Carl Maria von Weber an Friederike Koch in Berlin
Gotha, Samstag, 5. Dezember 1812

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Liebste Freundin!

Ich ergreiffe in Eile die Feder um wo möglich Freund Lichtenstein ein Donnerwetter zu erspahren, das aber wahrscheinlich schon über ihn losgebrochen sein wird. zugleich bemerke ich in Demuth daß ich keinen Sie nicht mehr für eine neue Kalendermacherin oder Zeitrechnerin halte*, und danke danke 1000mal für Ihren lieben Brief vom 11 8ber bis zum 14t Nov: den ich Gestern durch Lichtenstein erhielt. Mein Geschreibsel vom 30t Nov: werden Sie nun wohl auch erhalten haben ich wurde damit so übereilt daß ich es gar nicht mehr durchlesen konnte, und daher auch nicht mehr weiß was ich Ihnen geschrieben habe.      Haben Sie überhaupt Nachsicht mit mir und meinem Schreiben, welches leztere immer nur sehr fragmentarisch ausfallen kann. ich bin keinen Augenblik gewißer Herr meiner Zeit, und bey meinen vielen dringenden Arbeiten muß ich mir die Erholung an meine Lieben zu schreiben immer nur abstehlen. Sie glauben nicht beste Freundin, wie wohlthuend es mir ist, zu erfahren daß ich noch recht im Andenken meiner Berliner Freunde lebe, und daß bey jeder Veranlaßung meiner so herzlich gedacht wird, und die Kindleins* so liebreich gehätschelt und gepflegt werden. Es giebt meinem Glauben an die Menschen eine neue feste Stüzze, und verleiht mir sehr frohe Stunden.      Manchmal bekomme ich ein ordentliches Heimweh nach Berlin, und ich muß mich ordentlich zusammen nehmen, um nicht sogleich nach einer Post Chaise zu schreyen.      ich suche Ihren Brief Punkt vor Punkt zu beantworten. der guten Jordan ihr Geburtstag. wie freut es mich daß meine kleinen Lieder ihr auch ein paar freundliche Blümchen auf Ihren Weg streuten*.      Fr: Ulrike Lecoq spielt ja sehr fleißig meine Variat:* und wie ich auch von Lichtenstein höre, recht brav. Glük zu. Sobald die Variat: über Joseph heraus sind soll Sie sie auch bekommen*. sagen Sie ihr das und recht viel Schönes und Gutes von mir dazu.      Ihre Gewißenhaftigkeit wegen der bedeutenden Summe Geldes die Sie unterschlagen haben, rührt mich zu Thrähnen, ich erwarte das Kettchen mit Freuden, und werde seiner Hülfe sehr nöthig haben, weßhalb ich wohl bitten möchte, mir ein paar große Wagen Ketten zu übersenden. ich habe nie sonderliches Glük bey den Weibern gemacht, Sie sind nicht alle so genügsam und die Wahrheit gern hörend wie eine gewiße Koch, daher schikken Sie nur Ketten über Ketten. nur fürchte ich daß auch diese nichts helfen werden. item man probirts. Sobald es Effekt macht melde ich es Ihnen aufs treuste.

Also ein neues Fortepian? Glük zu, der Himmel erhalte die Saiten und Schrauben, und es töne Ihnen immer die beste Stimmung entgegen.      Merzdörfchen danke ich für das gute Andenken.

Sind denn meine Lieder bey Gröbenschüz noch nicht heraus? und auch von der Sonate hör ich schon lange kein Wort*.

