Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Berlin, Samstag, 20. August 1814 (Nr. 13)
Einstellungen
Zeige Markierungen im Text
Kontext
Absolute Chronologie
Vorausgehend
- 1814-08-16: an Schultze
- 1814-08-20: von Weber
Folgend
- 1814-08-23: an Weber
- 1814-08-23: von Weber
Korrespondenzstelle
Vorausgehend
- 1814-08-16: an Weber
- 1814-08-20: von Weber
Folgend
- 1814-08-23: an Weber
- 1814-08-23: von Weber
Meine gute liebe Lina!
Ich kann dir nicht genug sagen und beschreiben wie wohlthätig deine Briefe durch ihren herzlich natürlichen Ton, der mich endlich über die Stimmung meines theuren Mukkerls beruhigt, auf mich wirken.
Dein lieber lieber Brief No: 11, vom 12t ist so gut, so lieb; daß ich ihn freßen möchte, wenn ich ihn nicht noch unzählichemal lesen wollte, und da du oft selbst sagtest, nit freßen!! so thue ich es auch hier nicht, denn er ist ja dein Repräsentant, und du sprichst aus ihm zu mir. Der Troubel in den mich die Anhänglichkeit meiner Freunde stürzt, ist so toll und arg, daß ich mit dem Morgenden Tage, auf einige Zeit ein Ende machen, und gar nicht aus meiner Stube gehen werde, die nöthige Concert lauferey leider ausgenommen. ich gehe so spät ins Bett daß ich vor Ermüdung gar nicht dazu kommen kann, meinem Mukkerl anders als in Gedanken Gute Nacht zu sagen; und das ist mir gar nicht Recht, denn ich gebe gar zu gern Abends noch so den warmen Eindruk des Tages hin aufs Papier, damit meine Lina immer mit mir gehen kann, und sieht was ich treibe.
d: 16t Abends war große Gesellschaft bey Hotos. wo der StaatsKanzler Fürst Hardenberg pp da waren, ich wurde ihm präsentiert, und mußte spielen. auch Romberg war da und spielte. Das war denn doch im Ganzen herzlich langweilig, und ich dankte Gott wie ich um ½ 2 Uhr im Bette lag.
d: 17t Arbeitete ich früh, und machte dann Visiten. beym Fürst Radzivil pp Mittag aß ich bey der guten Koch, und Nachmittag und Abend brachte ich abermals bey Gubiz zu, mit Vorlesen und Opern Plan entwerfenT. Da noch immer kein Brief von dir ankam, war ich nicht sonderlich gut zu sprechen, und soll sehr brummig ausgesehen haben.
d: 18t früh gearbeitet. um 10 Uhr die Gemälde Schinkels besehen, um 12 Uhr nach Pankow gefahren zu Jordans*. um 6 Uhr zurük. Großer Circel bey Fürst Radzivil. Da waren die Prinzen Schaarenweise vorhanden, der Herzog von Cumberland. Prinz Biron, von Streliz, Miloradowitsch, Gallizin. Prinzeßin Solms p p p von Künstlern die beyden Rombergs, Möser und ich. Wurde rasend viel Musik gemacht, und ich Phantasirte über 3 Töne die ich mir von der Fürstin geben ließ. Uebrigens kann einen so eine HofGesellschaft von 7 – 1 Uhr schön marode machen, und wie eine Erquikkung des Himmels war es mir als ich beym Nachhausekommen, deinen lieben Brief fand den ich innigst an meine Lippen drükte, und so froh und glüklich einschlief, daß ich selbst meinem Mukkerl nie einen beßern Schlaf | wünschen kann. Gestern früh d: 19t hatte ich keinen Augenblik Ruhe vor Besuchenden. Mittag war ich mit Rombergs bey Lauska. und Abends wurde bey Lichtenstein der Jahrestag meines Abschiedsfestes gefeyert von dem ich dir oft gesprochen habe, wozu Lichtenstein die Rede schrieb*. Aber alle waren wir schon nicht mehr so beysamen. Mein Flemming fehlte, und diese Errinnerung brachte manche ernste Minute, in den übrigens herrlich frohen Abend. auch Wollank war verreißt. Wir machten viel Musik. und bey Tische wurde alles das wieder gesungen wie vor 2 Jahren, und diese herzliche Achtung und Verehrung rührte mich recht innig. Es fehlte nichts zur Vollkommenheit als du. ich trank deine Gesundheit mit Lichtenst: und wurde oft genekt wenn ich so in Gedanken an dich verlohren, unverwandt auf meinen Teller nieder sah.
