Bericht über Webers Tod in London (Teil 2/2)

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Maria von Webers Tod.

(Beschluß.)

So endete einer der originellsten Tonsezer nicht blos dieser Zeit mitten auf dem Scheitelpunkte seines Ruhms, dessen er unter andern Umständen in England selbst, wenn the great distress nicht alles in Sorgen und ängstliche Berechnung versezt hätte, und bei fester Gesundheit und Empfänglichkeit für geräuschvollere Szenen, gewiß am Meisten sich zu erfreuen gehabt hätte. Der große, seltne Künstler war zugleich der beste, reinste Mensch, der zärtlichste Familienvater und Freund, freisinnig und wahr, allen kleinlichen Erwerbmitteln und Erschleichungen abhold, was ihm wohl auch bei seinem großen Konzert in London Schaden gethan hat, und der muthigste Bekämpfer der alles bethörenden Rossino- und Spontino-Manie, nicht ohne Aeußerung des feinen Humors, und der ihm, wie allen genialen Menschen, eigenen Ironie (wovon die nun wohl auch in’s Publikum zu bringenden Szenen, Künstlerleben betitelt, volles Zeugniß geben werden), aber darum der bereitwilligste in Anerkennung der wirklichen Verdienste selbst jener gefeierten Meister, und jedes aufkeimenden Talents, das aber darum auch bescheiden ist, neidlos, hingebend aus voller Seele, was er wußte und dachte, fern von jedem Dünkel, da er sich in seiner herrlichsten Leistung nie genügte, und nur so lange wahre Freude daran hatte, als ihm bei dem Hervorbringen selbst die begeisternde Muse erschien. Mit seinem ihm herzlich entgegenkommenden Kollegen, dem Kapellmeister Morlacchi, bei der italienischen Oper, lebte er in den lezten Jahren im angenehmsten Verhältniß. Er kam mit schönen Entwürfen zur Errichtung eines Conservatoriums für das ganze nördliche Deutschland nach Dresden, wo sich alle Mittel und Stoffe dazu finden, mußte sich aber mit der Begründung eines treflichen Sängerchors für’s Theater begnügen. Ueber seine frühere, streng den großen Meistern einer bessern Vorzeit unter Voglers Rath abgerungene Bildung hat er selbst für den ihn betreffenden Artikel einer der neuesten Ausgaben des Conversationslexikons die Materialien geliefert*. Hoffentlich wird ihm ein berufener Kenner in der Allgemeinen Zeitung den Nekrolog schreiben*. Hier nur in Beziehung auf die lezte Leistung seines dramatischen Trichords, den Oberon, folgende historische Notiz. Er hatte noch vor seiner Abreise alle Einrichtungen und Maaßregeln genommen, damit ihm bei allen deutschen Bühnen in und außer dem Bereich des deutschen Staatenbundes sein, beim Freischütz, so oft und widerrechtlich gekränktes Eigenthum bliebe*. Hofrath Winkler in Dresden, unter dem Namen Theodor Hell allen Theater- und Dichterfreunden Deutschlands werth, hatte noch während Webers Anwesenheit in Dresden, von dem ihm innig befreundeten Tonsezer den Auftrag erhalten, von dem in London von Planché gearbeiteten Originaltext eine alles treu wiedergebende, allen Sylbenmaaßen und Tongängen sich möglichst anschmiegende Uebersezung zu bearbeiten, und darauf, sobald ein oder das andere Musikstük vollendet war, die nach Mittheilung der Noten selbst versuchte Uebertragung mit dem Meister selbst durchgegangen. Denn es war hier nichts weniger als gleichgültig, welches Wort den Werth der längern oder starken Betonung erhielt, wo ein Abschnitt, ein Ruhepunkt eintrat, wo der musikalische Rhythmus sich hob oder ¦ senkte. Hier wurde so lange gefeilt und nachgeholfen, bis Weber selbst damit zufrieden war. Man kennt die von unserer Gesang-Metrik abweichende Metrik der Britten, wo alle Längen und Kürzen nur durch Sinn und Stellung bestimmt werden. Darauf mußte bei der Unterlage alle Rüksicht genommen werden, und käme nun dem deutschen Leser bei der Uebersezung hie und da ein befremdender Rhythmus zum Vorschein, so muß man bedenken, daß ohne diese Aneignung der Unterlage die Gesangstüke gar nicht singbar gewesen wären*. Diese Uebersezung liegt nun schon, bei Arnold in Dresden verlegt: Oberon, König der Elfen, romantische Feenoper in drei Aufzügen (108 S. in saubern Umschlag) gedrukt, vor Aller Augen, wobei auch die große Arie nicht fehlt, die Weber noch in London für Miß Paton sezen mußte. Das englische Original mit Webers ähnlichen, aber karikirten Zügen vor dem Titelblatt*, ist im Mai zu