Alexander von Dusch an Max Maria von Weber in Dresden
Heidelberg, Dienstag, 11. Dezember 1860
(geschloßen 11. Dez.1860.)
Nur, um Sie, verehrter Herr, nicht zu lange in Ungewißheit über das Schicksal Ihres sehr geschätzten Briefes an mich zu lassen, unternehme ich es, ein mehr als halb erblindeter und nur noch in einen Nebel blikkender Greis, der fast in Allem fremder Hülfe bedarf, diese Zeilen, so gut ich es vermag, an Sie niederzuschreiben.
Ich ergreife die Feder eigentlich, um Ihnen zu sagen, wie glücklich ich wäre, wenn ich Ihnen Ihre inhaltsschweren Fragen aus der Vergangenheit beantworten könnte, daß ich aber wenige Hoffnung habe, Sie in irgend einem Punkte zu befriedigen. Schon die Lebensperiode, aus der Ihnen Materialien fehlen, ist mir ganz unbekannt geblieben. Ich habe Ihren theuren Vater nicht 1806, sondern erst 1810, oder Winter 1809 auf 1810 kennen gelernt.
Meine älteren Papiere, so weit wie überhaupt nach einem neun-maligen Ortswechsel in meiner diplomatischen Laufbahn und nach dem großen Brande des Ministerial-Gebäudes zu Carlsruhe am 2ten März 1848 noch vorhanden sind, liegen aufgehäuft in Kisten und Kasten, und bleiben auch, so weit sie noch geordnet sein mögen, für mich in meiner Lage unzugänglich.
Dazu kommt endlich, daß mein ohnedieß zu keiner Zeit sehr zuverläßig gewesenes Gedächniß | seit einer schweren mit großem Blutverlust verbundenen Krankheit vor einigen Jahren zu einem verschwimmenden Traum geworden, der mich wohl in schönen Bildern der Vergangenheit zuweilen noch beglückt, aber einem Manne, der zu einer Arbeit Bestimmtes verlangen muß, in keiner Weise genügen kann.
Was indessen von Lichtpunkten mir noch genauer erinnerlich ist, davon sei hier einige Mittheilung versucht: . . . . . . . . . – – –
So weit war ich mit meiner armseligen beschwerlichen‡ Schreiberei gekommen, als ich Ihr sehr geehrtes vom 6. Dezemb. erhielt.
Ich hatte mich aber auch unterdessen noch auswärts umgethan; doch auch alte Freunde konnten mir nur Dürftiges liefern, dürftiges, bei dem ich sogar voraussetzen muß, daß Sie es wohl schon besitzen, oder daß es Ihnen unbrauchbar ist. – Einerlei! ich liefere Ihnen nun das Wenige, was ich habe, und zwar:
1.) unter No 1. Notizen aus Eutin, geliefert vom Oldenburgischen Oberregierungsrath Hellwag mit dessen Unterschrift versehen, datum 12. Nov. d. J. – Eine „Zugabe“ ist am Schluße beigfügt von dem 70jährigen derzeitigen Bürgermeister der Stadt Lübeck, Ludwig Roeck, meinem u. Ihres seeligen Vaters treuem alten Freunde, dessen Vermittlung ich auch diese Mittheilungen verdanke. Als Beilagen finden Sie dazu: einen urkundlichen Auszug aus dem Eutiner Taufbuch (ich hoffte, daß darin etwas Näheres über Ihre Großmutter angegeben sein würde) und eine gedruckte Festrede von Pansch, gehalten in Eutin 1853. – Sollten Sie glauben, daß noch irgendwelche weitern Erkundigungen dort im Norden ersprießlich sein könnten, so mögen Sie sich, mit Berufung auf mich, in vollestem Vertrauen an den bereitwiligen Freund Roeck wenden, dessen Ihr Vater noch in einem Briefe an mich vom Jahre 1821 freundliche Erwähnung thut.
2.) Mit No 2 ist eine sehr unbestimmte, auf einem alten Gerücht aus den Zeiten des dicken Königs beruhende u. von einem 80jährigen Manne mitgetheilte | Notiz bezeichnet. – Mein Sohn, Legations-Rath und Geschäftsträger in Stuttgart hat mir sie überschrieben. Ich theile sie Ihnen mit, obwohl gar nichts damit zu machen ist, auch die Mittel gar nicht mehr da sind, derselben auf den Grund zu gehen.