Nun zur Beantwortung deines Briefes. Es thut mir leid daß die Bach Ihre Schwäche auch hier nicht verläugnen kann, und ich werde Sie nicht wieder in diesen Fall bringen. ich sah aus Ihren Äusserungen die wärmste innigste Freundschaft und Liebe zu dir, und fühlte mich dadurch genug angezogen ihr eben so offen zu schreiben. Recht wehe thut es mir, daß dir dieß nur einen unangenehmen Augenblik machen konnte. ich habe nicht nöthig das was ich für dich fühle, und wie ich es fühle zu verbergen, aber es ist doch sehr Unrecht von ihr daß Sie dir den Brief gab. item, es hielft. Einmal, und nicht wieder. Du fragst ob uns nichts den seeligen Augenblik des Wiedersehens verbittern wird? was könnte dieß sein? Hast du irgend eine Idee, oder ist das nur so aufs gerathewohl hingesagt? Nein, mein Mukkerl, ich wüßte nichts, und es würde ein unglükliches Geschik über uns walten, wenn bis dahin noch irgend eine Bitterkeit sich zwischen uns einschleichen sollte, was ich aber für ganz unmöglich halte. Ja, Mukkerl wenn mein Bild reden könnte, ich würde es schön examiniren, aber aus dem kleinen Carl* ist noch weniger herauszukriegen als aus dem Größern; der doch nur für Fremde so stumm und verschloßen ist.
Du erwähnst gar nichts von den deinigen. Sind sie noch da oder nicht?
Iffland war todt gesagt, es ist aber nicht wahr. Er wird sogar die ersten Tage der künftigen Woche erwartet. Auf jeden Fall gehen hier große Veränderungen vor, und die Leute stekken gewaltig die Köpfe zusammen. vielleicht entwikkelt sich auch noch manches während meinem Hiersein. Der gute Allram macht‡ mag recht verwirrt seyn, über die vielen Geschäfte und das Außenbleiben Liebichs, besonders da es mit der Caße nicht so gut geht. Es freut mich daß du dir bey Grünbaums so wohl gefällst, und doch einen häußlichen Kreiß hast in dem dir wohl ist. vergiß nur dabey nie daß man eigentlich seine Freunde so behandeln muß als könnten sie einmal Feinde werden. Eine besonders beym Theater wo sich so viele | Persönliche Intereßen durchkreuzen, traurig nothwendige LebensRegel. Glaube übrigens ja nicht darin irgend ein Mißtrauen von meiner Seite gegen Grünb: zu sehen. ich achte sie beyde recht sehr, und der alte Herr ist recht unterhaltend, und hat sich besonders gegen mich sehr anständig benommen. Grüße ihn und alle bestens von mir. Nein, Mukkerl, kannst ganz ruhig sein, ich komme ganz und gar ohne ein 1000 Theilchen eingebüßt zu haben wieder nach Hause. Die Verehrung der Damen geht nur so weit, als man sie amüsiert, und sie allenfalls damit prunken können, aber mit der Liebe ist’s nichts. Es haben nicht alle, ja keine, so einen verdorbenen Geschmak wie du. Da Mad: Beer, die Mutter des Componisten Meyer Beer ist, so wirst du auch nichts gegen ihre Embraßade einzuwenden haben, und meine Lippen und Augen, Ohren pp könnten‡ können das strengste Examen aushalten. Um die Verderbtheit einer Stadt anzuerkennen und zu benuzzen muß man selbst Verdorben sein, und das Verdorbene aufsuchen, aber wer dazu keinen Beruf fühlt, den ficht es eben so wenig an als die Kazze den Mond.
Wahrscheinlich erhältst du diesen Brief gerade am Tage meines ConcertsT. d: 26‡ halte mir dann den Daumen, und schikke ein andächtiges Gebetlein zum Himmel daß alles gut abläuft. Schreibe mir nicht mehr hieher, sondern nach Leipzig, abzugeben bey dem Banquier Schulz-Küstner. Denn ich gehe unabänderlich die ersten Tage des Sept: dahin ab. Jezt heißt es schließen. und einen bösen Gang thun, eine Sängerin einladen in meinem Concert zu singen, das ist mir eine fatale Comißion, und will ich lieber 10 Concerte spielen. Aber es hilft nichts es muß sein, und darum frisch ans Werk.
ich küße Dich Millionenmal in Gedanken, denk hübsch fleißig an mich, sey brav, und glaube an die unveränderliche thr‡reue innige Liebe Deines Carls. addio, senza addio
Grüße an alle Bekannte.
Apparat
Zusammenfassung
ausführlicher Bericht über Berliner Aktivitäten, insbes. Circel bei Radziwill u. Jahresfeier bei Lichtenstein; privates; Prager Theater betr.; Berliner Verpflichtungen
Incipit
„Ich kann dir nicht genug sagen und beschreiben“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Mus. ep. C. M. v. Weber 46Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
- Siegelrest u. -ausriss
- Rötelmarkierungen von Max Maria von Weber
Provenienz
- Weber-Familiennachlass
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Muks, S. 89–94 (Nr. 11)
Themenkommentare
Textkonstitution
-
„macht“durchgestrichen
-
„könnten“durchgestrichen
-
„d: 26“über der Zeile hinzugefügt
-
„thr“gelöschter Text nicht lesbar
Einzelstellenerläuterung
-
„… nach Pankow gefahren zu Jordans“Vermutlich Pierre Antoine und Pauline Jordan, infrage kommen aber auch Pierre Jean und Wilhelmine [Friedel]-Jordan oder Johann Ludwig und Henriette Jordan.
-
„… wozu Lichtenstein die Rede schrieb“Zur Verabschiedung Webers am 19. August 1812 vgl. die Tagebuchnotizen.
-
„… aber aus dem kleinen Carl“Vermutlich das Miniatur-Porträt Webers von F. von Lütgendorff; vgl. den Kommentar zum Brief vom 20. August 1814.