Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Dresden, Freitag, 27. Juni 1817 (Nr. 60)

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An

Mademoiselle

Carolina Brandt.

Wohlgebohren

MitGlied des Ständischen Theaters

zu

Prag.

Kohlmarkt No: 514.

im 2t Stok.

Meine vielgeliebte Lina!

Gestern Abend erhielt ich deinen lieben Brief No: 64. der mir, wie Alle stets, ein rechtes Labsal und Erquikung war. Glaube wohl daß du gelacht hast über den Anfang meines Briefes, weil du ein kleiner Spizbube bist, und dich doch so halb und halb freuest, wenn du siehst wie ich früher auch dumme Streiche gemacht habe. Aber daß mich dieser Zufall traurig gemacht hätte ist wahrlich nicht wahr, höchstens eine 4tel Stunde, dann war es verschmerzt, ja sogar die Freude da, wieder etwas gewiß vertilgt zu wißen. daß ich die lezten 14 Tage her trübe und verdrießlich war, ist nicht zu läugnen, und mag das im Wetter, im Geschäfte und in meinem stillen Leben liegen wo ich gar keinen Menschen habe deßen Umgang mich so recht erfreuen könnte, ppp liegen. Du weißt ja ich habe manchmal so melancholische Anfälle wo ich stille brüte, und steinern aussehe. es ist wirklich auch körperlich, vergeht aber auch bald wieder. Gestern Morgen war ich recht heiter, auf den Abend aber wurde ich wieder recht verstimmt, durch ein Gespräch mit Hellwig. dieser ist ganz disgustirt, und will auf jeden Fall die Regie niederlegen. Bei der Gelegenheit sah ich denn auch wieder Manches, was ich zwar schon längst überall zu finden gewohnt bin, mir aber doch immer schmerzlich ist, es bestätigt zu finden.      Geliebte Lina, wie schwer ist es doch hat man zugleich ein weiches Gefühl, den eigenen Verstand zuweilen zu ertragen, wenn man sieht wie er alle Menschen um einen herum die ihm nicht gleich stehen, entweder ängstlich, oder neidisch, oder verdrießlich macht, wenigstens traurig.      da der Graf mir Vertrauen schenkt, da Alles geschieht was ich will, /: weil ich nur das Gute will :/ da die Oper sich bei diesen wenigen Kräften schon so hebt und auszeichnet, so sieht man darinn schon den Untergang des Schauspiels. Statt daß dieß ein Sporn für daßelbe sein sollte, verjammern sie sich ganz unthätig.     ich kann dir dieß nicht alles so ausführlich beschreiben, aber du wirst mich wohl verstehen. Es ist am Ende ohngefähr wieder daßelbe wie bei Liebichs Lebzeiten. Laße dich aber dadurch ja nicht verstimmen lieber Muks, denn auch mich macht so etwas nur in der Beziehung trübe, daß ich sehe wie einsam ich immer in der Welt stehen muß, wo ich doch so gerne alle freundlich und fröhlich um mich versammeln möchte. Es geht aber nicht, und also ist nichts weiter zu thun, als ruhig seiner Ueberzeugung gemäß fortzuwandeln, und zum Besten der anvertrauten Anstalt zu thun was nöthig und gut ist, unbekümmert um alle anderen Rüksichten.     Hellwigs Verlust bei der Regie ist sehr bedeutend für uns, er ist ein durchaus guter, braver, eifriger Mann, aber leicht verwundbar und abgespannt, wenn er selbst glaubt nicht das hervorbringen zu können was er wünscht und als sein Ideal anerkennt. Ich bin wirklich recht begierig wie sich das Alles nach und nach gestalten wird.     Außer diesem unbehaglichen Gefühl daß aber überall daßelbe ist, habe ich aber wahrlich gar keinen Grund zur Klage. Im Gegentheil täglich befestiget sich mehr das Zutrauen und die Achtung meiner Untergebenen und des Publikums, und wenn Muks einmal da ist, so kann ich zu allem lachen, da flücht ich mich zu ihr, Err macht mir einen Spaz vor, und ich vergeße die ganze Theaterwelt in meiner stillen Häuslichkeit. gelte?

