Carl Maria von Weber an Johann Gänsbacher
Dresden, Dienstag, 25. Dezember 1821
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Vielgeliebter Bruder!
Welche unendliche Freude hat mir dein Brief gemacht. Wenn ich gleich weiß was ich von deinem Lob* auf den Enthusiasmus des treuen Freundes abrechnen darf, so bleibt doch noch so überschwenglich viel übrig was der tiefe Kenner und die fühlende Brust ausgesprochen hat, daß ich dir nicht genug dafür danken kann. der Beyfall der braven, der erhebt und ermuthigt zu weiteren Arbeiten. dem‡n‡ Beyfall der Maße, so höchst ehrenwerth und zu wünschen er ist, kann man immer doch noch aus andern Zufälligkeiten entsprungen glauben, als aus dem eigentlich inneren Leben des Werkes. Gott segnet mich wirklich wunderbar, und somit vertraue ich denn auch auf seinen ferneren Beystand, daß die folgenden Werke das erste Versprechen nicht zu Schanden werden laßen.
Deine Anwesenheit in Wien erzeugte zuerst den Gedanken in mir, jezt bald nach Wien zu kommen*, das Personale für das ich schreiben soll‡*, genau kennen zu lernen, und dann von diesen Eindrükken bereichert, nach Hause zu eilen und zu componiren. aber – du gehst d: 8t Januar schon wieder fort*, und ich kann vor dem Februar hier nicht weg, da der Freyschütz auf allerhöchsten Befehl jezt hier einstudirt wird*.
Ich hatte mir es gar zu süß gedacht, einmal wieder in ein treues Freundes Herz mich anschmiegen zu können. Man wird immer einsamer in der Welt. unzählige Undankbare habe ich mir erzogen. Andern ist es unbequem daß man mehr auf mich als sie sieht. und so lebe ich denn in künstlerischer Hinsicht hier ganz verlaßen, und in anderer, nur meiner Frau gegenüber glüklich. von allem ziehe ich mich zurük, da schaale Gespräche und Thee Visiten mir keine Erholung von meinen vielen Arbeiten gewähren. Unsre Gesundheit hat auch sehr gelitten und so sorgt denn der Himmel dafür daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Ist es dann gar nicht möglich daß du länger bleiben kannst. Wenn ich nur das Glük haben könnte dir einmal ein ruhiges Pläzchen bei unserer Kapelle als KirchenCompositeur zu verschaffenT. aber da lauern so viele darauf, und die H: in ini und elli, wißen so alle Wege einzuschlagen und lange vorzubauen daß es wohl nur pia desideria sein werden. wie glüklich wollten wir vereint leben und arbeiten. deine Beschreibung des Cäcilien Festes* hat mich sehr unterhalten, und die Theilnahme der Künstler gefreut, denn gewöhnlich sind diese Herren die zähesten.
H: Oberstl: v. Call danke bestens in meinem Namen für seine warme Theilnahme ich freue mich sehr darauf ihn wieder zu sehn. Eben so alles Erdenkliche an das verehrte Firmiansche Haus. komme ich erst Ende Sommer nach Wien* würde ich sie abermals verfehlen, das wäre recht traurig. die Kantaten* und deine Honorar Exemplare* liegen noch bereit zum Abgange. Zürne nicht lieber Bruder daß es so lange dauert. aber meine Kopisten hatten gar zu viel mit der Versendung meiner Oper zu thun, die noch immer geschrieben werden muß, obwohl ich sie schon an 17 Theater* versendet habe.
Daß Lauskas dir gefallen* würden, wußte ich voraus. Es sind brave, biedere, herzliche Menschen, wie ich denn überhaupt in Berlin noch eine | Anzahl wahrhaft lieber und aufrichtiger Freunde habe. dieß war etwas was mich immer sehr hinzog, aber die hiesigen Verhältniße sagen mir übrigens mehr zu.
Für das übersandte Diplom werde ich mit der Part: Sendung danken*. die JubelKantate ist vor einigen Tagen hier wieder mit Enthusiasmus gegeben und aufgenommen worden*.
Das herrliche Vater Unser von Naumann, ist leider noch nicht erschienen, und es stellen sich der Herausgabe allerley Hinderniße in den Weg. ich werde aber selbst dafür sorgen, und habe schon mit der Wittwe Rüksprache genommen*.
Hoffentlich hat der Aufenthalt in Wien und die vielen neuen Eindrükke die du da erhalten, wieder günstig auf deinen Geist gewirkt und du wirst wieder neues schaffen und arbeiten. Wie ist es denn mit der Meße die du für meinen König schreiben wolltest?
Von Meyerbeer höre ich wenig. der ist Italien verfallen. Gottfried ist ganz stumm – wo sind die schönen Zeiten hin.
Meine Frau grüßt dich herzlichst, und ich muß jezt schließen. Mein vielgeliebter Bruder ich drükke dich innigst an mein Herz, möge uns doch Gott einmal wieder zusammen führen. Laß bald wieder etwas von dir hören, und
glaube mit ewiger Treue
deinem Weber
Dresden d: 25t Xb 1821.
