Carl Maria von Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
Dresden, Montag, 26. März 1821

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Das erste Gefühl was ich bei Erblikung deiner lieben Schriftzüge hatte, war tiefe Beschämung. Wie lange war es meine Pflicht – aber auch wahrlich mein Vorsaz  – dir zu schreiben, und dir für so manche gar liebe Bekanntschaft und frohe Stunde zu danken, die ich auf meiner Reise durch deine Empfehlungen* genoßen. Vor allem darf ich da nur des herzbraven Hofmeisterschen Paares*, deiner trefflichen Mutter gedenken. Aber – du weißt ja wie das geht. vor der Reise gehts kaum, während der Reise gar nicht, und nachher fast noch weniger. auch dacht ich von Woche zu Woche nach Berlin zu komen*, und da wieder auf alte Weise mich recht mir dir ausplaudern zu können. und nun – da mir dieß durch deine Güte wieder ganz so lächelt wie ich mir es am liebsten dachte, – gehts wieder nicht. –

Beers haben nehmlich unterdeßen ihre Einladung* so dringend und herzlich wiederholt, alles schon bis ins Detail besorgt und mir geschrieben. daß ich – der ich ohnedieß die gute Koch nur auf den Fall daß es damit nichts wäre, vorläufig sich nach einem Quartier umzusehen bat – wirklich feindlich aussehen würde, wenn ich es nicht angenommen hätte. ich habe ohnedieß diesen guten Leuten einmal recht wehe thun müßen, durch das Zurüksenden eines schönen Geschenkes* – so daß ich jezt weiter gar keine Einwendung machen dürfte.       Mein Trost dabei ist, daß wir nicht im ThierGarten, sondern in der Bährenstraße* wohnen werden, und also als ehrliche Nachbarsleute* fleißig zusammen komen können.      Also 100 000 Dank, dir und deiner lieben guten Victoire von uns beiden, daß ihr uns habt beherbergen wollen, und zwar ganz in der Weise wie es uns Allen die Flügel frei gelaßen, und wir nur die Annehmlichkeit des Zusamenseyns hätten genießen können.

Was meine Unzufriedenheit* betrifft, so komme ich nach und nach dahinter, daß so lange ich es noch warm und ehrlich mit der Sache meyne, – sie sich wohl nicht heben wird. da ich nun von mir hoffe nicht auch ein Schlingel zu werden so wird sie mich wohl ins Grab begleiten. – –

Ich glaube es gern daß ihr aus Manchem im Freyschützen | nicht klug werden konntet. Es sind Dinge darinn, die in dieser Weise noch nie auf der Bühne waren. die ich daher ohne das mindeste Anhalten an schon Vorhandenes gänzlich aus meiner Phantasie schaffen mußte. Gott gebe nun daß ich das Rechte getroffen.

Es freut mich sehr auch von dir zu hören daß die Preziosa durchaus gefiel*. es ist ein guter Vorläufer für den Freyschützen, den[n] es war doch manches Gewagte drinn, nach gewöhnlicher Handwerks Ansicht.

Nach Graf Brühls leztem Briefe wird das Theater d: 20t May eröffnet*. ich komme daher wahrscheinlich schon Ende Aprill nach Berlin*.

Was du über die Grillen der Weiber sagst, ist sehr wahr, und man kann oft die Besten nicht zusammen bringen. das erfahre ich oft. Aber hier war es wahrhaftig auch ein Sinn und ein Schmerz, und meine Alte kann sich noch gar nicht zufrieden geben daß sie nicht bei Euch wohnen soll.

