Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Berlin, Mittwoch, 19. Juni bis Samstag, 22. Juni 1816 (Folge 1, Nr. 5)
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An
Mademoiselle
Mitglied des Ständischen Theaters
zu
Wohnhaft bey dem H: PostOffizianten
Vor allem andern muß ich dir mein geliebtes Leben Nachricht von dem glänzenden Erfolg des gestrigen Abends gebenT. Der ganze Hof war in Galla zugegen, und das Haus ziemlich besezt. Die Overture* gieng stillschweigend vorüber, nun kamen aber die Lieder, die Spektakel erregten, und den im Opernhause unerhörten Fall, das Lüzows wilde Jagd, wiederhohlt werden muste. hierauf die Kantate, die von dem großen trefflichen Orchester und 80–90 Sängern herrlich ausgeführt wurde, und den grösten Enthusiasmus erregte, nach der Schlacht wo das God save the King eintritt, wollte der Jubel kein Ende nehmen. Der König und der ganze Hof schikten sogleich den Grafen Brühl zu mir, um mir zu sagen daß er außerordentlich ergriffen sey, und das Werk nochmals zu hören wünschte. ich muß also nolens volens noch einige Tage zugeben, und heute über 8 Tage das Werk wiederholen, welches mir hoffentlich was eintragen soll, denn der Enthusiasmus war allgemein, alles stürmte aufs Theater, und ich wurde beynahe erdrükt in dem Jubel und Dank von allen Seiten. Was hätte ich darum gegeben wenn mein geliebter Muks hätte‡ dabey sehen‡ sein, und den Triumph seines Carls hätte sehen können. Wie oft habe ich deiner gedacht dabey. Höchst unangenehm ist es mir nun bey meinem etwas verlängerten Aufenthalte hier, daß ich keine Briefe von dir erhalten werde, weil ich dir schon in No: 3 Anweisung nach Carlsbad gegeben habe; auf jeden Fall skisire ich mich gleich nach dem 2t Concert, also doch zu Ende dieses Monats. Wenn du diesen Brief so erhältest, daß du mir mit der Post vom 29t nach Leipzig schreiben kannst, abzugeben bey H: MusikDirektor C. Schulze, – so hätte ich die große Freude doch früher als in Karlsbad Nachricht von dir zu haben. Jezt muß ich für heute schließen, da es gar vielerley zu thun giebt. ich küße Dich Millionenmal in Gedanken. mein guter geliebter einziger Mukenliner. —
d: 21‡t Gestern früh fieng ich meine abermaligen neuen ConcertAnstalten an, als gegen Mittag die Nachricht kam, daß die Weltberühmte Sängerin, die Catalani ankome, dem Rathe meiner Freunde gemäß also änderte ich schnell meine Disposition, und mein Concert ist nun Sonntag d. 23t angeseztT. auf jeden Fall thut mir dieses großen Schaden, da jeder sein Geld sparen wird die Catalani zu hören, und wo das Billet gewiß 1 Louisdor kosten wird. Nun, wie Gott will. ich bin froh daß ich eher expedirt bin, und die übrigen paar Tage meines Aufenthaltes mehrere äußerst wichtige Arbeiten vollenden kann*, da ich mit meinem Verleger neue Verträge abgeschloßen habe. auch mit Freytags Vater, der seinen Sohn, noch ein Jahr mir übergiebtT und mit mir reisen läßt, was doch manches Gute für ihn und mich hat. Was dieses neue Arrangement für neue Laufereyen macht, da ich alles bestellte wieder ab und von vorn anfangen muß, kannst du denken. ich bin auch halbtodt, aber dabey | Gott sey Dank, recht gesund und wohl, troz des elenden Wetters, wo der Regen unaufhörlich gießt, und mich schon manchmal schön durchnäßte.
Gestern Abend erhielt ich Deinen lieben Brief No: 3 vom 11t bis 14t huj.
Liebe liebe theure Lina, halt Dich brav‡, falle ja nicht zurük in deine alte unglükselige Stimmung, von der manche Anklänge in diesem Briefe sind. ich bitte! bitte! nicht wahr mein Muks?
Es geht also entsezlich bey Euch in der Oper zu. H: Siebert ist doch ein rechter Schuft*, und Liebich dauert mich sehr, wenn ich es möglich machen kann so suche ich vor der Hand einen Basisten aufzutreiben und hinzuspedieren. ich werde wieder schön auszukehren haben, wenn ich komme.
Ach guter Mukken König, was habe ich doch herzlich gelacht über die vortreffliche Geschichte mit dem Rezipiße Brief. darüber konntest Du wohl ruhig sein, denn Du kennst ja Deinen Carl, aber ich bin nicht ruhig, denn es ist mir unbegreifflieh daß ich außer deinem Briefe, auch keinen einzigen sonst erhalten habe, außer von Wiebekings direkt von München aus. ich bitte dich doch Apitz anzuspornen daß er sich etwas darnach erkundigt ob keine für mich eingelaufen sind. Uebrigens bleibt es eine ausgemachte Sache daß ihr ewig stark seid in sonderbaren Geschichten machen, und ich könnte mich wohl ein bischen ärgern, zumal wenn ich denke daß es dir auch nur eine unangenehme Minute verursacht hat. Warst du aber wirklich brav, wie du sagst, so laß dich dafür 1000 fältig küßen, was ich indeßen an dem lieben Vergißmeinnichtgen thun will, das du gewiß auch gebußt hast.
Du! Du! der Wild, laß dir ihn nicht zu sehr gefallen*.