Apparat
Zusammenfassung
dankt für G’s Glückwunsch zum Freischütz-Erfolg; bedauert, dass er G. nicht in Wien treffen könne, wenn er demnächst dorthin reise, um das dortige Personal zu begutachten; erwähnt Freischütz-Auff. Dresden, seinen unbefriedigenden Alltag, schlechte Aussichten auf eine Kpm.-Stelle für G.; Kompositonen G’s; über Lauskas, die er an G. empfohlen hatte; über gemeinsame Bekannte
Incipit
„Welche unendliche Freude hat mir dein Brief“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Joachim Veit
Überlieferung
Themenkommentare
Textkonstitution
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„m“durchgestrichen
-
„n“in der Zeile hinzugefügt
-
„soll“über der Zeile hinzugefügt
Einzelstellenerläuterung
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„bald nach Wien zu kommen“Weber war vom 17. Februar bis 21. März 1822 in Wien, vgl. Tagebuch.
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„… für das ich schreiben soll“Zum Sängerpersonal der Euryanthe in Wien vgl. ausgewählte Rezensionen zur Uraufführung.
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„der Freyschütz auf … hier einstudirt wird“Vgl. Tagebuch 28. und 29. Dezember 1821. Zur Premiere des Freischütz am 26. Januar 1822 in Dresden vgl. u. a. den Gesellschafter vom 20. März 1822.
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„Cäcilien Festes“Gänsbacher beschreibt das Diner zur Feier des Caecilienfestes, an dem 33 Künstler und Kunstfreunde teilnahmen auch in den Denkwürdigkeiten, S. 94.
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„Ende Sommer nach Wien“Weber hielt sich entgegen dieser Angabe bereits vom 17. Februar bis 21. März 1822 in Wien auf, vgl. Tagebuch.
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„Kantaten“Weber hatte Gänsbacher die Zusendung von Kampf und Sieg (JV 190) und der Jubel-Kantate (JV 244) versprochen, vgl. Brief von Weber an Gänsbacher vom 28. März 1821, die Absendung verzögerte sich jedoch. Aus dem Brief von Weber an Gänsbacher vom 28. April 1822 geht hervor, daß die Jubel-Kantate zu diesem Zeitpunkt versandt war, Kampf und Sieg folgte jedoch erst später, vgl. auch Tagebuch 2. Juni 1822. Beide Partituren sind verloren.
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„deine Honorar Exemplare“Vgl. Kom. im Brief von Weber an Gänsbacher vom 28. Juni 1821.
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„… sie schon an 17 Theater“Die Reihenfolge der Absendung der Partituren entspricht nicht deren Nummerierung in Webers Ausgabenbuch, so dass nicht vollkommen eindeutig ist, welche 17 Theater Weber hier meint. Weber hatte den Freischütz bereits nach Berlin (vgl. Br.), Braunschweig (vgl. Kom. im Brief an Klingemann vom 8. Januar 1821), Breslau (vgl. Kom. Quittung für Bierey vom 14. September 1821), Dresden (vgl. Kom. Brief an Brühl vom 3. Dezember 1821), Hamburg (vgl. Kom. Brief an Schmidt vom 8. Oktober 1821), Karlsruhe (vgl. Kom. Brief an Intendanz Karlsruhe vom 9. November 1821), Königsberg (vgl. Kom. Brief an Schlesinger vom 24. Dezember 1821), Kopenhagen (vgl. Kom. Brief an Zinck vom 11. Juli 1821), Leipzig (vgl. Kom. Brief an Kind vom 16. Juli 1821), Mannheim (vgl. Kom. Brief an Ritter vom 5. September 1821), Pest (vgl. Kom. Brief an Caspar vom 1. August 1821), Prag (vgl. Kom. Brief an Treitschke vom 17. Dezember 1821) und Wien (vgl. Br.) verkauft. Weitere, in den Briefen 1821 nicht genannte Bühnen waren: Danzig (vgl. Tagebuch, 26. und 28. November 1821, im Ausgabenbuch als Nr. 7, verloren), Frankfurt (vgl. Tagebuch, 17. und 18. Dezember 1821, im Ausgabenbuch als Nr. 9, heute Frankfurt StUB, Mus.Hs Opern 607 (1)), München (vgl. Tagebuch 30. 9. sowie 24. und 30. Oktober und 6. November 1821, im Ausgabenbuch als Nr. 23, verloren). Welche neben diesen sechzehn Bühnen für Weber hier die siebzehnte ist, ist unklar. Am 27. Dezember 1821 vermerkt er im Tagebuch die Absendung von Partitur und Buch nach Kassel (als Nr. 10 im Ausgabenbuch, verloren) und Stuttgart (als Nr. 26 im Ausgabenbuch, heute Württ. Landesbibliothek, Theatersammlung Nr. 656), letztere nochmals am 15. Januar 1822, so dass hier wohl eher Kassel gemeint ist.
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„… Daß Lauskas dir gefallen“Weber hatte Franz Lauska und dessen Frau an Gänsbacher empfohlen, vgl. Brief von Weber an Gänsbacher vom 28. Juni 1821. In den Denkwürdigkeiten erwähnt Gänsbacher diese Begegnung nicht.
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„… mit der Part: Sendung danken“Vgl. Johann Gänsbacher, Denkwürdigkeiten, S. 95.
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„JubelKantate ist vor … und aufgenommen worden“Webers Jubel-Kantate wurde am 22. Dezember 1821 in Dresden aufgeführt, vgl. Tagebuch und Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, Jg. 7, Nr. 5 (10. Januar 1822), S. 38–40.
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„… mit der Wittwe Rüksprache genommen“Im Tagebuch ist ein Treffen mit der Witwe am 12. Dezember 1821 dokumentiert. Mit Datum 15. Januar zeigte die Witwe Naumann die Subskription des Partiturdrucks im Intelligenzblatt Nr. 3 (März 1821) der AmZ an, der dann bei Breitkopf und Härtel (VN 3568) erschienen ist.