als Herzog sich uns wieder zeigen.

[…]

Apparat

Generalvermerk

Text in gekürzter Fassung auch in: Münchner Theater-Journal, Jg. 3, Nr. 7 (Juli 1816), S. 297–302

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Charlene Jakob

Überlieferung

Textkonstitution

  • „Lorber“sic!
  • „-“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • Künstlerinurecte „Künstlerinn“.
  • dierecte „der“.
  • „… sich erkühnte. Die Besetzung war“Besetzungsangabe fehlerhaft; der betreffende Passus fehlt im Münchner Theater-Journal.

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