Carl Maria von Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
Dresden, Montag, 24. Mai 1824

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Zum erstenmale mein vielgeliebter Bruder, schreibe ich an dich mit einer gewißen Ängstlichkeit, ob ich mich dir auch ganz genügend werde verständigen können; denn zum erstenmale sind wir verschiedener Meynung, zum 1t male kann ich meine Ueberzeugung deiner gewiß stets reifern Einsicht nicht unterordnen und hingeben.

Nun erst fängt diese Geschichte an mich recht tief zu betrüben, ich kann mir denken wie Ihr alle über den Zweyzüngler erboßt seid, der auf die frechste Weise die Öffentlichkeit mißbraucht, wohl wißend daß ein ehrlicher Mann sich doch scheut, ohne offenbares muß, ihm die Larve abzuziehen. Kann mir meinen so herzlich verehrten Grafen Br: denken, wie er von meiner Freundschaft und Dankbarkeit für ihn hofft, ich werde in Treue beistehen.      aber, ich hoffe auch zu Gott, daß Ihr sämtlich bei einigermaßen ruhigerer Ueberlegung, mich davon vor der Hand, ehe nichts bestimteres von Sp: gegen mich öffentlich geschieht, — freisprechen werdet. In der wahrhaften Empörung in die mich seine Handlungsweise versezte, hätte ich gar zu gerne zugeschlagen, aber ich traute mir nicht allein Urtheilskraft genug zu, sowohl meinem aufgeregten Rechtlichkeitsgefühl, als einer wiedersprechenden inneren Stimme zu folgen.      Aber alle Freunde, tüchtige, brave Männer, beschwören mich noch abzuwarten.

Bedenke lieber Bruder.      Es gilt hier nicht allein die Meinung von Berlin, es ist auch zu bedenken was ganz Deutschland dazu sagt.      Wenn ein Komponist gegen den Andern auftritt, ist das nicht schon sehr gehäßig? und wird die Welt diese Nothwendigkeit nun auch so fühlen wie Ihr jezt? wird sie mich nicht anklagen, mit Lust die Gelegenheit ergriffen zu haben, Jemand öffentlich zu brandmarken?      Laßen wir unsre Gefühle bei Seite, und stellen wir uns auf den Punkt der kalten Zuschauer.      Noch ist es blos Sache des Grafen Brühl und | Sp:is. Sp: hat gelogen, und Br: hat das öffentlich gesagt. Es kömmt nun darauf an was Sp: wieder entgegen thut. Uebrigens hat ja mein guter Graf alles in Händen ihn ganz legal seiner Intriguen zu überführen; er kann ja von dem ihm von mir offiziell gesandten Brief-Auszug Spont: und dem Meinigen allen Gebrauch machen den Er für nöthig hält. — ja, der Brief Sp: an den Graf /: von dem ich troz der Mittheilung doch gar keinen Gebrauch machen darf :/ ist ja gänzlich hinreichend alle Welt von dem wahren Stand der Dinge zu überführen. Wie es Warum gebraucht der Graf dieß alles nicht? Seine Milde und Güte läßt ihn eben so sehr das Unheilbare fürchten, und vermeiden, so lange als es irgend möglich ist.      Warum soll ich den Feuerbrand werfen? da Sp: mich noch nicht öffentlich angegriffen hat. —

Unsre Briefe kreuzten sich. unterm 17t schrieb ich dir schon meine Ansicht, ehe ich noch deinen lezten Brief vom 15t d: 21t erhielt. /: Es stand außen drauf gedrukt, nach Abgang der Post. :/ unterdeßen hatte ich nun beiliegenden Brief an Sp: geschrieben, der nun freilich Eurem Sinne viel zu beigebend und freundlich scheinen wird, und vielleicht Euren Tadel erregt. aber ich habe die feste Ueberzeugung daß nur der wahrhaft Recht hat und behält, der bei gerechter Sache auch so ruhig und gemäßigt wie möglich und so lange es irgend thunlich ist, verfährt.

Brühls Antwort an Sp: ist mir eine Bestätigung meiner Ansicht. daß er aber nicht dem Fürst Wittgenstein | und nöthigen Falls dem gewiß gerechten König nicht das ganze vorlegt, ist mir unbegreifflich.

J: P: Schmidd hat mir die GeburtstagsFeyer des Grafen B: geschikt. das war recht an seiner Zeit, und ich hoffe davon eine wohlthätige beruhigende Einwirkung auf des Grafen Gemüth, daß allerdings aufs tiefste aufgeregt sein muß.      Wenn Er mich nur nicht verkennt, wenn ich nur erst dich, und du dann ihn, überzeugen könnte, daß es gewiß auch ihm Nachtheilig wäre, würde jezt schon die Sache aufs Äußerste getrieben.

Es bleibt einem übrigens der Verstand stehen. dieses freche Läugnen, diese listige Dummheit. Freunde laßt uns auf Gott, und auf Sp: fernere Uebereilung hoffen, daß er selbst thue was wir so gerne thäten, ihn seine wahre Gestalt der Welt zeigen.

Höchst ergözlich ist die Geschichte mit Gubitz*. Ueberhaupt würde ich die ganze Sache von der lustigen Seite nehmen, wenn nicht dein Brief mein ganzes Gefühl in Anspruch genommen hätte; in so fern ich nehmlich fürchten muß, meinen so sehr verehrten Grafen, durch meine Weigerung jezt schon öffentlich meine Corresp: mit Sp: drukken zu laßen, zu verstimmen, oder an meiner treuen Anhänglichkeit zweifeln zu machen.

In Quedlinburg gibt ein Verein zu Klopstoks Denkmal, d: 2t July ein großes Musikfest, deßen Direktion man mir angeboten hatT.

Frau und Kind sind auf dem Lande wohl, so gut es das heillose Wetter erlaubt. mir geht es so so.
Alles Erdenkliche an deine liebe Victoire, und verkenne nicht deinen treuen Weber.

Editorial

Summary

Versuch Webers, Lichtenstein davon zu überzeugen, dass er (Weber) z. Zt. nicht öffentlich gegen Spontini vorgehen wolle, auch wenn Brühl dieses wünsche; in diesem Falle müsse Brühl selbst aktiv werden; Quedlinburger Verein zu Klopstocks Denkmal habe ihm Leitung eines dort im Juli stattfindenden Musikfestes angeboten

Incipit

Zum erstenmale mein vielgeliebter Bruder

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
    Shelf mark: PB 37 (Nr. 55)

    Physical Description

    • 1 DBl. (3 b. S. o. Adr.)

    Corresponding sources

    • Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, 44. Jg. (1899), 87. Bd., S. 377–378
    • Rudorff 1900, S. 181–184

Text Constitution

  • “Wie es”crossed out
  • “ihn”crossed out

Commentary

  • “… ist die Geschichte mit Gubitz”Betreffend eine Publikation im Gesellschafter; vgl. dazu Lichtensteins Brief vom 15. Mai 1824 inklusive Kommentierung.

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