Bericht über Weber-Aufführungen und -Neuheiten 1826 bis April 1827

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Für und gegen Maria v. Weber.

Deutschland wäre nicht werth, einen Meister von solcher Tiefe und Eigenthümlichkeit, die wir durch die so oft gemißbrauchten Worte Gemüthlichkeit und Genialität nicht zu entweihen gedenken, sein nennen zu können, wenn jetzt schon, wo die Jahrestrauer über ihn noch nicht abgelaufen ist, von ihm in diesen Blättern nicht wieder die Rede seyn dürfte. Der Klavierauszug aus seinem Oberon, von ihm selbst, so gut er nur zu machen war, gefertigt, ist bereits in allen Händen (Berlin, Schlesinger 6 Rthlr. 12 ggr.) Aber nur Eine deutsche Bühne hatte den Muth, dieses höchste und lezte Werk des großen Tonsezers würdig zu gestalten und aufzuführen. Der kein Opfer scheuende wakere Direktor der Leipziger Bühne, Küstner, hatte keine Ursache, die verständige und gewissenhafte Ausstattung, die er dem Oberon gab, zu bereuen. In der Mitte Aprils war Oberon innerhalb drei Monaten bei erhöhtem Preise und gedrängtvollem Hause bereits 15mal*, das leztemal in Gegenwart der Königin von Bayern und ihrer vier Töchter und zwei Schwiegersöhne, des Kronprinzen von Preußen und des Prinzen Johann von Sachsen*, mit gesteigerter Begeisterung über die vielgeschmükte Bühne gegangen. Die Kenner empfingen bei jedem Besuch eine neue Weihe in dieser unvergleichlichen Tonschöpfung, und auch die Nichtkenner gaben sich immer entzükter dem durch Ohr und Aug jedesmal mächtiger eindringenden Zauber hin. Alles, von der einzigen Ouvertüre an, wurde mit wachsendem Vergnügen hingenommen, Alle fühlten, was ein Kenner laut aussprach, daß, was Weber im zweiten Finale geschaffen, in seiner Art, für das Originellste, Schönste und Vollendetste gelte, was je ein Meister hervorgebracht hat. Hr. Rochlitz ist der Kenner, der seinen Namen unter eine, alles erwägende und motivirende, die innersten Schönheiten desselben uns enthüllende Beurtheilung in der Leipziger musikalischen Zeitung (Nr. 15 u. 16) gezeichnet hat. Diese möchten die Zweifler und Schwäzer, die nur aus einem Klavier-Auszug klug thun, so wie die Mäkler und Rechenmeister bei den übrigen deutschen Bühnen, sich doch zu Herzen nehmen, wenn sie eines hätten. Mit gedachter Aufführung des Oberon steht eine Gedächtnißfeier für die Familie Webers am 19 März dieses Jahrs auf eben dieser Bühne in der angenehmsten Verbindung. Nach einer würdigen Aufführung des Freischützen wurden im Hintergrund der Bühne, auf welcher nun der Schauspieler Stein die von Heinrich Stiglitz, dem jetzt in Leipzig lebenden Griechensänger, ergreifend und angemessen gedichtete Erklärung sprach, in einem Rahmen lebende Bilder dargestellt, welche verschiedene Lebensverhältnisse, die Webers Tonkunst in seinen Opern mahlte, ausdrükten, und bald das Lützowische Jägerkorps, bald Scenen aus der Euryanthe, aus der Preziosa und aus Oberon, mit der dazu gehörigen Weberschen Musik hinter der Scene, dem Auge vorführten. Das Kriegerleben (Lützows wilde Jagd), das Leben der Landleute (Euryanthe), Jägerleben aus derselben, Zigeunerleben (Preziosa), Elfenleben (Oberon) erschienen in Bild und Wort in kunstreichster Zusammenfügung und Aufeinanderfolge. Das Ganze schloß mit einer Tempelhalle, mit der Büste des Meisters auf dem Altare und einer strahlenden Lyra. Der Büste sezte Oberon die ihm von Preziosa, Max und Euryanthe ¦ gebotenen Kränze von Lilien, Eichenlaub und Granaten auf, aus welchen Sterne emporsteigend eine Glorie bildeten. Der glänzendste Erfolg belohnte die sinnreiche Anordnung und geschmakvolle Ausführung. So ehrte Leipzig Webern. Es war nicht auf Gewinn abgesehen. Aber zum Verdruß anderer Theaterunternehmer sey es gesagt, er kam von selbst und wird noch ferner kommen. Was that man nun in den zwei größten Hauptstädten der deutschen Zunge, in Berlin und Wien? Es ist auch in diesen Blättern berichtet worden, daß man in Berlin mit einer Aufführung des Freischützen, wobei Spontini selbst dirigirte und der Hof großmüthig Theil nahm, eine Benefizvorstellung für Webers Hinterlassene verband, die eine sehr bedeutende Summe trug. Doch über die von ganz Berlin sehnlich erwartete Aufführung des Oberon schwebt ein mystisches