Nun genug für Heute. bald liege [ich] an deinem treuen Bruderherzen. ich kann dir gar nicht genug sagen, wie ich mich darauf freue. Innigst grüßt meine Lina mit mir deine Victoire und dich.
Gott erhalte Euch froh und behaltet lieb Euren
treuen
Weber

Apparat

Zusammenfassung

dankt für Empfehlungen Lichtensteins, die ihm auf seiner Reise 1820 sehr nützlich gewesen seien; betr. Webers Berlin-Aufenthalt: dankt für Einladung Lichtensteins, die er wegen einer früheren Einladung Beers leider nicht annehmen könne; hofft jedoch Lichtensteins möglichst oft zu sehen; äußert sich zum Freischütz: manches darin sei vollständig neu, so dass er sich nicht wundere, wenn Lichtenstein daraus nicht habe klug werden können; bemerkt, dass Preciosa ein guter Vorläufer für die Freischütz-Uraufführung gewesen sei

Incipit

Das erste Gefühl was ich bei Erblikung Deiner lieben Schriftzüge

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
    Signatur: PB 37, Nr. 30

    Quellenbeschreibung

    • 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.), urspr. 1 DBl., Bl. 2 abgeschnitten

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, 44. Jg. (1899), 87. Bd., S. 174–175
    • Rudorff 1900, S. 98–101

    Einzelstellenerläuterung

    • „deine Empfehlungen“Empfehlungsbriefe Lichtensteins zu Webers Konzertreise vom Sommer und Herbst 1820 sind nicht erhalten.
    • „Hofmeisterschen Paares“Vgl. Tagebuch 8. u. 10. August und 28. Oktober 1820.
    • „nach Berlin zu komen“Zur Verschiebung seiner geplanten Berlinreise vgl. Brief von Weber an Brühl vom 21. Juni 1820 und die danach folgenden Schreiben an Brühl.
    • „Beers haben nehmlich unterdeßen ihre Einladung“Zum Angebot der Familie Beer, Weber bei seinem Aufenthalt in Berlin zu beherbergen, vgl. Brief von Weber an Koch vom 15. März 1821. Mit der neuerlichen Einladung meint Weber vermutlich den am 24. März eingegangen Brief Heinrich Beers, der nicht erhalten ist.
    • „Zurüksenden eines schönen Geschenkes“Die Eltern von Giacomo Meyerbeer hatten Weber aus Dankbarkeit für die Aufführung von Meyerbeers Opern Emma di Resburgo und Alimelek in Dresden ein kostbares Geschenk gemacht, dessen Annahme Weber ablehnte, vgl. Brief von Weber an Jakob Herz Beer vom 2. März 1820.
    • „ThierGarten , sondern in der Bährenstraße“Jacob Herz Beer hatte 1816 eine Villa im Berliner Tiergarten erworben. In der Behrenstraße wohnte im Haus Nr. 34 Wilhelm Beer, im Haus Nr. 37 Heinrich Beer. Die Webers stiegen schließlich bei Wilhelm Beer ab; vgl. den Tagebucheintrag vom 4. Mai 1821.
    • „Nachbarsleute“Lichtenstein wohnte unweit der Behrenstraße im Universitätsgebäude Unter den Linden; vgl. die Berliner Adressbücher 1820 (S. 254) und 1823 (S. 294).
    • „meine Unzufriedenheit“Vgl. die Äußerungen zu den Dresdner Theaterverhältnissen in Brief von Weber an Heinrichshofen vom 15. Januar 1821, Brief von Weber an Brühl vom 16. Januar 1821, Brief von Weber an Naue vom 16. Februar 1821 und Brief von Weber an Schmidt vom 4. März 1821.
    • „Preziosa durchaus gefiel“Zur Uraufführung (14. März 1821) vgl. den Kommentar im Brief an Brühl vom 25. März 1821.
    • „d: 20 t May eröffnet“Zur späteren Eröffnung (26. Mai) vgl. die Kommentare zu den Briefen an Könneritz vom 20. Mai sowie an Kind vom 27. Mai 1821.
    • „Ende Aprill nach Berlin“Weber traf am 4. Mai 1821 in Berlin ein, vgl. Tagebuch.
    • „d: 26 t März“Im Tagebuch bereits am 25. März als geschrieben vermerkt.

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