Sie haben mich nicht angestekt mit Ihrem Trübsinn beste Freundin, Sie wißen daß ein gewißer Ernst in mir begründet liegt. Sie haben mich oft so auf dem Sopha sizzen sehen wo ich mich ganz gehen ließ. Mein Aufenthalt in Berlin hatte mich sehr exaltirt, so viele Liebe von allen Seiten muß das finsterste Gemüth erheben, und zum Frohsinn bringen. ich habe da frohe Stunden verlebt die mich Jahrelange Bitterkeiten vergeßen ließen, und in deren Errinnerung ich mich recht glüklich und froh fühle. ich war da ein anderer Mensch: zum Beyspiel am 19t August*. — Sobald werde ich nicht wieder tanzen. —

Sie fragen ob ich nichts neues für Sie brauchbares geschrieben habe? leider nein. die Früchte herrlicher Augenblikke, kleine Lieder pp | deren ich in Berlin so manches machte, reifen hier nicht. es fehlt die Veranlaßung der äußere Anstoß. finden Sie schöne Texte so schikken Sie, und was mir gefällt comp: ich dann. die Hymne will ich gelegentlich nach Berlin schikken, die könnt ihr zuweilen wenigstens am Klavier durchsingen.

Ich komme immer mit meinen Gratulationen hinterdrein, aber vor- oder nachher ists doch immer gleich gut gemeint. So habe ich Gestern im Stillen Rungenhagens Geburtstags Gesundheit getrunken, und ihm dazu recht von Herzen viel Glük gewünscht. sagen Sie ihm das, dem Guten.

Ich bin begierig wie der Abu Haßan in Berlin aufgenommen wird*. es ist hier ein Liebhaber Theater, und der Prinz ließ mir keine Ruhe bis ich den Abu Haßan hergab*, die ersten Proben werde ich leiten*. die Aufführung erlebe ich nicht mehr hier*. denn wenn nicht alles gegen meinen Willen geht, so verlaße ich Gotha d: 20t. ich schreibe eben auch noch ein neues Duettchen in die Oper*. das steht zu Diensten.      Um Jettchen lieb zu haben braucht sie nicht erst im Amors Kostüm zu erscheinen, ich bin dem kleinen Wesen recht von Herzen gut.      Von Weimar soll ich erzählen?* ach Gott das würde mir sauer werden. der Witz ist nicht zu Hause und die Laune hat keine Zeit und ist nicht wohl. das Resultat von allem was ich ihnen schreiben könnte, haben Sie selbst schon ausgesprochen. — in der Regel verliehren die Großen Männer wenn man sie recht in der Nähe beym Lichte besieht*. So viel kann ich Ihnen sagen daß Wieland eine besondere Liebe für mich äußert. ich darf ihn besuchen, und eine Gesellschaft wo ich bin versäumt er nicht leicht. das bewußte Crescendo machte einen ganz besonderen Eindruk auf ihn, und ich muste es auf seine Bitte öfters machen*. Von dem Herzog wäre so viel zu schreiben daß ich gar nicht weiß wo anzufangen und aufzuhören. Genug er ist voll Geist und Gefühl mitunter etwas exzentrisch aber immer für den Beobachter höchst interreßant. Er bezeigt mir die ausgezeichneteste Theilnahme und Achtung. Prinz Friedrich ist die Güte selbst. ich sagte ihm daß Sie sich nach ihm erkundigt hätten, und da er jedermann liebt der mir gut ist, so trug er mir auf Sie von ihm recht herzlich zu grüßen.

Die Verse auf mein Wiegenlied von Kielemann sind scharmant.

an Ottken alles schöne, und ich war es überzeugt daß er alles aus der Silvana sehr brav vortragen würde.

     Nun adio liebste Freundin grüßen Sie mir den dikken Doktor und alle alle recht innig, und machen Sie mir die Freude noch vor meiner Abreise ein paar Zeilen von Ihnen zu erhalten.       adio senza adio. Ihr treuster
Freund Weber.