Dunkel. Unbegreiflich! Man unterhandelte über den Preis mit den von Webers Hinterlassenen zum Verkauf der Partitur beauftragten Freunden von Seite des königl. Theaters, und als das Königsstädter nicht nur die volle Summe, sondern auch noch einen Antheil an der Einnahme der spätern Vorstellungen bot, trat man von Seite der obersten Instanz beim königl. Theater hemmend ein, weil das Königsstädter zu einer solchen Aufführung nicht befugt sey. Man schien zu zweifeln, daß eine Oper, wo Puk im Geisterreich, der Gaskogner Scherasmin auf der Erde sein Wesen treibt, eine komische Oper seyn könne. Da man sich durchaus nicht verweigern konnte, wurden Schiedsrichter bestimmt, deren Entscheidung bis jetzt ausblieb*. Die natürlichste, beiden Bühnen die Aufführung, den Hinterlassenen den doppelten Preis zu gönnen, schien doch nicht die annehmlichste. So wird die Hochzeitfeier einer der reizbegabtesten Fürstentöchter mit dem dritten Sohne des Königs schwerlich mit dem Werke eines deutschen Meisters gefeiert werden können*. Was aber geschah in der kunsterfüllten Kaiserstadt an der Donau? Man sagt sich wohl von selbst, daß wo den Talenten italienischer Sänger und Balletkünstler unter Barbaja die Hofopernbühne eingeräumt wurde, und wo ganz Wien in diesen Genüssen schwelgt, Oberons zarter Lilienstengel allen Zauber verliert. Man kan aber doch nicht ohne eine große deutsche Oper bleiben, und da wird, wo ein Dietrichstein und v. Mosel leben, auch Oberon noch seine Rechte erhalten. Daß aber an demselben Tage, wo Leipzig die würdigste Gedächtnißfeier Webers beging*, zu Wien im Josephstädter-Theater ein Kapellmeister es wagen durfte, aus dem bloßen Klavierauszug Oberons eine Partitur zu instrumentiren, den Oberon zu einem guthmüthigen Pantoffelhelden unter Titanias Herrschaft zu gestalten, und mit eingelegten Tonstüken von eigenem Machwerk diesen Wechselbalg zu seinem Benefiz aufzuführen, daß sich ein Dichter dazu gebrauchen ließ, den Text zum Kasperle zu travestiren*, und daß nicht über eine solche Entehrung und Verstümmelung die allgemeinste Indignation sich Luft machte – denn sie war wirklich da – und den Bastard gar nicht zur Vorstellung kommen ließ, mag uns Fernstehenden wohl immer unerklärlich bleiben. Sagte doch selbst die sich hierbei wunderbar gebehrdende Wiener Theaterzeitung in ihrem bittersüßen Ton: „Das Ganze bildet ein barokes Vielerlei. Die komischen Personen des Oberon und der Titania nehmen sich in der romantischen Grund|farbe des Urgedichts wahrhaft sonderbar und befremdend aus.“ – Es steht nicht zu zweifeln, daß noch bei mehreren Hof- und Stadttheatern Oberon in seiner ganzen Verherrlichung erscheinen wird, gewiß auch in Dresden selbst. Denn würde, wie man allgemein versichert, der hochgefeierte Hummel aus Weimar Webers Nachfolger*: so wäre gewiß seine erste Huldigung den Manen seines treuen Freundes dargebracht, wozu es auch jezt der deutschen Opernbühne in Dresden weder an Mitteln noch Willen fehlt. – Der neue Meßkatalog kündigt uns von Berlin aus Nachrichten aus dem Leben und Musikwerken C. M. v. Webers an. Wer es auch sey, der hier eine Aehrenlese auf fremdem Aker hält, die wahre Befugniß dazu hat nur Theodor Hell in Dresden, dem durch die Mittheilung der Wittwe alle dazu gehörigen Papiere, aus dem vertrauten Zusammenleben mit Weber selbst alle Erinnerungen zu Gebote stehen. Von ihm redigirt, werden jetzt v. Webers hinterlassene Schriften (Dresden, bei Arnold) gedrukt, in deren ersten Theile die geniale, in Fragment bereits aus Mittheilungen von Fr. Kind bekannte Dichtung: das Künstlerleben, nebst vielen noch unedirten Skizzen und Entwürfen erscheinen werden. Auch darf man von dem kundigen und dem unvergeßlichen Tonkünstler wahrhaft befreundeten Wilhelm Weber, dem Herausgeber der Cäcilie, des vorzüglichsten Journals im Fache der Tonkunst, aus dem, was ihm von den ersten Konzepten und Entwürfen Webers durch die Wittwe selbst mitgetheilt wurde, einen lehrreichen Aufsaz über die eigentlich geistigen Empfängnißfreuden und Geburtswehen des genialen Mannes mit Recht erwarten*. Ob Meyer Beer in Paris Zeit gewinnen wird, die drei Pintos, wozu der Verstorbene nur erst den ersten Akt skizzirt hatte, hinauszuführen, bleibt fürs erste noch unentschieden.

