Friedrich Rochlitz an Carl August Böttiger in Dresden
Leipzig, Montag, 7. Mai 1827
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Daß Sie, lieber, treuer Freund, bey dem Trauerfalle*, der ohnehin Sie vielfach beschäftigen wird, auch meiner sogleich und besonders gedacht haben: das verlangt auch besondern Dank; und den bezeige ich Ihnen hiermit, wenn ich auch übrigens fast gar nichts von einigem Belang hinzusetzen kann.
Für das neue Verhältnis kann ich die Besorgnisse, die da und dort rege seyn mögen, nicht, oder doch nur in sehr geringem Maaße theilen; ich, den politischen Verhältnissen fern stehend, aus psychologischen Gründen. Unvermeidlich gewesene und darum, wenn auch nicht laut, zugestandene Unfähigkeit und Ungeübtheit in irgend einem wichtigen Geschäft, das man nun doch übernehmen muß, macht ängstlich. Ängstlichkeit hält sich an das nun eben Bestehende, besonders wenn dies bisher mit allgemeiner Achtung aufgenommen worden ist, Zufriedenheit gefunden, seine Tauglichkeit durch lange Erfahrung bewähret hat; sie thut das um so viel mehr, wenn der Vormann, durch den es war und bestand, allgemein, und vom Nachmann unbedingt, geehrt und geliebt war; auch dieser, der Nachmann, gleichfalls in hohen Jahren steht und alle dem unterliegt, was diese mit sich bringen. So können zwar Schwankungen, persönliche Einflüsse und Rücksichten, einzelne Vergünstigungen u. dgl. stattfinden — und sie werden es höchstwahrscheinlich: doch das sind Einzelnheiten, die man so oder anders, mit Recht oder mit Unrecht, wünschen kann; aber auf das Ganze haben sie schwerlich bedeutenden Einfluß, und uns kann eigentlich doch nur an diesem liegen.
Welchen Eindruck der Tod des guten Königs hier gemacht — fragen Sie. Das ist in dem zerstreueten, jetzt, im Mittelpunkt der Messe, noch zehnmal mehr zerstreueten Leipzig, schwer zu beantworten; besonders von mir, der ich das Gegentheil eines | Umherläufers bin. Doch so viel glaube ich behaupten zu können: die Nachricht überraschte nicht; die Theilnahme ist ehrlich, doch gemäßigt. Besorgnisse hegt man nicht: besondere Hoffnungen noch weniger — die abgerechnet, welche in der jetzigen Veränderung nur eine Art rechtlich-schicklicher Vorbereitung zu einer zweyten sehen wollen; (wovon hernach) und der gemeine Troß bedauert die Störungen der, eben in dieser Messe so überreichen, öffentlichen Vergnügungen u. dgl. Jene besondre Ansicht betreffend, so kann ich, meiner Stellung nach, nicht einmal eine Meynung haben: doch Eines will ich Ihnen (NB!) nicht verhalten. Als vor etwa 6 Jahren ein hochstehender, mir in gewisser Hinsicht nahe gekommener Mann, der, wenn ihn sein damaliger Beruf nach Leipzig führte, am guten Tage mir viel Zutrauen bewieß, von mir darüber befragt wurde: so gar er die Antwort: Möglich zwar, doch nicht im Geringsten wahrscheinlich; wir wissen durchaus nichts, und es müßte es, außer der Familie, nur Ein Mann wissen. Ganz derselben Meynung war man 1822 in Wien (bey Pilat pp) — Aus Obigem scheint mir hervor zu gehen, daß auch kein Ministerwechsel statt finden werde, wenn nicht Min. Einsiedel selbst freywillig zurücktritt. Dies soll er ehemals für den Fall, der nun eingetreten, wirklich entschlossen gewesen seyn: indessen — leicht kann sich ein Jeder ändern; und nach einer Gewohnheit durch nicht wenige Jahre zu regieren, im Regieren schöner, fast ungetrübter Erfolge sich zu erfreuen, giebt sich das Steuer gewiß schwer auf. Aber selbst für diesen Fall dürfte zu Senft, seit den Scenen 1813 in Prag, (welche in Sachsen wohl Wenige so genau wissen, wie sie mir in Wien mitgetheilt wurden.) nur die Noth treiben; und sollte diese jetzt eintreten können? —
Sie fragen ferner: Wird der Staatscredit leiden? Auch hier kann ich keine Meynung haben; zwey unsrer ersten Banquiers aber antworteten mir mit voller Zuversicht: Nein; und ihre Gründe | schienen tüchtig. Kleine, bald vorübergehende Schwankungen wären möglich, doch unbedeutend für das Ganze; und auch diese nicht einmal wahrscheinlich. — Nach den wenigen Worten, die Sie über Prinzessin Therese äußern, kennen Sie sie besser, als sie von den Meisten gekannt wird. Die Veränderung wird sie auch diesen nun kenntlicher machen; wobey sie selbst wohl nur gewinnen kann, und die ihr nahe stehen, oder auf welche sonst sie einwirken möchte, gleichfalls. Gewisser anderer weiblicher Einfluß, der seit 1812 nicht so gering gewesen, als man aus früherer Zeit anzunehmen gewohnt gewesen ist, wird dagegen nicht bestehen können, wenn er auch wollte.
Daß dem guten seel. Könige noch in den letzten Tagen die große Freude geworden, Hoffnung für die Fortdauer seines Stammes fassen zu dürfen, und das treffliche katholische Regulativ zu Stande zu bringen: das hat wohl für jeden Wohlgesinneten, wie für mich, etwas erquicklich Rührendes.
–
Ich [wurde] unterbrochen durch Meßanlauf, der bey mir diesmal ärger ist [als sonst] jemals. Nun muß ich abbrechen, soll der Brief heute zur Post. Wir sehen uns ja bald in L., und dann, wollen Sie es, öfters in Dresden. — Daß Hr. v. Miltiz und Winkler Ihnen gesagt haben, ich sey so krank und so düster, daß ich nicht zugänglich gewesen, ist — mit Verlaub — auch nicht Ein wahres Wort. Vielleicht hat Freund Wendt es Beyden aufgebunden. Der macht solche Suiten hinter mir; indeß er vor mir sich bückt. Hat er mich doch auch bis vor 8 Tagen in dem Wahn erhalten, er schreibe Webers Biographie, von der ich, wie Sie wissen, nur zurücktrat, um ihm aus dem Wege zu gehen*. Er würde meinen Wahn noch jetzt nicht aufgehoben haben, hätte ich, auf besondere Veranlassung, ihn nicht bestimmt befragt. So ist die Welt! Nun — wir sind nicht so!
IhrRochlitz.
Apparat
Zusammenfassung
zum Tod des Königs, Spekulationen zu evtl. Ministerwechsel, über Prinzessin Therese und andere Bekannte, in Sonderheit Wendt, und seine verworfene Absicht, eine Weber-Biographie zu schreiben
Incipit
„Daß Sie, lieber, treuer Freund, bey dem Trauerfalle“
Überlieferung
Einzelstellenerläuterung
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„… aus dem Wege zu gehen“Zur geplanten (nicht zustande gekommenen) Weber-Biographie vgl. ausführlicher Weberiana 25 (2015), S. 6–11, speziell den Rochlitz-Brief vom 21. Juni 1826.