Bericht über Webers Tod in London (Teil 1/2)

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Maria von Webers Tod.

Dresden, 16 Jun. Briefe vom 8 d. M. brachten vorgestern die niederschlagende Kunde von Maria v. Webers, in der Nacht zwischen dem 5 und 6 Jun. erfolgten Tode. Fürs Erste noch einige Nachrichten über die lezten Tage seines Aufenthalts in London. Den 3 Mai war er, der unaufhörlich umlagerte und beschäftigte Mann, zum erstenmal in dem seit vorigem Sommer in London bestehenden deutschen Verein durch ein Mitglied desselben, den königlich preußischen Legationsrath Grafen v. Lottum, eingeführt worden, wo auch Weber’s treuer Reisegefährte und Freund, der berühmte Flötist bei der königlichen Kapelle in Dresden, Fürstenau, seinen Landsleuten etwas auf der Flöte vorspielte. Weber selbst ließ sich willig finden, auf dem Flügel eine Fantasie auszuführen, welche alle Anwesenden begeisterte und zum lautesten Beifall aufregte. Als man seine Gesundheit feierlich trank, dankte er anspruchlos für diesen herzlichen Empfang und versicherte, daß ob ihn gleich die wakern Britten gütig aufgenommen hätten, er sich doch durch das Lob seiner hier versammelten Landsleute sehr geschmeichelt fühle, weil er auf den Namen eines Deutschen stolz sey. Ein Mitglied, der Arzt Dr. Jencker, las ein gemüthvolles Gedicht vor, worin auch über das Vergnügen, den allverehrten Weber im deutschen Verein zu sehen, eine kräftige Stelle vorkam. Doch nicht blos von seinen Landsleuten, die auf ihn stolz waren, auch von den Britten kam ihm täglich und stündlich die ehrenvollste Auszeichnung. Nur war dis oft mit Einladungen und Umständen verbunden, die seiner einfachen Lebensweise ganz entgegen, und seiner vielfach angegriffenen Gesundheit verderblich waren. Es war ihm ein Ehrenpunkt, die ersten achtzehn Vorstellungen des in Coventgarden täglich vor einem überfließenden Hause fortgespielten Oberon selbst zu dirigiren – denn die 20 Pf., die er jedesmal dafür erhielt, zählen doch in England wahrlich nicht; – aber die damit nothwendig verbundene Anstrengung in einer späten Abendstunde war sehr erschöpfend für ihn. Er hatte auf den 26 Mai ein großes Konzert in den Royal Argyle Rooms angesezt, da früher eine Nacht zu erhalten unmöglich war, weil auf einen ganzen Monat hin jeder Abend für irgend ein großes musikalisches Talent schon genommen war. Die Vornehmsten und Mächtigsten, die wegen der noch nicht geschlossenen Sizung des Parlaments noch alle in London gegenwärtig waren, hatten laut und oft ihre Unterstützung zugesagt, da manche davon seine Gutmüthigkeit für ihre Feste sehr gemißbraucht hatten. Es war darin für die Genießer, die sich nicht blos philharmonisch nennen, ein stattliches Gastmal durch den Verein der ersten Sänger und Virtuosen London’s, welchen er zum Theil selbst Beistand geleistet hatte*, und durch die Wahl der darin aufzuführenden Tonstüke, zubereitet. Der erste Theil war einer nur im Manuscript vorhandenen, auch in Deutschland kaum gekannten Cantate, Kampf und Sieg, gewidmet, welche er 1815 mit großer Begeisterung für den Kampf der Völker gegen den Usurpator, und die entscheidende Schlacht bei Waterloo, noch in Berlin komponirt, auch damals sogleich in einer vollständigen Partitur an den König von England geschikt hatte*. In der Metropole, wo die Waterloo-Brüke das herrlichste und dauerhafteste Siegesdenkmal darbietet, mußte ein solcher Gegenstand, von dem Schöpfer ¦ des Freischütz und Oberon, mit der ihm eigenthümlichen Genialität, in jener der Begeisterung weit empfänglicheren Zeit bearbeitet, ein sehr einladender Gegenstand seyn*. Ein geachteter Dichter, Hampden Napier, hatte den deutschen, in Berlin gedichteten Text sehr geschikt fürs englische Ohr angepaßt, und das Stük hieß hier the Festival of peace. Madam Caradori Allan, Miß Cawse, die HH. Braham und Philips hatten die Hauptpartien. Vorspieler war Friedrich Cramer. Der zweite Theil war aus mehrern Ton- und Singstüken so zusammengesezt, daß sich wieder die ersten Talente darin singend und spielend hören ließen, Miß Stephens, Miß Palin (Rezia im Oberon), Signor Sapio sangen, der größte Pianospieler, Moscheles, fantasirte darin, Fürstenau, Weber’s treuer Reisegefährte, trug Variationen nach einer Arie im Oberon auf der Flöte vor, Kiesewetter eine Fantasie auf der Violine. Vorspieler war hier der berühmte Mori. Weber aber dirigirte das Ganze. Er hatte keinen Aufwand gespart, und selbst die Chöre waren mit den ersten Chorsängern London’s, den Gentlemen von der königlichen Kapelle und St. Paul’s Kathedrale besezt, die nur mit schwerem Gelde zu erlangen sind. Das täglich zunehmende Uebelbefinden Weber’s, und die sichtbar durchs Sprechen leider wachsende Heiserkeit, das alle seine Freunde beunruhigende Hinsinken seiner lezten Kraft, würde dem sich über seine Lage keineswegs täuschenden Mann Aufschub oder völliges Aufgeben des Konzerts zur Pflicht gemacht haben, wenn nicht