Apparat

Generalvermerk

Autorenzuweisung nach dem Beiträger-Register der Allgemeinen Zeitung, hg. von Bernhard Fischer, München 2003 (lt. hs. Randnotiz im Cottaschen Redaktionsexemplar)

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Ziegler, Frank

Überlieferung

  • Textzeuge: Beilage zur Allgemeinen Zeitung, Jg. 30, Nr. 128 (8. Mai 1827), S. 509f.

Textkonstitution

  • „Wilhelm“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • „… und gedrängtvollem Hause bereits 15mal“Premiere am 24. Dezember 1826, 15. Vorstellung am 20. April 1827.
  • „… des Prinzen Johann von Sachsen“Im April 1827 trafen sich die verwitwete Königin von Bayern in Begleitung zweier ihrer noch unverheirateten Töchter, Maria Anna Leopoldine (1805–1877) und Ludovika Wilhelmine (1808–1892), sowie das preußische Kronprinzenpaar und der sächsische Prinz Johann mit Frau in Leipzig; vgl. Dorothea Minkels, Elisabeth von Preußen – Königin in der Zeit des AusMÄRZens, Norderstedt 2008, S. 179.
  • „… deren Entscheidung bis jetzt ausblieb“Vgl. dazu ausführlicher Veit, Wranitzky contra Weber.
  • „… deutschen Meisters gefeiert werden können“Anlässlich der Hochzeit des Prinzen Carl von Preußen mit Marie von Sachsen-Weimar-Eisenach (26. Mai 1827) sollte Spontinis Agnes von Hohenstaufen gegeben werden, allerdings wurde lediglich der I. Akt fertiggestellt, der am 28. Mai 1827 seine Premiere erlebte. Komplett wurde die Oper erstmals am 12. Juni 1829 anlässlich der Hochzeit von Prinz Wilhelm mit Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach (11. Juni 1829) gegeben. Vgl. dazu u. a. AmZ, Jg. 29, Nr. 24 (13. Juni 1827), Sp. 414, Nr. 25 (20. Juni 1827), Sp. 429, Nr. 28 (11. Juli 1827), Sp. 483–485 sowie Jg. 31, Nr. 28 1815. Juli 1829), Sp. 464 und Nr. 31 (5. August 1829), Sp. 509f.
  • „… die würdigste Gedächtnißfeier Webers beging“Der Leipziger Weber-Festakt fand am 19., die Wiener Premiere am 20. März 1827 statt.
  • „… Text zum Kasperle zu travestiren“Vgl. die Presseberichte.
  • „… Hummel aus Weimar Webers Nachfolger“Hummel hatte sich im Dezember 1826 um die nach Webers Tod vakante (zweite) Hofkapellmeister-Stelle in Dresden beworben und ein Jahreseinkommen von 2000 Talern, eine Pension von 1800 Talern sowie einen jährlichen dreimonatigen Urlaub gefordert. Man einigte sich auf die Höhe des Gehalts (1800 Taler), allerdings erschien Hummel die in Aussicht gestellte Pension (600 Taler) zu niedrig, weshalb seine Anstellung nicht zustande kam; vgl. Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, 10026 Geheimes Kabinett, Loc. 15147/2, Bl. 104–114, 122–126, 158–162. Webers Nachfolger wurde schließlich C. G. Reißiger, der auch die Dresdner Erstaufführung des Oberon (24. Februar 1828) betreute.
  • „… genialen Mannes mit Recht erwarten“Ob es zwischen Caroline von Weber und Gottfried Weber tatsächlich Absprachen über einen solchen Aufsatz gab, ist ungewiss. Vielmehr publizierte Gottfried Weber in der Cäcilia 1828 Briefe seines Freundes.

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