Meine geliebte Seele, das 3t Blatt hat mir sehr weh gethan, ganz der alte Ton, der alte Trübsinn, Spuren von Thränen überall, o meine geliebte Lina, was soll ich dazu und darüber noch sagen. – – –
Die Bekanntschaft mit Fr: v: Breitenbach ist mir recht angenehm, überhaupt wo dich Freund Apitz aufführt bin ich versichert, daß es brave tadellose Menschen sind. Sey gesellig, aber nicht vertraut, Sey heiter!
Nun muß ich in die Stadt, und also für heute schließen. Ich kann dir nicht genug sagen mit welcher Verehrung und Liebe man mir von allen Seiten entgegen komt, und wie alles fliegt um meine Wünsche zu erfüllen, und mir gefällig zu sein. Ach lieber Mukkel ich kann ein ängstliches Gefühl nicht überwinden seit deinem lezten Brief, und wahrscheinlich werde ich sobald darüber nicht beruhigt werden, da ich vielleicht hier keinen Brief mehr von dir bekomme. Wenn du nur einmal sehen und wißen könntest wie die Furcht, dich wieder so zu sehen, so trüb und dumpf, – auf mich wirkt, du würdest gewiß mit vereinter Kraft dich empor halten. ich verlange wohl viel, vielleicht zu viel, aber Mukkel hat auch wieder mit mir Nachsicht. lebe wohl und heiter und Gesund, der Mutter Beylage hat mich etwas beruhigt, danke ihr dafür, herzlichst. 1000000 Küße von Deinem ewig treuen Carl.
d: 22t Guten guten Morgen mein geliebtes Leben. wie geht es dir? wie hast du geschlafen? bist Du brav? so möchte ich fortfragen, und kann mir doch alles nur in Gedanken beantworten. Ich bin etwas verdrießlich, da wieder so mancherley unangenehmes zusammentrifft, wahrscheinlich mein Concert schlecht ausfallen zu machen. Die Catalani, auf die die ganze | Welt wie auf einen Gott wartet, hat ihr Concert auf Montag d: 24t schon in der heutigen Zeitung mit meinem zugleich angekündigt. dieß thut mir ungeheuren Schaden da jedermann sein Geld für sie sparet, und Sie das Billet zu einem Ducaten giebt. Zudem ist es heute auch das schönste Wetter geworden, und wenn das Morgen so anhält, so läuft natürlich alles Sonntags Publikum spazieren. Nun, meinetwegen werde es was es wolle, ich habe ja das nicht einmal geglaubt wie ich her reißte. Jezt fahre ich in die Stadt, und mache meine EinladungsVisiten bey S: Majestät dem Könige und den Prinzen vom Hause. dann Mittags bey Prof: Lichtenstein, und Abends bey Fürst Radzivil wo ich vielleicht die Catalani hören werde. sie kömt auch nach Prag. Kozebue wird heute erwartet. und la Motte Fouque ist hier.
Gestern hatte ich einen recht frohen Abend bey der Koch, in einem kleinen Kreise, wo viel gesungen und gespielt wurde. Koch und ich haben deine Gesundheit getrunken. haben dir nicht die Ohren geklungen? Ueber den Tag meiner Abreise kann ich noch nichts ganz bestimtes sagen, als ohnfehlbar Ende dieses Monats. ich habe noch mancherley hier in Ordnung zu bringen und abzumachen. Ich bin doch ein recht geplagtes Thier. hat das herumhezzen ein Ende, so bin ich wieder Tag und Nacht an den Schreibtisch gebannt. Nun mein lieber Mukkel, während ich Visiten mache gehe du hübsch in die Probe, sey heiter und froh, heute Mittag trinke ich wieder deine Gesundheit, also mut Du frisch und munter sein. jezt muß ich Füß anziehen! o Qual!!! ich küße Dich Millionenmal. Künftigen Posttag den Erfolg meines Concertes. Entschuldige, mich recht sehr bey dem guten Apitz daß ich ihm nicht schreibe, aber es ist mir unmöglich. ich schreibe Niemand als dir.
Gott erhalte dich froh sey brav, grüße die Mutter bestens, und behalte lieb deinen ewig Dich innigst liebenden Carl.
Apparat
Zusammenfassung
berichtet über die glänzende Aufnahme der Sieges-Kantate in Berlin, die ein zweites Mal gegeben werden solle; fürchtet um den Erfolg der Wiederholung wegen eines Konzertes der Catalani; will Ende Juni nach Karlsbad reisen
Incipit
„Vor allem anderen muß ich dir mein geliebtes Leben“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
Signatur: Mus. ep. C. M. v. Weber 65Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
- Rötelmarkierungen von Max Maria von Weber
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Muks, S. 233–238
Themenkommentare
Textkonstitution
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„hätte“durchgestrichen
-
„sehen“durchgestrichen
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„1“„0“ überschrieben mit „1“
-
„… theure Lina, halt Dich brav“brav dreifach unterstrichen
Einzelstellenerläuterung
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„… Overture“Ouvertüre zu Des Epimenides Erwachen.
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„… ist doch ein rechter Schuft“F. Siebert kehrte nach seiner am 31. März 1816 angetretenen Gastspielreise kontraktbrüchig nicht ans Prager Ständetheater zurück, sondern trat ein neues Engagement in Frankfurt am Main an.
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„… ihn nicht zu sehr gefallen“Franz Wild reiste offenbar nach dem Ende seiner Wiener Anstellung über Prag nach Karlsbad, wo er ab dem 17. Juni in den Kurlisten (S. 40, Nr. 473) bezeugt ist.