3.) No 3 sind Abschriften von zwei Briefen Ihres lieben Vaters an mich aus den Jahren 1811 und 1821 – oder vielmehr von anderthalb Briefen, da leider an dem ersten ein Stück abgerissen ist, was mir gar sehr leid thut. – Ich wußte, daß unter meinen älteren Papieren noch Etwas vorhanden sein müsse, das früher einmal gerettet und wohl aufgehoben worden, aber ich konnte mit meinen Augen nichts suchen. Da kam vor 8 Tagen mein Sohn aus Stuttgart zufällig auf zwei Tage Besuch hieher; er durchsuchte viele Papiere und war so glücklich, sie zu finden und machte mir sogleich Abschriften, die Sie hoffentlich werden lesen können, so wenig seine Handschrift sich auch dazu empfehlen mag. – Es ist unstreitig das Werthvollste, was ich Ihnen mitzutheilen im Stande bin. Sind auch nicht viel Thatsachen daraus zu entnehmen, so lernen Sie doch eine Stimmung und Herzensergießung Ihres lieben Vaters mehr, und aus bestimmtem Zeitpunkt kennen. – Doch ist, was er über die Schwierigkeiten und über seinen Kampf gegen italienische Dudelei sagt, an und für sich interessant genug. Auch als Zeugniß von der Innigkeit unsrer unwandelbaren Freundschaft mögen sie Ihnen dienen. – Welche Freunde Ihr Vater später noch auf seiner leider so kurzen glänzenden Laufbahn erworben haben mag, – treuere u. innigere hat er gewiß nicht mehr gefunden, als mich und den leider auch schon lange dahin gegangenen General-Staats-Prokurator Gottfried Weber, letzterer zugleich in der lang fortgesetzten brieflichen Theilnahme pp. wohl der Einsichtsvollste von Allen. (Ich selbst lebte viele Jahre auf dem Schwarzwald u. in der Schweiz fast ganz abgeschlossen in meinen Geschäften von der Welt. –) Ich denke, seine Wittwe in Darmstadt wird Ihnen aus Ihrer besten Erinnerung manches aus der schönen Zeit von‡ 1810 bis 13 mitzutheilen im Stande gewesen sein. | Die allgemeine Tradition von jener Zeit ist in unsern Familien noch lebendig. Die (G.)‡ Weberschen Söhne sind auch treffliche Menschen. – Mein Sohn verwahrt noch mit einen unter meinen Papieren aufgefundenen gedruckten Conzertzettel (Programm) von einem Concert, das Ihr Vater am 13. August 1810 in Heidelberg im Widder’schen Saale gab: Quintett von Mozart, Clavier-Quartett von C. M. v. Weber, Variationen für Clavier und Violoncell von ihm und mir gespielt, freie Phantasie pp. Beim Quintett und Quartett war ich natürlich auch am Violoncell. Für ein anderes früheres Concert* hatte er in wenigen Tagen Variationen für mich componirt, die ich dann vortrug. Als Student in Heidelberg hatte ich natürlich einen großen Anhang in der ganzen Studentenschaft. Die Prinzipalstimme dieser Variationen besitze ich noch als theure Reliquie von Ihres Vaters eigner Hand*. Die Orchesterbegleitstimmen liegen von Copisten-Hand bei. Sie sind, so viel ich mich erinnere, viel später 1817–1820 in Berlin bei Schlesinger im Stich erschienen*. –
Das Lied „Weber’s Abschied“ – dem er später im Stich die allgemeinere Auffschrift „Künstlers-Abschied“ gab, ist im Jahre 1811 einige Tage vor seiner Abreise in Mannheim auf meiner Stube in kurzen Stunden niedergeschrieben u. componirt worden. Es war ein schwerer Abschied für uns Alle. – Wir hatten uns auch in Mannheim unsägliche Mühe gegeben, ihn festzuhalten, und daß ihm die dortige Kapellmeisterstelle übertragen werden möchte. Aber obschon unsre Großherzogin Stéphanie selbst geneigt war und ihre Verwendung eintreten ließ, konnten wir es nicht durchsetzen. – Allerdings ließ sich gegen die vollkommne Fähigkeit des damals in Wirksamkeit stehenden Kapellmeisters Ritter nichts einwenden, desto mehr aber gegen seinen Fleiß und Eifer.
Über die Entstehungsgeschichte des „Freyschützen“ auf meiner Stube hat Ihnen wohl mein Neffe August Weber einige Thatsachen mitgetheilt, wie ich sie demselben angegeben habe, und indem ich mich daruf beziehe, bestätige ich dieselben.
|Ich habe im Laufe dieses Jahres einige „Flüchtige Aufzeichnungen“ aus meinem früheren Leben, insbesondere aus jener Zeit „für meine Familie“ niedergeschrieben, aus denen Sie freilich keine neuen Thatsachen schöpfen könnten, die aber doch eine wahrhaftige Färbung an sich tragen müssen, wie jene Zeit in meiner Erinnerungsphantasie lebt, und daher nicht ganz ohne Interesse für Sie sein dürfte. – Ich will sehen, ob ich einen Abschreiber auffinde, der mein Geschreibe lesen kann, will sie abschreiben lassen und Sie sollen sie in einigen Wochen nachgeschickt erhalten.
