Carl Maria von Weber an Amalie Sebald in Berlin mit Nachschrift an Auguste Sebald
Gotha, Sonntag, 6. Dezember 1812

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An

Mademoiselle

Amalie Seebald

Wohlgebohren

zu

Berlin.

gegen Postschein

Lezte Straße

No: 1.

Am 27t Nov: erhielt ich die theuren 2 Briefchen vom 30t 8ber und 20t Nov: und sezte mich nachdem ich den Reichthum des Couverts entfaltet, in den Winkel eines Sopphas das Sie leider nicht kennen, das aber nur besucht und beseßen wird, wenn ich so recht mit Wonne und Bedächtlichkeit an dem erhaltnen zehren und schlürfen will. Hier fand ich nun mehr, viel mehr als ich gehofft hatte, und gab mich allem so hin, daß ich nicht mehr in Gotha war, sondern den ganzen schönen Vormittag verträumte, und also als ein trokkner Geschäftsman wohl das Recht hätte recht böse zu seyn, über Ihre Liebe und Güte, und über einen gestohlnen Morgen an dem Sie mir so viel schenkten[.]

Ich beantworte Ihre Briefe nach dem Rechte der ancienität, und fange bey dem vom 30t 8ber an. Ich weiß es gehörig zu würdigen daß Sie sich mit mir beschäftigten, ehe noch eine schuldige Antwort Sie dazu auffoderte, wenn Sie gleich einige kleine Boßheiten mit einmischten Wer und es Z: B: der armen guten K: sehr übel nehmen daß Sie sich mit ungewöhnlicher Wärme für meine GeistesKinder intereßirt. das ist ja eben von jeher mein Jammer gewesen, daß, wie Sie selbst schreiben, Sie mich nicht so unbedingt und kühn lieben.      Errinnert sich meine Amalie wohl wie ich über jenes bedingte Lieben denke? — Was ist denn das für eine Geschichte mit dem was ich an Wollanke von Ihnen geschrieben haben soll?* = Sie wären verwöhnt = Sie ließen sich stets anbetenund strebten bey jeder neuen Bekanntschaft danach? Obwohl ich nicht mehr weiß, was ich Woll: geschrieben habe, so weiß ich doch gewiß daß ich nicht das, oder wenigstens nicht so gesagt habe. ich laße dieß nicht auf mir sizzen und fodre strenge Rechenschaft, habe auch deßhalb schon Wollanke vor’s Gericht gezogen.      daß Sie verwöhnt sind, : nun, welches weibliche Wesen mit solchen Vorzügen wäre das nicht?      Sie ließen sich stets anbeten?      das ist doch wohl ganz natürlich.      denn, erstens, giebt es gar nichts bequemeres auf der Welt als sich adoriren zu laßen, und, zweitens kann man es den Leuten gar nicht verwehren. den Nachsaz, mit dem darnach Strebennego, zu deutsch, verneine ich. mit der selbst bey den vollkomensten Menschen nöthigen Einschränkung. Ja! hätten Sie in jenem Augenblik den fragenden Blik in meine Augen thun können, Sie wären gewiß beruhigt in sich gegangen.

Ach! welche Freudige Ueberraschung verursachte mir nur der Gedanke an die Möglichkeit Sie in Prag zu sehen. und gleich hinter her wird dieser schöne Sonnenblik durch das bestimmte Aussprechen der Unmöglichkeit, wieder vernichtet. Wie viel hätte ich Ihnen zu sagen, was sich nur sagen läßt. der Geist fliegt immer so weit dem elenden Schnekengange des Gänsekieles vor, daß ich sehr oft im Unmuth aufspringe und die Feder hinwerfe, weil ich doch überzeugt bin daß ich damit nicht wiedergeben, nicht aussprechen kann, was in mir lebt, spricht, fühlt und webt.      Finden Sie also alles nur Fragmentarisch so haben Sie Nachsicht. Sie wißen daß es mir schwer wird, selbst Aug in Auge, mich aufzuschließen.

Der verbeßerte Gesundheits Zustand Ihrer theuren Mutter, erfreut mich tröstend für Sie. empfehlen Sie mich ihr aufs innigste.      Auch dem Fürstlichen Freund sagen Sie alles Schöne in seiner Art von mir. ich habe Göthe’n viel von seiner Behandlung des Faust gesprochen, und aus voller Ueberzeugung gut, zur Freude Göthe’ns*.