seit Wochen schon Alles angekündigt, alle Verabredungen und Kontrakte mit den untergeordneten Gliedern des Orchesters berichtigt, so viele Zusagen, daß man blos deswegen noch in der Stadt bleibe, zu berüksichtigen gewesen wären. Auch war auf den 5 Jun. seine Benefiz-Vorstellung im Coventgarden Theater festgesezt, welche nun gleichfalls hätte aufgeschoben werden müssen. Allein mit jedem Tag wuchs Weber’s Sehnsucht, auf dem kürzesten Wege, ohne seiner frühern Verabredung gemäß über Paris zu gehen, in den Schooß der Seinen, in seine stille, friedliche Hütte in Hosterwitz, im lachenden Elbthal nahe bei Pillnitz, der Sommerresidenz des Königs zurükzukehren. Diese Abreise war unaufschiebbar auf den 7 Jun. festgesezt. In diesem unseligen Andrang gebieterischer Umstände bot Weber das Aeußerste auf, um das Abends um halb neun Uhr beginnende große Konzert selbst zu dirigiren. Der Eintrittspreis war, wie in diesem Lokal bei einem Aufwand von mehrern hundert Pfund nothwendig ist, eine halbe Guinee, ganze Logen besonders zu haben. Man denke sich nun den unangenehmen Eindruk, den der Anblik eines kaum zur Hälfte gefüllten Saales auf den Eintretenden machen mußte! Nicht der Verlust der mit Recht erwarteten, ja gleichsam zugesagten Einnahme, nein, die Kränkung, daß sich alle Versprechungen in leere Worte auflöseten, daß ihm gerade am Schlusse seines Künstlerwirkens in der unermeßlichen Weltstadt diese lezte Anerkennung fehl schlug, der Undank einer, einst so sehr wegen Großmuth gepriesenen, jezt in der Hauptstadt zu dem ängstlichsten Calcul herabgesunkenen Nobility and Gentry, mußte seine schon durch Krankheit und andere traurige Erfahrungen gereizte Empfindlichkeit aufs Höchste steigern. Auch unterlag, wie schon aus öffentlichen Blättern bekannt ist*, gegen das Ende des zweiten Theils Weber’s physisches Vermögen so | sehr, daß er sich halb ohnmächtig auf ein Sopha hinwerfen, und ausruhen mußte. Von diesem Abend an verschlimmerte sich sein Zustand täglich, und flößte seinem treuen Arzt, Dr. Kind, der sich seit einem Jahre von Leipzig nach London übersiedelt hat, die lebhaftesten Besorgnisse ein. Er allein hatte den festen Glauben, daß wenn er nur erst aus dem Geräusch und Rauch der gewaltigen Stadt fort, und auf der Reise, die auf den 8 Jun. festgesezt blieb, begriffen wäre, Alles gut gehen würde. Er hatte dis auch noch drei Tage vor seinem Tode an seine Gattin, der er wöchentlich zweimal schrieb, aber seinen eigentlichen Gesundheitszustand sorgfältig verbarg, obwol schon mit unsicherer Hand, tröstend und hoffend gemeldet*. Ich bin kränker, sagte er zu einem Freunde, als man glaubt, doch wird sich alles durch die Reise geben, und bin ich erst in meinem Hosterwitz, so soll mich so bald Niemand von dort wegbringen. Sein Arzt bestand indeß darauf, daß ein zweiter Arzt in der Person des Eingangs erwähnten Dr. Jänken dazu gerufen würde, welches der Kranke endlich nach langem Weigern zugab, und so ward noch am Tage vor seinem Hinscheiden eine Consultation gehalten. Die geringste körperliche Anstrengung hatte ihm schon in den lezten vierzehn Tagen die Luft benommen. Am 4 Abends fühlte er sich wohler als vorher, und nachdem ihn sein, ihn stets umgebender, pflegender Reisegefährte, Fürstenau, gegen halb zwölf Uhr in der Nacht zu Bette gebracht hatte, mußte er ihn verlassen. Denn nie hatte er es erlauben wollen, daß weder F. noch ein Bedienter in oder neben seinem Zimmer schliefen. Am Morgen fand man ihn in seinem Zimmer sanft entschlafen. Die Sektion hat einen Ansaz zur Luftröhrenschwindsucht am Kehlkopf und eine bedeutende Vereiterung in der Lunge gezeigt. Folgendes ist die Aussage des Dr. Kind, die er den Tag darauf nach Dresden schrieb*: „Mehrere Wochen nach seiner Ankunft in England ward er von seiner Krankheit an Luftröhre und Lunge ergriffen, der er schon früher unterworfen gewesen. Sie nahm gleich beim Beginnen einen bedenklichen Charakter an, der bald alle Hoffnung zerstörte, daß der Kranke genesen könne. Das einstimmige Urtheil der bei seiner Leichenöfnung gegenwärtigen Aerzte fiel dahin aus, daß seine Krankheit unheilbar, und sein Tod unter allen Umständen unvermeidlich gewesen sey. Seine Freunde, zu denen ich Fürstenau, Göschen (einen in London etablirten Sohn des berühmten Buchhändlers in Leipzig), seinen (ihm die zärtlichste Aufnahme und Pflege in seinem Hause gewährenden) Wirth, Sir Georg Smart, Organisten des Königs und mich selbst rechnen darf, waren in den lezten Tagen stets um ihn, und das herzliche Dankgefühl, welches uns der Kranke so oft und so lebhaft bezeigte, ist jezt unser einziger Trost. Sein Geist war selbst in den lezten Tagen hell, und sein Gemüth frei von aller Ahndung des Todes. Noch den Abend vor seinem Entschlummern war sein Gedanke mit der Rükkehr zu seiner Gattin und seinen Kindern beschäftigt. Die Ruhe und Milde auf dem Gesicht des Todten zeigten, daß er ganz ohne Kampf hinüber schlummerte.“

