Carl Maria von Weber an Gottfried Weber in Mainz
Prag, Dienstag, 17. September 1816
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Mein theurer lieber Bruder!
Seit 4 Wochen habe ich von Tag zu Tag auf die Entscheidung einer Sache gehofft die ich dir gerne berichtet hätte. Nun aber währt das Ding gar zu lange, und ich muß dir doch [von] hieraus Valet sagen, da ich wieder in ein auf andere und für dich und mich intereßantere Weise in Thätigkeit trete. ich suche meine alte Ordnung hervor und nehme mein Tagebuch zur Hand, da unterdeßen daß wir uns zum leztenmale schrieben gar mancherley vorgegangen ist. d: 24t Aprill schrieb ich dir zulezt und erhielt d: 12t May deine Antwort. du bist wohl gut, alte Seele daß du dich so umständlich ausläßt über dein Leyer und Schwert, daß es fast aussieht wie eine Entschuldigung, und freut mich so was in der Seele, denn das ist wahrhaft Freundhaft feinfühlend. Dank schön dafür. ich habe deine Lieder* später in Berlin gesehen und haben mir sehr wohl gefallen, konnte sie aber nicht habhaft werden da sie verschikt wurden, hoffe es aber jezt nachzuholen. da dir Gänsbacher damals meinen Aufsaz über meine Kantate nicht schikte, so lege ich ihn dir hier bey da ich ihn habe mittlerweile in Berlin drukken laßen vide No: 1.‡ Könntest du die Cantate nicht in Mainz aufführen? ist nicht ein Museum oder dergl: da das so etwas bezahlt, wenn’s auch nur beynah die Kopialien sind, so thue ich es für dich und um deinetwillen. – Ueber das Verfluchte Mißverstehen in den Briefen. Wenn man eine Sache weis, so glaubt man sie auch dem andern eben so deutlich gemacht zu haben, und dann komt endlich eine Sauerey heraus. So ist es zwischen dir Rochlitz und mir gegangen. du hattest in deiner Art so Recht, und Rochlitz that mir doch auch leid daß du ihn so angefahren hattest ich schrieb ihm also beyliegenden Brief sogleich, vide No: 2‡ und erhielt die Antwort auch wieder so wie du hier. /: Seit dem habe ich ihn auch gesprochen und sehr kränklich, hypochondrisch, und angegriffen, übrigens voll Achtung und Liebe für dich und mich gefunden*. :/ Ich hoffe daß nun alles wieder ausgeglichen und in Ordnung ist. also weiter in meinen Geschichten. während dieser Zeit /: Anfangs May :/ kam mir die Idee meine Kantate in Berlin zur JahresFeyer der Schlacht am 18t Juny zu geben. Ich schrieb an S: M: den König, und erhielt die goldne MedailleT /: wahrscheinlich dieselbe die du bekamst fürs Te Deum :/ nebst der Erlaubniß im Opernhause das Concert geben zu dürfenT. Die Anstalten zur Reise, die Aufführung der Athalia von Poisl*, die Gastrollen der Gervais*, dieß alles verhinderte mich dir damals sogleich den DoppelBrief von mir und Rochliz zu senden. d: 21t war Atalia d: 3t Juny abends eine neue Oper das Haus ist zu verkaufen, und d: 5t sezte ich mich in den Wagen und fuhr über Dresden nach Berlin. vid: No: 3*. wird dir alles sagen. Graf Brühl entschuldigte sich bey mir aufs dringendste wegen meiner Anstellung, und sagte man habe ihm Romberg aufgedrungenT. ich zukte die Achseln – – überhäuft mit Freundschaft, Enthusiasmus und Liebe verließ ich d: 9t July Berlin und reiste über Leipzig und Karlsbad zurük. in Karlsbad wo ich 4 Tage war machte mir der Königl: Sächs: HofMarschall Graf Vizthum den Antrag als K: Sächsischer KapellMster die Leitung der zu errichtenden deutschen Oper in Dresden zu übernehmen. einen gleichen Antrag hatte ich in Leipzig erhaltenT. Seitdem sind die Unterhandlungen mit Dresden im Gange, und diese Entscheidung wollte ich abwarten, um dir zu schreiben. da ich nun auf nichts in der Welt sonderlich baue, was ich nicht mit Händen greiffen kann, so mache ich Anstalten zu einer großen | Reise, die ich in den ersten Tagen des Octobers beginnen will. von hier nach Berlin wo ich 4 Wochen lang ruhen und arbeiten will, um verschiedenes zu vollenden das ich meinem Verleger bis zum November zu liefern versprochen habe*. von da nach Hamburg pp bis Koppenhagen wenn nicht meine Anstellung in Dresden der Reise ein Ziel sezt. ich bitte dich also mir nach Berlin unter Adresse Jacob Herz Beer Banquier, zu schreiben. Von da wirst du das weitere schon von mir hören. Auf jeden Fall habe ich mir vorgenommen dich künftiges Jahr zu besuchen. bin ich angestellt mit Urlaub, wo nicht, gehe ich über Holland den Rhein herunter, und lezze mich einmal wieder an dir und deiner guten Gustel. daß ihr wohl seid habe ich von Benzels erfahren die vor ein paar Tagen hier waren, und bald wieder durchkommen. Gott stärke Euch und die Eurigen so wie ich es von Grund der Seele wünsche, dann geht es gewiß gut.