Obwohl ich ihm dießmal etwas näher rükte, so ist doch noch eine gewiße Mauer aus unseren beyden Künsten erbaut, zwischen uns, das klingt sonderbarer bey den so innig verwandten Künsten, aber ich habe die große Freude gehabt meine Bemerkungen hierüber von dem Dr: Riemer einem 15 Jährigen Hausfreunde Göthes | als vollkommen wahr bestätigt zu hören. dieser Geistvolle anspruchslose Mann hat mehr Antheil an Göthens Vollkomenheit als man glaubt und die Welt ahnden kann. ich traf ihn bey der Hofräthin Schoppenhauer*, und fühlte eine seltsamme Offenheit ihm gegenüber in mir erwachen. ich bin sonst eben nicht sehr geneigt meine Ansichten jemand an den Kopf zu werfen, aber den Abend riß ich es mich fort mit Gewalt, und Er schien seltsam ergriffen von meinen Äußerungen über Göthe.      Desto mehr und liebevoller zeigte sich Wieland gegen mich*. Man kann den edlen Greiß nicht ohne Rührung sehen.

Ich hätte wahrlich das Recht Sie ein bischen auszuschelten. manchmal erscheint plözlich in Ihren Briefen ein tödtender Kalter Strahl von Fremdthun, und unnöthiger Bescheidenheit. da es mir aber manche glükliche Stunde zurükruft wo ich es auch erlebte und dagegen eiferte, so will ich darüber schweigen, um der Errinnerung willen, sonst müsten Sie über Stellen wie folgende = Erlauben Sie auch ferner daß ich durch Ihre hiesigen Freunde, die Nachrichten erfahre, die Sie senden = oder, = Leider ist mein Geschwäz ohne Gehalt ich fühle es wohl, — aber wie wenig in der Welt hat eigentlich Gehalt ppp ein tüchtiges Kapitel anhören.      aber hier, wie ehemals, wißen Sie es gleich wieder gut zu machen, so gut — — ja ich traue, und will haben daß Sie es auch thun. die kleinen Sticheleyen daß ich den Weibern im Leben schon so manches geglaubt haben müße, verschmerze ich großmüthig so wie die Prophezeihung daß ich noch viel glauben würde. daß erste ist halb wahr, das lezte Möglich, aber nicht wahrscheinlich.      an dem Guten was ich geschaffen habe, haben wahrhaftig die Weiber direkte keinen Theil, es müste denn dadurch seyn daß sie mich in mich selbst zurükscheuchten, und mir im Bund mit anderen Stürmen, Kraft genug verliehen mir eine eigene Welt zu schaffen.      Nur im Leidenschaftslosen Momente, im Augenblikke willkührlich herbeygerufener Begeisterung ist man fähig KunstWerke zu Tage zu fördern.      Daß alles so kam und gieng mag gut seyn.      der Unglaube und Glaube, daß Zutrauen und Mißtrauen, der Ernst und die Lust, das alles kocht sich in der Schiksals Retorte zu einem eigenen Tränkchen.      immer zu, ich empfange alles mit Ergebung.

Ihre Bemerkungen über das Gute meiner Abreise, und der Gedanke daß uns vielleicht bald nicht einmal mehr unsre Briefe erreichen möchten, hat seh mich sehr wehmütig angeregt.      Ein Glük ist es daß ich wenigstens dem lezteren mit Gewißheit wiedersprechen kann.      ich reise ja weder nach Grönland noch Neuselland, und in dem freundlichen Italien pp wird mich stets das treffen was Sie mir widmen wollen;      denn ohne den Willen wäre die Entfernung von 4 Schritten schon genug.

Da Sie so befehlen, so bewundre ich Ihre Enthaltsamkeit noch nicht an Beethoven geschrieben zu haben. dürfte ich aber meinen gewöhnlichen Maliziösen Ideen Raum laßen, so würde ich denken, daß Sie noch nicht Zeit, Stimmung, und Ruhe genug gehabt haben ihm so zu schreiben wie Sie gerne wollten, und es deßhalb unterlaßen hätten bis jezt.      ich bin immer der Alte. nicht wahr? Nun! sehen Sie mich nur an, Sie sizzen zwischen Soppha und ofen, und ich auf dem Soppha. ich hab’s so böse nicht gemeint.

Berner ist und bleibt Mausetodt, und ich habe leider jezt nicht Zeit ihn durch ein höfliches Billetchen zum Leben zu erwekken. Von Prag aus werde ich dem faulen Hund eins versezzen.