(Beschluß folgt.)

Editorial

General Remark

Autorenzuweisung nach dem Beiträger-Register der Allgemeinen Zeitung, hg. von Bernhard Fischer, München 2003 (lt. hs. Randnotiz im Cottaschen Redaktionsexemplar)

Creation

Responsibilities

Übertragung
Ziegler, Frank

Tradition

  • Text Source: Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Jg. 29, Nr. 173 (22. Juni 1826), pp. 689f.

    Corresponding sources

    • wiederabgedruckt in: Pernausches Wochen-Blatt, 1826, Nr. 28 (10. Juli), S. 223, Nr. 29 (17. Juli), S. 231f. und Nr. 30 (24. Juli), S. 238f.

Text Constitution

Commentary

  • “… Theil selbst Beistand geleistet hatte”Weber wirkte während seines Londonaufenthalts in den Benefizkonzerten von John Fawcett (18. März), Ignaz Moscheles (7. April), William Hawes (27. April), Charles Kemble (10. Mai), John Braham (18. Mai) sowie (nach seinem eigenen Konzert) von Mary Ann Paton (30. Mai) mit.
  • “… König von England geschikt hatte”Die Übersendung erfolgte nicht an den damaligen König, sondern an den Prinzregenten.
  • “… ein sehr einladender Gegenstand seyn”Im genannten Konzert wurde nicht die Kantate Kampf und Sieg, sondern die Jubel-Kantate (in der englischen Adaption als The Festival of Peace) gegeben.
  • “… aus öffentlichen Blättern bekannt ist”Vgl. die Berichte in der Abend-Zeitung vom 15. Juni sowie in der Zeitung für die elegante Welt vom 19. Juni 1826.
  • “… Hand, tröstend und hoffend gemeldet”Im genannten letzten Brief Webers an seine Frau ist kein genauer Reisetermin genannt (lediglich eine frühere Abreise), im Brief vom 29./30. Mai ist die Abfahrt noch mit dem 12. Juni 1826 terminiert.
  • “… Tag darauf nach Dresden schrieb”Ein textlich abweichender, längerer Brief von C. M. Kind vom 6. Juni 1826 zum selben Thema an einen Leipziger Adressaten war bereits am 17. Juni 1826 in der Zeitung für die elegante Welt veröffentlicht worden.

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