Tragen Sie die Freundschaft der Väter auf die Söhne über, im Falle Sie mit ihnen in Berührung kommen; zu dem Ende nenne ich meine 3 Söhne hier nachfolgend:
- 1.) Mein ältester Sohn Ferdinand v. D.‡, Baden’scher Legations-Rath pp. in Stuttgart, vermählt mit einer Freiin Schott von Schottenstein.
- 2.) Gottfried v. D., MinisterialRath im Ministerium des Innern in Carlsruhe – vermählt mit Freiin Caroline von Schweizer.
- 3.) Theodor v. D., Professor der Medizin, Director der Poliklinik und practischer Arzt, an der Universität Heidelberg – vermählt mit Fräulein Gmelin, Tochter des berühmten Chemikers. (ich würde den Sohn gern bei meinem Geschäfte zu Hülfe genommen haben, wenn er nicht gar zu viel zu thun hätte.[)]
Sollten Sie in irgend einem Falle Anlaß haben, sich an Einen derselben zu wenden, so werden Sie treue biedere Menschen in denselben finden.
Mit herzlichen Gesinnungen begrüße ich Sie am Schluße dieser wohl kaum zu entziffernden Zeilen, als den Sohn meines alten treuen Freundes und empfehle mich mit ausgezeichneter Hochachtung
| Ew: Hochwohlgeboren Ergebener Freund
Alexander von Dusch.
Bad. St. Minister a. D.
Heidelberg
11. Dez. 60.
N. S. Verzeihen Sie den Verzug. Hätte ich die Briefe ohne Hülfe meines Sohnes auffinden können, so würden Sie das Andre schon etwas früher erhalten haben. Aber nur mit der Mittheilung der Briefe kann ich glauben, Ihnen einen Dienst zu leisten. D.
Sie haben wohl die Gefälligkeit, mir Nachricht von dem Empfang zu geben und mir zu sagen, ob Sie noch Werth auf Nachsendung einer Abschrift meiner „Flüchtigen Aufzeichnungen“ legen, in denen etwas weitläufiger von der Art unseres Treibens und Lebens im J. 1809, 1810 pp., auch über Meyer-Beer, Vogler pp. die Rede ist – Schilderungen ohne bestimmte Thatsachen?
Apparat
Zusammenfassung
hat leider durch Krankheit keine gute Erinnerung mehr; legt ihm Informationen von Hellwag und Roeck über Eutin bei, ferner Festrede von Pansch; legt Abschriften von 2 Briefen Webers bei (1811 u. 1821), über Manuskripte aus dieser Zeit und Erinnerungen an Kompositionen Webers; erwähnt seine „Flüchtigen Aufzeichnungen“, die er ihm senden will, u. a. m.
Incipit
„Nur, um Sie, verehrter Herr, nicht zu lange in Ungewißheit“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Veit, Joachim
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Weberiana Cl. V (Mappe XVIII), Abt. 4 B, Nr. 14 HQuellenbeschreibung
- Abschrift von Jähns; 6 b. S.; Anm.: „Copirt nach den Originalen. Das Schreiben war Autograph v. Dusch“ (angefügt ist Jähns’ Kopie der Flüchtigen Aufzeichnungen)
- Am Ende der Briefkopie findet sich eine Nachschrift: „Dieser Brief wurde den 12. Dez. 1860 abgesendet, wie aus der Bemerkung zum Schlusse der Copie des Briefes von Carl Maria aus dem J. 1811 hervorgeht, wo es heißt: ‚Obige Abschrift‘ (des Briefes v. Carl Maria v. We. von München d. 15. Mai 1811) ‚ist gleichlautend, ohne Änderung, Zusatz oder Weglassung mit dem Bruchstück Original, wie es noch in meinen Händen ist.‘ Heidelberg 12ten Dez. 1860. Alexander von Dusch.“
Textkonstitution
Die in der Vorlage am Rand notierten Erläuterungen von Jähns wurden nicht in die Übertragung mit aufgenommen, da sie nicht zum eigentlichen Brieftext gehören.
-
„beschwerlichen“unter der Zeile hinzugefügt
-
„Zeit von“unter der Zeile hinzugefügt
-
„(G.)“unter der Zeile hinzugefügt
-
„v. D.“über der Zeile hinzugefügt
Einzelstellenerläuterung
-
„… Für ein anderes früheres Concert“Konzert am 30. Mai 1810 in Heidelberg; vgl. Aufführungsbesprechung, in der es u.a. dazu heißt: „Die Composition ist unbedeutend, desto bedeutender aber die Schwierigkeit der Passagen, welche nicht selten der Natur des Instruments ein wenig zu widerstreiten scheinen, jedoch von Herrn von Dusch mit vieler Kraft und Präzision und richtigem Geschmacke vorgetragen wurden, [...]“.
-
-
„… bei Schlesinger im Stich erschienen“Erste Originalausgabe mit Orchesterstimmen im Bureau de Musique C. F. Peters Leipzig 1853.