Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Berlin, Dienstag, 16. August 1814 (Nr. 12)
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Ich bin bitterböse, ärgerlich und brummig über 2 schöne verlohrne Tage, an denen so viel hätte geschehen können, da mir ohnedieß die Zeit zu knapp zu allen Geschäften wird. du weist wie sehr ich Spektakel, Aufzüge pp haße, und welche tödtliche Langeweile und Ungeduld mich dabey erfüllt, und denke dir nur, daß ich 2 Tage hindurch blos damit angestopft worden bin. d: 14t früh um 7 Uhr kamen schon Leute zu uns die den Einzug der Rußischen Garden, vom König eingeholt, sehen wollten. So vertrödelte sich der ganze Vormittag. Mittags Großes Dinèr bey Beers wollte kein Ende nehmen. Dann mußte ich spielen und singen, und wie wir alle schon gehen wollten, fiel es H: Fischer erst ein, sich hinzusezzen und ein paar Stunden von seinen Compositionen vorzusingen. So war ein Tag vertrödelt. Gestern d: 15t mußte ich den ganzen Vormittag herumlaufen bis ich die Zeitungs Annonce meines ConcertsT zu Stande brachte, wozu 10000 Quittungen pp nöthig sind. Mittags und Nachmittags war großer Spektakel unter unsern Fenstern, denn der König speiste die Garden. Abends großer Ball, von dem ich mich aber losschraubte, und zu Hause Klavier spielte. ich war aber so ermüdet, von dem herumstehen und geschäftigen Nichtsthun der 2 Tage daß ich ganz ermüdet, schon um 10 Uhr ins Bett ging. So war auch dieser Tag maßakrirt, und nun ich meine Galle ausgelaßen, kann ich erst dazu kommen meiner Lina einen recht freundlichen Guten Morgen zu sagen, während Sie wahrscheinlich noch sanft in ihrem Bettchen ruht und vielleicht von ihrem Carl träumt. Nur heitere Träume das bitte ich mir aus, nichts schwarzes nichts ängstliches, alles so hell und klar und gut wie es wirklich ist. Wie unzähligemal‡ denke ich, wenn dein Mukkerl dich doch so sehen könnte, wenn sie wißen könnte | wie ich lebe, fühle, und handle. wie zufrieden und ruhig könnte Sie ihr Tagewerk anfangen und enden. ich habe mit Vergnügen aus deinem Briefe und denen Beylagen geschloßen, daß du dich wieder der Bach genähert hast. und das freut mich von Herzen, denn ich kann mir dich gar nicht denken so ganz allein stehend in dich verschloßen, weder Freud noch Leid theilen könnend.
Mir thut es unendlich wohl daß ich eine Seele habe mit der ich von dir sprechen kann, und die mich versteht, denn es wird wenige Menschen geben die so viel gleiche Ansichten und Gefühle haben als Lichtenst: und ich. Wenn wir so den ganzen Tag mit oder ohne einander zugebracht haben, und spät Abends zusammen treffen, da wird denn noch eins geplaudert, und zuweilen recht tief in die Nacht hinein philosophirt, bis es uns endlich selbst bedünkt, es sey Zeit schlafen zu gehn. Doch sind dieß die einzigen Momente wo wir uns recht ungestört haben können, denn den übrigen Theil des Tages sizt jeder in seiner Klause und arbeitet oder geht seinen Geschäften nach. Alle meine Freunde sind eigentlich mit mir unzufrieden, da ich unmöglich jedem die Zeit widmen kann die er wünscht, und bey den meisten ich nur eine Ankunfts und Abschieds Visite machen kann. Die verdammten ConcertAnstalten und dazu nöthigen Laufereyen nehmen mir die meiste Zeit weg, und sind mir auch sehr zuwider. da ich es jezt theils ganz ungewohnt bin‡, theils zu faul dazu bin. Es ist mir immer als müßte ich Heute einen Brief von dir bekommen. Der lezte hat mich so freudig überrascht daß ich diesen gewiß bis zum lezten Augenblikke liegen laßen werde. Nun ich mich gestärkt und mit meinem theuren guten Mukkel geplaudert habe, will ich zur Geschäfts Correspondenz und dann zum Visiten schneiden schreiten. Guten Appetit, Nachtische noch mehr von Deinem treuen Carl.
Dießmal hat mich meine Hoffnung, vielleicht aber auch nur der Briefträger betrogen, und ich habe vergeblich auf einen Brief meiner lieben Lina gewartet. Der Mensch ist doch ein recht ungenügsames Thier das gleich unzufrieden ist wenn etwas nur eine Stunde anders geht als es sich denkt. | Wie leicht ist ein Brief a[bgesond]ert, von der Post pp wie gut weis man alles dieß, und wie wenig ist es hinreichend einen zu befriedigen und zu beruhigen. Auch kann ich nicht genug sagen wie unangenehm mir das Gefühl ist daß ein Brief so lange braucht ehe er an den Ort seiner Bestimmung kömt. Wie sehr ändern sich unterdeßen die Gefühle des Augenbliks, man erhält einen finstern Brief, er erregt dießelbe Stimmung und man antwortet im gleichen Tone, unterdeßen diese Antwort hinkömt, kömt schon etwas anderes frohes, und gut machendes; wie gerne, wie theuer möchte man nun das wieder zurükkaufen, was diese lezte gute Stimmung wieder stöhren muß. So kreuzt sich alles im Leben. Man sollte eigentlich immer auf alles die Antwort abwarten ehe man wieder spräche oder schriebe. Aber wie breit gedehnt und nicht zu erwarten würden da die Nachrichten und der Austausch der Gedanken und Gefühle. Das Beste ist und bleibt ewig sich Auge in Auge sagen zu können was man denkt, und seine Antwort eben so frisch da zu lesen. Manchmal wird mir das Gefühl des Heimwehes des Schweigens recht deutlich, eine unnennbare Sehnsucht ergreifft mich, und macht meinen Geist so weich so verwundbar, daß ich weinen möchte. Wenn dann der stolze Verstand der oft so dumm ist, auffährt und das übel nehmen möchte, so schlägt ihn das Gefühl auf den Mund und sagt daß es etwas herrliches sey, noch so empfinden zu können, und daß mit Gottes Hülfe dieß noch lange nicht verschwinden dürfte, wol[lte] man nicht ganz elend sein. Zuweilen habe ich schon geglaubt auf diesem Punkte zu stehen, aber nun gebe ich mich gerne und willig schönerer Hoffnung hin. —
Bitte die gute Bach in meinem Namen um Verzeihung daß ich ihr noch nicht geantwortet, es ist mir aber unmöglich gewesen. Denk an mich Mukkerl, sey brav, sey froh, denk an dein Versprechen an deine Vorsäzze, und vergiß nie daß mein Glük nur in dem deinen lebt.
Ewig unverändert dein dich innigst liebender Carl.
Grüße an die Mutter
und alle Bekannten.
Apparat
Zusammenfassung
Bericht über Berliner Aktivitäten und gesellschaftliche Verpflichtungen; Freundschaft zu Lichtenstein; Visiten; Privates
Incipit
„Ich bin bitterböse, ärgerlich und brummig über 2 schöne“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Mus. ep. C. M. v. Weber 45Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
- Siegelrest u. -loch
- Zusatz am oberen Blattrand 1r von F. W. Jähns: „(1814. Berlin.)“
- Rötelmarkierungen von Max Maria von Weber
Provenienz
- Weber-Familiennachlass
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Muks, S. 85–89 (Nr. 10)