Es thut mir wohl daß meine Lieder Sie erfreuen. die Verwandtschaft mit dem braven Naumann ist wie Sie glauben, mir unbewußt entstanden, denn ich kenne nichts als seine Medea*. doch schäme, gräme und ärgere ich mich gar nicht darüber. Zudem ist dieß von mir schon 1808 componirt worden*.      Was Sie von unserm Freunde W: sagen, glaube und unterschreibe ich. sein Talent ist nur ein weibliches. Liebevoll | empfangend und wiedergebend, als eigentlicher Schöpfer schwerlich je dastehend.

Ihrem Auftrage gemäß berichte ich Ihnen daß die Fr: v. Mengden noch in Humelshayn ist. ich weiß mehr von diesen Verhältnißen als Sie vielleicht ahnden können, und beschwöre Sie daher dieses höchst unglükliche Wesen nicht in seiner kümmerlichen Ruhe zu stören. denn wenn ich recht ahnde so komt die Frage nach ihr von der Seite der Fr: von der Recke.      Sie ist unendlich arm und ganz außer Stande etwas zu thun. Wißen Sie oder der Frager das Ganze so ist diese wahre Notiz genug, alle ferneren Fragen nach ihr abzuschneiden. benuzzen Sie sie nach Gutdüncken — in Ihre Hände lege ich es.

Leben Sie wohl theure Amalie, ich habe mich bekehrt und glaube, halten Sie nun auch den Glauben aufrecht und geben Sie mir recht oft Nachricht von Ihnen. denken Sie daß alles was Sie angeht mir lieb und werth ist besonders die Gewißheit daß in Ihrem Andenken lebt Ihr treuster Freund Maria.

Weil das faule Gustelchen mir immer nur so ein paar Zeilchen krizzelt, so speise ich es auch wieder so ab, bin aber doch gehörig dankbar auch nur für das wenige, und wenn Sie zufrieden sind mit diesem noch wenigern, so bewundere ich Ihre Großmuth und denke dabey, ach Sie weiß doch daß du Sie recht von Herzen lieb hast, wenn du es auch nicht mit Bogen beweißt.

Drauf bauend nenne ich mich kurz und gut Ihren wahren

Freund Weber.

Apparat

Zusammenfassung

beantwortet umfassend die beiden Briefe von A. Sebald, die er erhalten hat, und berichtet über die Begegnungen mit Goethe, Riemer und Wieland in Weimar; reagiert auf Urteile über Naumann und B. A. Weber; nimmt Bezug auf Frau von Mengden, nach der sich A. Sebald erkundigt hatte

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: 55 Ep 421

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
    • Siegelrest
    • PSt: a) R. 3. GOTHA b) CHARGÉ
    • auf Bl. 2r unten mit Bleistift von fremder Hand: „Weber the musical composer Weber“

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Weberiana 15 (2005), S. 106–109

Textkonstitution

  • S„s“ überschrieben mit „S
  • „Wer“durchgestrichen
  • „… habe auch deßhalb schon Wollanke“durchgestrichener unleserlicher Buchstabe
  • s„ß“ überschrieben mit „s
  • „… bey den so innig verwandten“„d“ nachträglich eingefügt
  • hören„sagen“ überschrieben mit „hören
  • „ich“durchgestrichen
  • ß„s“ überschrieben mit „ß
  • „seh“durchgestrichen
  • S„s“ überschrieben mit „S
  • „ich“über der Zeile hinzugefügt
  • „der“über der Zeile hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

  • „… von Ihnen geschrieben haben soll?“Vermutlich eher Webers Brief an F. Wollank vom 5. Oktober als jener vom 12. September 1812.
  • „… gut , zur Freude Göthe'ns“Gemeint ist wohl das Treffen mit Goethe am 27. Oktober, das Weber bereits im Brief an Amalie Sebald vom 29. Oktober 1812 erwähnt hatte (Kommentar s. d.).
  • „… ihn bey der Hofräthin Schoppenhauer“Treffen laut Tagebuch am 5. November 1812.
  • „… zeigte sich Wieland gegen mich“Zur Begegnung mit Wieland am 1. November 1812 vgl. die Tagebuchnotiz.
  • „… kenne nichts als seine Medea“Medea in Colchide ossia La partenza di Giasone da Colco, Dramma per musica in 2 Akten, Text von Antonio Filistri da Caramondani, Uraufführung: Berlin 16. Oktober 1788.
  • „… mir schon 1808 componirt worden“Die gerade bei Schlesinger erschienene Sammlung der Gesänge op. 23 (PN: 54) enthält nur ein 1808 komponiertes Lied: Meine Farben. Es könnte aber auch das bei Simrock vorgelegte Heft der Lieder op. 15 (PN: 877) gemeint sein, in dem zwei Kompositionen aus dem Jahr 1808 enthalten sind: Klage und Er an Sie.

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