Nun zu deinem lieben Brieflein. Freut mich, wenn dir die paar Kleinigkeiten | Spaß gemacht haben.      Glaube es gern daß die Grünb. das leztemal nicht so zufrieden mit uns war, als das erstemal. ich war es aber auch nicht so mit ihr, denn wie ich es voraussah, war sie ganz trunken von Berlin und ich fürchte wohl nicht ohne Grund daß diese Herren sie uns wegfischen werden. – Ha ha, nimmt ers übel daß ich ihn einen E – geschimpft habe? ja warum ist er auch wiederum so ein Ahndungs Oz? und quält sich unnüzzer weise?     du sagst du dürftest mir nichts verdienen? Oha, gerade umgekehrt, du must alles verdienen. du mußt mir Kraft zum Dienst, du must mir Lust zur Arbeit geben, Du mußt sehr viel componiren, und gut, damit ich Ehre und Geld ärndte. O, du wirst viel zu thun haben, und wirst schon sehen daß das nicht so leicht ist als du glaubst. – Ich bin froh wenn Eure Stimmung beßer ist als ich glaube, und es liegt für mich viel Trost darinn.     du Spizbub! stellt sich so traurig daß er nicht gefirmt ist, und dreht die Sache mit dem ernsthaftesten Gesicht dann ins komische     nu warte nur, ich will dich schon firmen, auf beide Bakken.      daß du die Nina aufgegeben bin ich recht froh*, ich hätte dich ewig damit aufgezogen.     Aber nun muß ich auch recht zanken, wegen dem zu kalten Baad, wann wirst du endlich einmal vorsichtig werden du dummer Mops. ’s war ein Glük daß es noch so gut ablief, und das Publikum dem H: Pagen ein Pflaster auflegte*. Haue verdienst du, troz dem daß du hernach gut gesungen hast. was du von der Exellenz, und der Liebich, Männertreue pp schreibst. hast du ganz recht dir in einer Beziehung sehr zu Herzen zu nehmen, nehmlich in der, dich gegen alle dergleichen elende Äußerungen und allenfallsige Machinationen zu waffnen, mit Unglauben, Verachtung und Lachen. Alle dergleichen Karakterlose und lokker lebenden Menschen, haben gar keinen Begriff für einen unbescholtenen ordentlichen LebensWandel, und sehen nur in dem der einen solchen Ruf besizt einen feineren Spizbuben, der sein Spiel verbirgt. ja Sie sind elend frech genug, ihr eigen zügellos öffentliches Leben für Offenheit und naive natürliche Ungebundenheit auszugeben. so wie die meisten Grobiane von ihrer Grobheit sagen – ich bin nun schon so ein gerader ehrlicher Kerl –

Nun, bald wirst du in ganz andere Beziehungen, und unter andere Menschen kommen, die – gleichen sie sich auch im Allgemeinen Alle, doch ganz anderen Wesens sind als die Theater Menschen.

Grünbaums grüße recht herzlich von Bassi und mir.

Der TaufSchein ist Gestern angekommen. So schwindet ein Hinderniß nach dem andern, und so werden auch die 3 Monate schwinden*. d: 1t August ziehe ich in meine neue WohnungT. und werde da dann ordnen, was das nöthigste ist. Manches wird wegfallen, und an der gehörigen Gelegenheit, sich alle Jahre es bequemer zu machen, nach Lichtensteins Theorie, wird es uns nicht fehlen.

Dem Herrn Hans*, gratuliere nachträglichst zu seinem Nahmenstag aufs beste, für mich.     Hast du meinen Brief gehörig abgegeben an die Drin? d: 23t.     daß dein Zeichnen vorwärts geht, freut | mich sehr, und ich gratulire zum tuschen. Wie steht es aber mit dem französisch sprechen? das ist so nöthig.      Ey, stikk du in Gottes nahmen dem Bomsel einen schönen Hosenträger. er ist wirklich sehr freundlich und gefällig von jeher gewesen, und wenn er dir auch ein bißel die Cour macht, das thut ja nitz, hoffentlich.