uns gekommen*, und nun kan jeder vergleichen. Nur durch den Verein des Tonsezers mit einem so vielgestaltenden, geistreichen Dichter und Freund konnte der Uebelstand ausgeglichen werden, der sonst bei einer blos gewöhnlichen Uebersezung für die Aufführung auf den deutschen Bühnen kaum zu vermeiden gewesen wäre. Uebrigens war Weber selbst mit dem Text des Engländers, den er in einzelnen Akten zugeschikt bekam, und dadurch in seiner das Ganze stets umfassenden Arbeit sehr verspätet wurde, sehr zufrieden. Der Stoff ist ja deutsch, und ganz aus Wielands unsterblichem Gedichte entlehnt. Es liegt in der Sache, daß die einzige Besizerin und Erbin des Nachlasses, Webers Gattin, den schon so vielfach mit diesem Werk betheiligten Hofrath Winkler in Dresden ersuchte, alle Unterhandlungen mit den deutschen Theaterdirektoren und Eigenthümern der kleinen wie der größern Bühnen, für die Aufführung in Deutschland, in ihrem Namen allein zu übernehmen, da er als beliebter dramatischer Dichter und Herausgeber des so nüzlichen, monatlich bei ihm erscheinenden Tagebuchs der deutschen Bühnen, mit allen deutschen Theatern bereits in genauer Verbindung steht, und sollte Jemand doch einen Schleichweg einschlagen wollen, überall treue Referenten findet. Er allein vertheilt und verkauft die Partituren. Nur den Klavierauszug hatte Weber, dringender Bitte nachgebend, der auch mit früherm Verlag beauftragten Schlesingerschen Musikhandlung in Berlin abgelassen, mißbilligte aber mit großem Unwillen eine in unziemenden Ausdrüken von dieser Handlung abgefaßte Ankündigung noch in einem der lezten Briefe aus London, und verordnete eine öffentliche Anzeige, daß dieser Ton ihm mißfalle. Es hatten sich bald nach Webers Ankunft in London unter uns mancherlei Gerüchte verbreitet, als habe Weber bei seiner arglosen Hingebung mit Kemble, der ihn im Sommer 1825 selbst in Ems besuchte, einen ihm sehr nachtheiligen, ihn mannigfach bevortheilenden Vergleich wegen des Eigenthumsrechts und der Aufführung der Oper in London selbst abgeschlossen. Er hat in seinen Briefen diesen zarten Punkt kaum leise berührt. Thatsache ist es, daß er für Komposition, Reisekosten, Proben und erste Aufführung, Eigenthumsrecht der Partitur und des Klavierauszuges in England, zusammen genommen von Kemble nur 500 Pfd. erhielt, und gesprochen wird, daß dieser den Klavierauszug allein für 1000 Pfd. verkauft haben soll. Dis alles wird bald klar werden. Der Meister hat es mit seinem Leben bezahlt. Schnöde Gewinnsucht trieb ihn | nicht zur Reise in jenes Land, wo die Nabobs wohnen sollen; innige Liebe und Fürsorge für die Seinen, denen er bei so großer Veranlassung Geld zu machen, nur einen sehr kleinen Erbtheil hinterläßt, waren die einzigen Triebfedern, da er es sich selbst verbarg, an welchen zarten Fäden sein Leben hange. Darum allein schon wird Deutschland das lezte, einzige, geistige Eigenthum, das er den Seinigen hinterlassen konnte, diesen mit aller Fülle seines Geistes dreifach ausgestatteten Oberon sichern; die Regierungen werden durch Privilegien dasselbe schüzen, wie es Bayern und Darmstadt bereits gethan haben; die größern und vermögenden Theaterdirektoren werden nicht nur, selbst wenn sie dis manche Schwierigkeit in der szenischen Aufführung bietende Werk nicht gleich zur Aufführung bringen könnten, doch ohne Engherzigkeit subscribiren; Theater- und Musikkenner werden zum Besten der noch ganz unerzogenen Söhne, Max und Alexander, dem einzigen Tonkünstler eine Todtenfeier begehen, und Matthäis in Dresden höchstähnlicher Büste einen Cypressenkranz über den Lorbeerkranz aufsezen; die Musikhandlungen im südlichen und nördlichen Deutschland sich dismal über dem Aschenkrug des überall Beweinten die Hand reichen, um gemeinschaftlich eine Ausgabe aller seiner von ihm selbst schon anerkannten großen und kleinen Kompositionen, worunter noch trefliche ungedrukte Stüke, selbst eine große Messe mit Offertorium*, und eine auch als Torso noch aufzubewahrende Komposition der ersten zwei Akte einer hochkomischen Oper sich befinden, würdig herauszugeben. Denn so, nicht blos mit Stein und Erz, ehret das Vaterland, das hier nicht auf Ein Land, Eine Residenz beschränkt ist, einen seiner erstgebornen, weder eines Ordens noch eines Marmors bedürftigen Sohne.

