Korrespondenzbericht aus Prag, Februar 1813

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Correspondenz-Nachrichten.

Wir sind hier mitten im Carneval und zwar in einem gänzenden Carneval. Die hiesige Redoute ist kurz vor dem Carneval von einer Gesellschaft des hiesigen Adels erkauft und um einen äußerst billigen Pachtschilling an den Direktor des ständischen Theaters überlassen worden. Dadurch ist also nun die Redoute wie in der Hauptstadt Wien und mehrern Provinzialstädten bloß durch Opfer von Privaten auf immer mit dem Theater verbunden. Der Direktor, Herr Liebich wandte Anfangs alles an, um ihr durch Ballete und förmliche Aufzüge einen vermehrten Glanz zu geben; aber es dauerte nicht lange, so ward der Drang der Besucher so stark, daß er Aufzüge und Tänze einstellen mußte, um Gefahren zu vermeiden. Außerdem gibt Herr Liebich alle Donnerstage in den Redoutensälen eine Art von Gesellschaftsball wo sich der Adel und die höhern bürgerlichen Stände in geselligem Verein versammeln und welche an Glanz der Erscheinung ¦ an die ehemaligen Bälle des Hrn. Baron von Bretfeld erinnern. In denselben Sälen werden auch die adelichen Gesellschaftsbälle und jene der Hörer des Rechts gegeben, die ebenfalls gute Gesellschaft enthalten, wenn sie gleich vom Adel nur wenig besucht werden.

So geht es hier zu, man tanzt, man springt, und um Terpsichorens willen, werden ihre übrigen Schwestern wohl mitunter ein wenig vernachläßigt, und ich muß in das verflossene Jahr den Blick zurück werfen um ihnen etwas über die Kunst in unserm Weichbild zu schreiben.

Von unsrer Oper kann ich ihnen im Allgemeinen für den gegenwärtigen Augenblick wenig erfreuliches sagen, doch sehen wir gerade darin einer schönen Aurora entgegen. Die Oper wird für den nächsten Sommer suspendirt, um Zeit zu gewinnen, Mitglieder zu engagiren und mit dem Herbst eine ganz neue Gesellschaft herzustellenT. An die Spitze des Orchesters ist Herr Karl Maria von Weber als Kapellmeister und Herr Clement als Violindirector engagirt, und wenn wir dem Gerüchte trauen dürfen, so behalten wir auch Dlle. Müller und Hrn. Grünbaum. Von Concerten bot uns der Anfang dieses Winters zwey sehr vorzügliche dar, nähmlich jene der Hrn. Spohr* und Westenholz, welche beyde längst zu bekannt sind, als daß wir hoffen dürften, dem Publikum etwas Neues über ihre Kunst zu sagen; auch das Prager kunstliebende Publikum ist schon bekannt mit Spohrs herrlichem und tiefem Spiel*, daß seine Erscheinung gleichsam nur als die frohe Feier der Rückkehr einer interessanten alten Bekanntschaft anzusehen war. Mad. Spohr hat in ihrem Harfenspiel viel Geläufigkeit und Delikatesse, war aber zum Unglück am Abend ihres Concerts unpäßlich und daher übel disponirt. Herr Westenholz gefiel durch die große Kraft und die Modulation der Töne und sein Concert wurde um so glänzender, da auch Hr. Spohr und Mad. Schönberger, (die schon vorher in drey Gastrollen die Gunst des Publikums in hohem Grade gewonnen hatte, ihn unterstützten. |

Mad. Schönberger betrat unsre Bühne* zum ersten Mahle als Sargines und genoß darin eines fast abgöttischen Beyfalls. Mag es der Reitz der Seltenheit seyn, der ihr diesen verschaffte oder ihr lebensvolles Spiel, das wir seit Siboni bey allen Sargines die wir sahen und hörten, umsonst suchten, genug die Beyfallsbewegungen waren ohne Maaß und wenn gleich der unpartheyische Kunstrichter nicht so unbedingt in dieselben einstimmen kann, so ist doch gewiß, daß Mad. Schönberger eine sehr ausgezeichnete Künstlerin, ihre Altsimme eine der reichsten und wohlklingendsten die man hören kann und ihre Darstellung so richtig als glänzend [ist]; nur däucht es uns, daß sie manchmahl etwas haushälterischer mit ihren Gesten seyn dürfte, ohne daß man darum Lücken bemerken würde. Sargines war bei weitem die gelungenste ihrer Rollen, im Titus zeigte sie sich zwar ebenfalls als denkende Künstlerinn die sich alles unnützen Ausschmückens enthielt – was wir herzlich wünschten auch von unsrer braven Dlle. Müller sagen zu können, die ihre Vitellia aufs grausamste verschnörckelte – gleichwohl fehlte ihr die antike Ruhe zu sehr, die den römischen Cäsar charakterisirt. Den Murney im unterbrochenen Opferfest gab sie wieder sehr brav und machte alles daraus was sich aus dieser ganz unbedeutenden Rolle machen läßt, die Gott weiß wodurch zu der Ehre gelangt ist, seit langen Jahren der Paradeur aller debutirenden Tenoristen zu seyn. So männlich edel aber auch der Anstand der Mad. Schönberger ist, so konnten wir uns gleichwohl des Wunsches nicht enthalten, sie einmahl in einer weiblichen Altrolle, z. B. als Enrichetta in Cimarosas Matrimonio segreto, zu sehen. Leider aber sind alle Opern worin Altrollen sind, zu Grabe getragen seit wir keine Altsängerin mehr haben. Tenorrollen vollkommen zu geben, ist dem Contrealt schon deßhalb unmöglich, weil grade die hohen Töne des Tenor, die durch die Anstrengung um desto mehr Leben erhalten, vom Alt mit der größten Leichtigkeit gesungen wären, indem sie unter seine Mitteltöne gehören.