Apparat

Zusammenfassung

Berliner Erinnerungen; Privates; erkundigt sich nach dem Erscheinen seiner Lieder op.25 und Sonate; habe ein Duett für Abu Hassan komponiert

Incipit

Ich ergreiffe in Eile die Feder um womöglich Freund Lichtenstein

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Weberiana Cl. II A e, 5

    Quellenbeschreibung

    • 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Virneisel/Hausswald, S. 65–67 (als Nr. 4)

Textkonstitution

  • „keinen“durchgestrichen
  • „ihr“durchgestrichen
  • S„s“ überschrieben mit „S
  • s„ß“ überschrieben mit „s
  • „… Sie ihr da s und“gestrichener unleserlicher Wortbeginn
  • S„s“ überschrieben mit „S
  • ß„s“ überschrieben mit „ß
  • „… mit meinen Gratulationen hinterdrein, aber“durchstrichener unleserlicher Buchstabe zum Wortanfang
  • ß„s“ überschrieben mit „ß
  • „… aus der Silvana sehr brav“durchstrichener unleserlicher Buchstabe zum Wortanfang

Einzelstellenerläuterung

  • „… neue Kalendermacherin oder Zeitrechnerin halte“Vgl. dazu den scherzhaften Beginn des Briefes vom 30. November 1812.
  • „… gedacht wird, und die Kindleins“Gemeint sind Webers Kompositionen.
  • „… Blümchen auf Ihren Weg streuten“Möglicherweise hatte Pauline Jordan ein Exemplar der gerade erschienenen Lieder op. 23 von Weber als Geschenk erhalten.
  • „… sehr fleißig meine Variat :“Fraglich, ob die bei Gombart erschienen Variationen über „Vien quà, Dorina bella“ op. 7 oder die bei André erschienenen Variationen über ein Originalthema op. 9; wohl eher nicht die älteren Variationsreihen über ein Originalthema op. 2 (1800) oder über ein Samori-Thema op. 6 (1804).
  • „… S ie sie auch bekommen“Das Exemplar des Ende 1812 bei Kühnel erschienenen Erstdrucks (PN: 1035) aus dem Besitz von Ulrike Lecoq (mit ihrem Namenszug) befindet sich in D-DT (Q Weber 121).
  • „… ich schon lange kein Wort“Die Lieder op. 25 sowie das Schwäbische Tanzlied erschienen vermutlich erst 1813 bei Gröbenschütz, ein Belegexemplar der bei Schlesinger verlegten Sonate erhielt Weber laut Tagebuch am 30. Dezember 1812.
  • „… Beyspiel am 19 t August“Zur Feier im Weber-Freundeskreis an diesem Tag vgl. das Tagebuch.
  • „… Haßan in Berlin aufgenommen wird“Die Berliner Erstaufführung der Oper fand erst am 28. Juli 1813 statt.
  • „… ich den Abu Haßan hergab“Vgl. den Tagebucheintrag zur Übergabe am 2. Dezember 1812.
  • „… ersten Proben werde ich leiten“Vgl. die diesbezüglichen Tagebucheinträge vom 14. bis 19. Dezember 1812.
  • „… erlebe ich nicht mehr hier“Zur Aufführung des Abu Hassan im Gesellschaftstheater auf der Steinmühle in Gotha am 10. Januar 1813 vgl. den Brief von Prinz Friedrich von Sachsen-Gotha-Altenburg an Spohr vom 11. Januar 1813 sowie den Aufführungsbericht im Morgenblatt für gebildete Stände.
  • „… neues Duettchen in die Oper“Nachkomponiertes Duett Nr. 4.
  • „… Von Weimar soll ich erzählen?“Zum Weimar-Aufenthalt vgl. die Tagebucheinträge vom 26. Oktober bis 6. November 1812.
  • „… der Nähe beym Lichte besieht“Zu Webers ähnlichen Äußerungen bezüglich Goethe vgl. den Brief an H. Lichtenstein vom 1. November 1812.
  • „… auf seine Bitte öfters machen“Vgl. dazu auch Webers Tagebuchnotiz vom 1. November 1812; zu Webers dynamischen Effekten auf dem Klavier vgl. Weber-Studien, Bd. 9, S. 37f.

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