Apparat

Generalvermerk

Autorenzuweisung nach dem Beiträger-Register der Allgemeinen Zeitung, hg. von Bernhard Fischer, München 2003 (lt. hs. Randnotiz im Cottaschen Redaktionsexemplar)

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Ziegler, Frank

Überlieferung

  • Textzeuge: Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Jg. 29, Nr. 174 (23. Juni 1826), S. 693f.

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • wiederabgedruckt in: Pernausches Wochen-Blatt, 1826, Nr. 32 (7. August), S. 254 und Nr. 33 (14. August), S. 261f.

Textkonstitution

  • „Dis“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • „… des Conversationslexikons die Materialien geliefert“Weber hatte seine autobiographische Skizze für Amadeus Wendt geschrieben, der sie zunächst der Weber-Biographie in den Zeitgenossen. Biographien und Charakteristiken (Bd. 3, 3. Abt., Heft IX, 1818, S. 189–196) zugrunde legte, anschließend auch jener im Conversations-Lexicon von Brockhaus (Bd. 10 der 2.–4. Auflage, 1819, S. 495–499.
  • „… Allgemeinen Zeitung den Nekrolog schreiben“In der Allgemeinen Zeitung erschienen 1827 „Erinnerungen an Maria v. Weber.“ sowie der Beitrag „Für und gegen Maria v. Weber“, aber kein Nekrolog im engeren Sinne.
  • „… und widerrechtlich gekränktes Eigenthum bliebe“Vgl. Webers Rundschreiben an sämtliche Bühnen betreffs Oberon.
  • „… gar nicht singbar gewesen wären“Diese Überlegungen zur Übersetzung wurden von Böttiger in der Abend-Zeitungs-Beilage Wegweiser im Gebiete der Künste und Wissenschaften vom 5. Juli 1826 nochmals ausführlicher ausgearbeitet.
  • „… karikirten Zügen vor dem Titelblatt“Dem englischen Libretto-Erstdruck (London: Hunt and Clarke) ist als Frontispiz ein Porträt Webers von Thomas Landseer von eher minderer Qualität beigegeben; Vorlage dafür war Ferdinand Pilotys bereits Mitte 1825 vertriebene Lithographie nach dem Gemälde von Ferdinand Schimon, für das Weber im April 1825 Modell gesessen hatte.
  • „… im Mai zu uns gekommen“Im Brief vom 28. April 1826 an seine Frau erwähnt Weber, dass er einem Dresdner Kaufmann, der gerade die Rückreise antreten wollte, einen Libretto-Druck mitgäbe und auch Böttiger einen bekäme.
  • mitrecte „an“.
  • „… eine große Messe mit Offertorium“Beide Dresdner Messen samt Offertorien waren zu diesem Zeitpunkt noch ungedruckt.

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