Von neuen Opern sahen wir Johann von Paris*, der auch hier wie überall mit dem lebhaftesten Bey¦fall aufgenommen wurde und mit jeder Aufführung an Interesse gewinnt. Es ist zu viel über diese Oper gesprochen worden, und die Urtheile sind im Ganzen zu wenig verschieden als das wir wagen sollten noch etwas darüber zu sagen. Auch Salieri’s Axur ist hier wieder gegeben worden*, leider aber ist das Personale einer großen Oper nicht gewachsen, daher man nicht mehr fordern kann, als etwa die vorzüglichsten Rollen gut besetzt zu sehen.

In Kotzebues Johann von Montfaucon debutirte Hr. Passy aus Wien als Philipp. Trotz der natürlichen Schüchternheit eines jungen Mannes, der zum ersten Mahle die Bühne betritt, erkannte man leicht, daß hier ein lebendiger Geist den Sinn der Rolle gefaßt habe, und wo er ihn nicht ganz wieder gab nur den Zwang des Aeussern mit jenem noch im Streite lag. Es gereicht dem Prager Publikum zur Ehre, daß es den ersten Versuch mit Beyfall belohnte, und Hrn. Passy einstimmig hervorrief, welches er bloß als Aufmunterung für sein Talent annahm, und dafür in den bescheidensten Ausdrücken dankte.

Die Stücke des dießjährigen Kotzebueschen Almanachs, die wir schon hier sahen – Malesherbes Rosen, das getheilte Herz, die Masken und die respektlose Gesellschaft – machten weniger Glück als es diese Neujahrskinder seiner fruchtbaren Muse gewöhnlich machen. Der Sturm von Magdeburg nach Schmidt, welchen Hr. Bayer zu seiner Einnahme wählte, ist eine bloße Aneinanderreihung von gewöhnlichen Belagerungsscenen und Unglücksfällen ohne eigentliche dramatische Tendenz und wir müssen gestehen, daß wir diese Wahl nicht mit dem Geschmack und Kunstsinn vereinen können, die Hr. Bayer schon oft an den Tag gelegt hat. Daß das Stück gleichwohl gefiel ist manchen pikanten Situationen und dem vortrefflichen Spiel der Mad. Löwe als Margarethe und der Hrn. Bayer und Wilhelmi als Victor und Tilly zuzurechnen, doch wird es sich schwerlich lange in der Gunst des Publikums erhalten. |

Tony von Körner hat Beyfall erhalten; nur wünschte man allgemein etwas mehr Handlung in das Stück, das eine so schöne und lebendige Sprache hat.

Hr. Klingemann hat noch eine Fortsetzung der Kotzebueschen Kleinstädter geschrieben: Schill, oder das Declamatorium in Krähwinkel; aber so genau er auch mit der Theorie des Lustspiels bekannt zu seyn scheint, so hat er gleichwohl vergessen, daß die erste erforderliche Gabe um eine Fortsetzung zu Kotzebues Stücken zu schreiben, eben die ungeheure Gewandheit in der dramatischen Form sey, welche diesen Schriftsteller auszeichnet; diese fehlt ihm ganz und das Stück hat drey Hauptfehler: es ist zu lang, hat zu lange Discursen, es strotzt von Reminiscenzen an die beyden ersten Theile und Herodes vor Betlehem, und endlich ist der Eindruck nicht rein lachenerregend, sondern die komischen Scenen haben eine Beymischung peinlichen Gefühls, da er das Ungemach der Kleinstädter zu ernst und kläglich vorträgt. Der Bürgermeister ist auch so himmelweit von dem Kotzebueschen unterschieden daß in der That nur das Meisterspiel Hrn. Liebichs ihm den Beyfall erwerben konnte, den er erhielt.

Apparat

Zusammenfassung

Hinweise auf die Verpachtung der Prager Redoute an J. C. Liebich, den Neuaufbau der Prager Opernsparte bis zum Herbst 1813 sowie Konzerte und Aufführungen am Ständetheater

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Ziegler, Frank

Überlieferung

  • Textzeuge: Thalia, Jg. 1813, Nr. 27 (4. März 1813), S. 102–104

    Einzelstellenerläuterung

    • „… nähmlich jene der Hrn. Spohr“Zu Spohrs Prager Konzert am 12. November 1812 vgl. auch AmZ, Jg. 14, Nr. 50 (9. Dezember 1812), Sp. 818–820.
    • „… Spohrs herrlichem und tiefem Spiel“Zu Spohrs vorhergehendem Konzertauftritt in Prag vgl. AmZ, Jg. 10, Nr. 20 (10. Februar 1808), Sp. 312–316.
    • „… Mad. Schönberger betrat unsre Bühne“Gastspielauftritte im November 1812 auf der Reise nach Wien.
    • „… sahen wir Johann von Paris“Premiere spätestens am 14. Januar 1813T.
    • „… ist hier wieder gegeben worden“Neueinstudierungspremiere am 23. Januar 1813T.
    • denrecte „der“.

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