Der alte Beer war mit mir nach Karlsbad gereist* und brauchte die Kur, d: 4t August‡ kamen Mutter und 2 Brüder hieher und 6t Er von Karlsbad. d: 13t ließ ich Sie Alimelek hören, den ich ihnen zu liebe neu einstudirt hatte, und d: 14t reisten Sie sämtlich ab nach Genua, wo die Mutter die Seebäder braucht und sich mit Meyerbeer ein Rendezvouz gegeben hat. lezterer war in Neapel und Sicilien, directe von ihm, weis ich nichts. desto mehr von Gänsbacher, der wohl und ziemlich zufrieden ist. hat auch eine Kantate zu des Kaysers Ankunft in Tyrol geschrieben*, hat viel Beyfall aber sonst nichts erhalten, das treue Herz. ist auch zu brav will ihm nichts recht glükken wie den Hallunken in der Welt. Müßens uns alle mit Gewalt durcharbeiten. doch kann ich am wenigsten klagen, darf aber auch ehrlich sagen, daß ich nicht faul die Hände in den Schoos gelegt habe. d: 1t Sept: habe ich die Oper Faust von Spohr in die Scene gebracht. teuflisch schwer. da du ohnedieß so viel Porto zahlen must so lege ich dir in No: 4 meinen Aufsaz darüber bey. der aber von Drukfehlern wimmelt, die du selbst verbeßern magst. Meine Kantate habe ich wie frische Häringe in die ganze Welt versendet. an 14 Potentaten. in der Beylage No: 5, siehst du das neueste und bis jezt schönste Resultat. die Auslagen sind aber auch teuflisch und laufen bis jezt schon über 700 ƒ ein baares Präsent käme mir daher sehr gelegen. Wenn du gleich böse sein kannst lieber Bruder daß ich wieder so lange still war, so kannst du mir es doch für etwas anrechnen daß ich jezt in diesem Augenblik schreibe. der Himmel hat es sich vorgenommen, mir das Ende meines Dienstes recht fühlbar zu machen. ich habe 3 Sängerinnen zugleich im Wochenbette*. dazu das Ordnen aller Papiere und Geschäfte für meinen Nachfolger pp. Methfeßel aus Rudolstadt erhält meine Stelle*.
— — — ich condolire. die Zeiten und Verhältniße sind in jeder Hinsicht zu traurig jezt. — Sey barmherzig und schreibe mir bald nach Berlin. an Dusch pp alles erdenklich liebe und Schöne an die liebe gute Gustel, ich umarme Euch in Gedanken herzlichst und bin Ewig und immer Euer treuster Weber Prag d: 17t Sept: 1816. Nachts.
Apparat
Zusammenfassung
berichtet über sein Treiben seit Mai 1816; betr. Auseinandersetzung zwischen Gottfried Weber und Rochlitz, die Weber nunmehr bereinigt hofft; betr. seinen Ruf nach Dresden; Reisepläne; berichtet über Erfolg der Versendung von „Kampf und Sieg“; klagt wegen Überlastung in Prag
Incipit
„Seit 4 Wochen habe ich von Tag zu Tag auf die Entscheidung“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: New Haven (US), Yale University, Beinecke Rare Book and Manuscript Library (US-NHub), Frederick R. Koch Foundation
Quellenbeschreibung
- 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
- ohne die erwähnten fünf Beilagen
- am oberen Rand der Rectoseite Vermerk von Gottfried Weber: „beantw. 28 Sept.“
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Bollert/Lemke 1972, S. 76–77
Themenkommentare
- Dosen, Ringe und Medaillen – fürstliche Geschenke an Weber
- Webers Konzertreisen von Prag aus in den Jahren 1813 bis 1816
- Prag: Spielplan des Ständetheaters im Jahr 1816
- Brühls Versuche, eine Anstellung Webers bei den Berliner Königlichen Schauspielen durchzusetzen
- Vergebliche Anstellungsprojekte und -offerten
- Webers Anstellung am Prager Ständetheater
Textkonstitution
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„vide No: 1.“über der Zeile hinzugefügt
-
„vide No: 2“über der Zeile hinzugefügt
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„August“über der Zeile hinzugefügt
Einzelstellenerläuterung
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„… dafür. ich habe deine Lieder“Fraglich, ob Gottfried Webers Gesänge op. 19 (Bonn: Simrock, VN: 1179, erschienen 1815) oder seine Kinderlieder op. 22 (Leipzig: Hofmeister, VN: 421, erschienen 1816) gemeint.
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„… für dich und mich gefunden“Vgl. die Tagebuchnotiz zum Treffen am 11. Juli 1816.
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„… mit mir nach Karlsbad gereist“Vgl. die Tagebuchnotizen vom 9. bis 13. Juli 1816.
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„… Kaysers Ankunft in Tyrol geschrieben“Vermutlich Cantate zur Tiroler Erbhuldigung, Mai 1816, Text von Leopold Philipp Graf Künigl.
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„… 3 Sängerinnen zugleich im Wochenbette“Therese Grünbaum brachte am 12. September 1816 Tochter Ottilia zur Welt.