Aufführungsbesprechung, Prag: Erwähnung verschiedener Ausführenden und Werke, November – Dezember 1813
Theater.
Prag. – Den 20. November wurde gegeben: Das Lotterielos, Oper in einem Aufzuge von Isouard. Der Stoff dieser kleinen Oper ist in der That gar zu einfach, und sie könnte vielleicht nur dann einiges Interesse gewinnen, wenn sie von so vollendeten Schauspielern dargestellt würde, als man sie unter den Sängern leider selten findet. Die Gesänge sind größtentheils so artig, daß man wünscht, es möchte Herrn Isouard beliebt haben, deren noch mehr hinzuzufügen, um sein Publicum durch Reichthum der Musik für die Armuth an Handlung zu entschädigen. Mad. Grünbaum (Adele) sang ihren Part, vorzüglich die Bravourarie außerordentlich schön; im Spiele ließ sie jedoch viel zu wünschen übrig; eben so Herr Mohrhardt als Plinville. Er hatte, wie es scheint, die Rolle mit vielem Fleiße behandelt; doch gelang ihm die französische Etourderie nicht sehr, und trotz aller Bemühung vermochte er nicht die großen Schwierigkeiten zu überwinden, die diese inconsequente Rolle enthält. Überdieß hatte er gar keine Gelegenheit, seine kräftige Stimme zu zeigen, die sonst das Publicum für die Mängel seines Spiels entschädigt haben würde. Herr Allram war als Gastwirth nicht an seiner Stelle; und was das Ärgste war – er sang eine Arie, ein Duett und ein Terzett!!! Mad. Allram als Betty spielte mit vielem Fleiße. – Das Publicum fängt an, sehr kalt gegen die Oper im Allgemeinen zu werden; man hat hier durch längere Zeit eine zu gute Oper besessen, um sich leicht zu begnügen, und schwerlich wird die Theilnahme eher wieder reger werden, als bis die noch fehlenden engagirten Mitglieder eingetroffen sind, wozu durch die glänzenden Fortschritte unserer Waffen nunmehr die beste Hoffnung vorhanden ist. Möchten sie bald kommen, und die Behauptung Lügen strafen, daß selbst die Theater der kleinern Provinzstädte des Kaiserthums ein reicheres Opernpersonale besitzen!
Den 24. Nov. zur Benefice der Mad. Brunetti: Zwey Nichten für Eine, Lustspiel in 2 Acten von Hrn. v. Kotzebue, und: Das Waldmädchen, Ballett von Hrn. Brunetti. Der heurige Almanach dramatischer Spiele, woraus dieß die erste uns dargebothene Frucht ist, legt den Beweis ab, daß Herr v. K. die Kunst zu langweilen manchmahl in einem beynahe eben so hohen Grade besitzt, als er die Kunst zu amüsiren durch so viele Stücke bewiesen hat. Alle Matadors unserer Bühne hatten sich vereinigt, dieß kleine Stück vollkommen darzustellen; und gleichwohl war es ihnen unmöglich, das Publicum nur einigermaßen zu belustigen. Eben so wenig gelang es dem Ballett, seine alten Rechte auf die Gunst des Publicums wieder geltend zu machen. Erfreulich war es, Herrn Brunetti wieder erscheinen zu sehen, der, wenn er gleich durch mehrere Jahre des Privatlebens etwas an Kraft und Gewandtheit verloren hat, doch immer noch an die schöne Zeit erinnert, wo noch Tänzer in unserm Ballett tanzten, wo dieß Waldmädchen, von der zarten und gewandten Venturini vorgestellt, alles entzückte, zu welcher Dlle. Frühmann, trotz ihrer artigen Gestalt, leider nur ein Gegenstück lieferte. Auch war das artige russische Pas de deux – welches frey¦lich nicht für das heutige Waldmädchen componirt ist – weggelassen, und das Ganze durch eine Art von En huit oder Altvatertanz beschlossen. Das Gedränge im Schauspielhause – so groß, daß viele zurück gehen mußten – beweist hinlänglich, daß Mad. Brunetti durch die wichtigen Nebenbuhlerinnen, die ihr seit ein Paar Jahren zu Theil geworden sind, keineswegs aus der Gunst des Publicums verdrängt worden, welche sie durch die lobenswerthe Bescheidenheit an diesem Tage, die kleine Rolle der Mamsell Käsewurm zu übernehmen, gewiß in noch höherem Grade gewonnen hat.
Den 2. Dec. zum Besten des Herrn Bayer: Romeo und Julie, Trauerspiel in 5 Aufzügen von Shakespear, nach der Übersetzung von A. W. Schlegel, (von Herrn Passy für die Bühne bearbeitet.) Es ist gewiß für jede Direction eine der schwierigsten Aufgaben, Shakespeares Stücke auf die Bühne zu bringen, ohne entweder den Geist des Werkes zu verletzen, den kräftigen Witz des Britten zu verstümmeln, oder aber gegen den Geschmack der Zeit zu vertsoßen, der an diese wilde Größe nicht gewöhnt ist. Der Bearbeiter dieses Stückes hat die erste Klippe sorgfältig umgangen, und man kann nicht nur mit vollem Rechte sagen, daß er keine Schönheit des Originals verloren gehen ließ, sondern der Prolog, und besonders die letzte Scene des fünften Acts, die ganz sein Werk ist, sind von so großer theatralischer Wirkung, daß man fast sagen möchte, daß sie das Publicum mehr als das Ganze anzogen. Was jedoch das Glätten und Beschneiden üppiger Auswüchse betrifft, so ist es ihm nicht so gelungen, die große Dichtung dem Geiste unsers Jahrhunderts anzufügen, sie für unser Publicum genießbar zu machen, daher der Beyfall auch sehr getheilt und die Urtheile über dieß Trauerspiel die widersprechendsten sind. Während die poetischen Poeten von Entzücken überfließen, und der Kunstwelt Glück wünschen, daß endlich Shakespear’sche Kraft und Fülle, gepaart mit Sokratischer Ironie, wieder ihr Recht auf unsere Bühne geltend machen, suchen die Altklugen die einzelnen Nebelflecken sorgsam auf, und verwerfen das Ganze als widersinnig und indecent! Die Aufführung war nur zum Theil glücklich. Romeo war von Herrn Bayer mit Geist aufgefaßt und lebensvoll wieder gegeben; vorzüglich gelangen ihm die räthselvollen Scenen mit Mercurio, jene beym Priester, wo ihm dieser die Verbannung ankündigt, und die letzten in der Gruft; weniger erfreulich waren die zärtlichen mit Ausnahme des Abschieds von Julien, welcher von ihm und Mad. Löwe – die auch in dieser Rolle ihrem Rufe entsprach – unendlich schön dargestellt wurde. Herr Wilhelmi gab den Mercurio mit Fleiß und Einsicht; doch fehlte es ihm hie und da an Kraft und gehörigem Nachdruck. Mad. Junghans als Amme excellirte wie gewöhnlich in gutherzigen alten Frauen. Mad. Liebich (Gräfinn Capulet), Herr Polawsky (Herzog von Verona) und Hr. Mohrhardt (Graf Paris) gaben sich viele Mühe; doch war es nicht möglich, aus ihren undankbaren Rollen etwas zu machen. Herr Brückel (Capulet) und Herr Allram (Simson) hatten ihre Rollen ganz vergriffen.
Apparat
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Jakob, Charlene
Überlieferung
-
Textzeuge: Der Sammler. Ein Unterhaltungsblatt, Jg. 6, Nr. 2 (2. Januar 1814), S. 8