Diese Woche ist sehr hart.      d: 23t hatte ich Abends 6 Uhr die GeneralP. vom Waisenhaus auf dem Baade. Worauf ich sehr ermüdet nach Hause kam, weil wir noch H: Urbans Melodram theilweise probirt hatten*. d: 24t um 10 Uhr Chor Probe vom Vaterunser*. sehr fatigant in der großen Hizze und der Menge Menschen. Nachtische in die Kirche* dann aufs Baad, das Waisenhaus. ging wirklich herrlich, und machte mir viel Freude. dann müde in Bett. d: 25t um 10 Uhr Probe von Lodoiska, um 5 Uhr Orchester P. vom Vaterunser, dann noch zu Böttiger in Dichter Thee.     Gestern früh GeneralProbe in der Kirche, die sehr gut gieng. ein imposanter Effekt, beinah 200 Musiker und Sänger.      Nachtische zum Grafen der am Montag abreißt. dann mit ihm ins Theater, Conferenzen und Differenzen dann in Bett. vorher ein Baad genommen, um deinem Beispiel zu folge mich auch einmal ins Waßer zu stürzen. das hat mir sehr gut bekomen, und ich werde es öfters wiederholen.

Jezt heißts in die Josephs Probe für H: Stümer, und Nachmittag ist das große ConcertT.     Werde dir wohl heute noch einmal schreiben durch H: Geyer, also vor der Hand ba! meine Alte! gute, mukkeliche Hamsterinn, sehr sei brav, und heiter und froh. und wenn mein Brief ein bischen gramlich aussieht, so bedenke daß ich meiner guten Mukkin im Ett alles klagen muß, da mußt du mich nemmen, und da werde ich doch wieder heiterer wenn ich mich so ausgeplaudert habe. Gott segne dich + + + Alles Schöne an die Mutter und Drs: und Kleinwächters. Schmalz war hier und ich habe ihn nicht zu sehen kriegen können, obwohl ich in allen Wirthshäusern herumlief ihn zu finden.

Ich küße dich Millionenmale, behalte lieb deinen dich über alles liebenden treuen Carl.

Editorial

Summary

Privates; über Auseinandersetzung mit Hellwig; über die “Theater Menschen”; die weiteren gemeinsamen Pläne; Webers Tätigkeiten im Theater; Proben, Besuch beim Dichtertee, Konferenzen

Incipit

Gesterm Abend erhielt ich Deinen lieben Brief Nr. 64

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Shelf mark: Mus. ep. C. M. v. Weber 103

    Physical Description

    • 2 Bl. (3 b. S. einschl. Adr.)
    • nebst Brief vom Abend des 27. Juni 1817, Nr. 60½

Text Constitution

  • “sehr”overwritten

Commentary

  • “… aufgegeben bin ich recht froh”Die Nina, Tochter der Baronin Wendheim, in Welche ist die Braut wurde am 24. Juni 1817 in Prag von Friederike Krickeberg gespielt; vgl. Tagebuch der deutschen Bühnen, Jg. 2, Nr. 12 (Dezember 1817), S. 344.
  • “… H: Pagen ein Pflaster auflegte”Gemeint ist der Page in Johann von Paris; die Aufführung fand laut Tagebuch der deutschen Bühnen, Jg. 2, Nr. 12 (Dezember 1817), S. 344 am 23. Juni 1817 statt, also einen Tag vor der Vorstellung von Welche ist die Braut ohne Caroline Brandt (vgl. vorhergehende Anmerkung).
  • “… auch die 3 Monate schwinden”Bis zur Hochzeit.
  • “… Dem Herrn Hans”Möglicherweise der Bruder von Philipp Jungh gemeint.
  • “… Urbans Melodram theilweise probirt hatten”Eine Aufführung des Werks kam in Dresden nicht zustande.
  • “… Uhr Chor Probe vom Vaterunser”Für das Konzert am 27. Juni 1817T.
  • “… Menschen. Nachtische in die Kirche”Wohl die Frauenkirche in Vorbereitung des Konzerts am 27. Juni 1817.

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