Carl Maria von Weber an Johann Gänsbacher in Prag
Wien, Karfreitag, 16. April 1813
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S: Wohlgebohren
Herrn Johann Gänsbacher
berühmten Compositeur
zu
Prag.
bey S: Exellenz
dem Grafen Firmian
Hause auf dem Altstädter
Ring.
Liebstes Brüderl!
Deine lieben Briefe vom 1t und 8t Aprill habe ich richtig erhalten. ich möchte dir so gerne oft und viel schreiben kann aber nicht dazu kommen. schon 1000 mal habe ich das gute Wien in Grund und Boden hinein verwünscht. ich habe so viel zu thun; zu lauffen, und werde überlauffen daß ich gar nicht zu mir selbst komme, und gar nichts von Wien genieße, als viel Geld ausgeben. ich habe bis jezt kaum die Hälfte meiner Briefe abgeben können. Haas habe ich ein paar mal gesprochen, er hat mir aber nichts an dich aufgetragen da er selbst bald wieder zurükkehrt. übrigens bin ich noch nicht mit ihm ins Reine*. Wegen der Arie in die Vestalin werde ich mich erkundigen*.
Es ist einmal Zeit das C moll* sich nähert. Glük zu H: Bruder und zugelangt. das Urtheil über mein Concert hat mich herzlich lachen machen. Hauptmann grüßt dich und ist keines wegs für S‡pohrs Orchester engagirt da er Aussichten in Dresden hat, die freylich vor der Hand etwas getrübt sind. Papa grüßt dich 1000 mal, Er wollte zu diesem Brief ein paar Zeilen, auch wegen des Empfanges der 40 ƒ schreiben, du weißt aber daß man seiner nie habhaft werden kann, zumal hier. Er geht Morgen auf einige Zeit aufs Land. Der Stephansthurm hat sich sehr höflich bedankt als ich ihm das Compliment deiner Casa ausrichtete, und mir aufgetragen ihn ergebenst zu Füßen zu legen, welches ich aber nicht thue weil es mir sauer werden würde ihn wieder in die Höhe zu bringen, dagegen dich bitte, mich zu Füßen zu legen und aufs herzlichste zu empfehlen. Ich mag den Gedanken gar nicht denken daß ich dich bey meiner Zurükkunft nicht mehr in Prag treffen soll, und doch wird es so werden, wenn Eure Abreise bis d: 26t fixirt bleibt. d: 25t ist mein Concert, in dem die Harlas und Bärmann singen und pfeiffenT, und circa d: 2 oder 3t May gedenke ich hier abzureisen. Wenn es nur irgend möglich ist so mache daß ich dich noch treffe. Gratulire zur Vollendung der Overture* und freue mich sehr darauf sie zu hören. Es ist schön daß ich D moll treffe, so habe ich doch Jemand mit dem ich ordentlich von dir plaudern kann. mache ihn nur mit meinen Eigenheiten bekannt: und daß ich so griesgram aussehen und Einsylbig sein kann, wie ein fernes Donnerwetter. die 7 Worte* sind also nicht göttlich gegangen. thut mir leid. — ich gäbe was drum wenn ich bey dir sein könnte und so alle Tonarten, als F dur, C moll D minor pp moduliren helfen könnte. nimm dich nur vor den unaufgelösten Dißonanzen in acht*. Rhode ist hier und wird in einigen Tagen eintreffen in Prag. ich muß dir gestehen daß ich bis jezt gar nicht gerne hier bin, alle das Pakk an das ich empfohlen bin, bekümmert sich gar nicht um mich, und von vielen Visiten bin ich kein Freund das weißt du, ich bin nun begierig wie mein Concert ausfällt, der Tag war noch einer der besten den ich erwischen konnte. ich habe erst einmal in Gesellschaft gespielt und das zwar nur die Variat. mit Bärmann die freylich ihre Schuldigkeit thaten*, aber was ist das? du bist begierig auf mein Tagebuch? ach das fällt sehr mager aus und kann ich dir in 3 Worten beynah sagen was einen Tag wie den anderen geschieht. von 7 bis 11 Uhr geht es bey mir wie in einem Taubenschlage aus und ein dann fange ich an Visiten zu machen bis 2 Uhr dann geht’s zu Tisch bis 4 Uhr dann wieder Visiten und dann ins Theater, oder‡ Gesellschaft, oder nach Hause und geschrieben. ich finde beynahe alles unter meiner Erwartung die großen Lichter werden alle so klein wenn man sie in der Nähe sieht. Moscheles, Hummel, Kruft pp sind alles nur Sterne von braver aber gewöhnlicher Größe*. Gesehen und gehört habe ich bis jezt d: 4t Mayseders Concert, sehr brav läßt aber kalt*. d: 6t Titus die Harlas den Sextus, wie gewöhnlich trefflich. d: 8t David neue Oper von Liverati. ein Stiefelpuzzer Spontinis und gebohrner Posauniste. der erste Akt ziemlich gut, der 2t höchst ledern, übrigens sehr gefallen*. | d: 9t Papas OrgelConcert wobey Beer und ich Registrirten*. viel Göttliches, und manches was hätte wegbleiben können*. 300 bezahlte‡ zahlende Zuhörer a 3 ƒ der Beyfall, – so so – Er wird noch einige geben. ist übrigens noch ganz der Alte und H: Reiner auch. d: 10t sprach ich Palffy der mich ungemein artig aufnahm, und dem ich versprechen muste alles was ich für das Theater schreibe, ihm zuerst zu schikken. d: 12t die Jahreszeiten im Kärnthner Thor mit 200 Musiker*. doch ohne großen Effekt gegangen. d: 13t Bärmanns Geburtstag, wo deiner oft gedacht wurde. Beer und ich überraschten ihn, jeder mit seinem Quintett.* und wir speißten in Schönbrunn. Abends Clements Concert in der Leopoldstadt*. voll, und er spielte sehr brav. alte Schule, aber correct. d: 14t H: v: Mosel kennengelernt und seine Frau spielen hören. d: 15t endlich den Fürst Lobkowitz gesprochen. Heute endlich sind die 7 Worte in der Peterskirche*, und Abends bey Prof: Zizius das Stabat Mater von Pergolesi. die Freundinnen deiner verehrten Gräfin habe ich auch noch nicht gesprochen, es liegt ein wahrer Fluch auf mir, ich treffe niemals jemand zu Hause. ich habe 2 herrliche Instrumente gekauft eines von Streicher* und 1 von‡ Brodmann*. an Einem Tage* habe ich gewiß 50 verschiedene gesehen von Schanz, Walter, Wachtl p p p p p die alle nicht einen Schuß Pulver taugen im Vergleich von jenen. Mit Treitschke hab ich wegen deiner Oper gesprochen*, und er sagt er würde sie gleich geben, wenn er nur eine Möglichkeit einsähe sie gut zu besezzen, ohne welches sie keine Wirkung thun könne. Wegen Mitterdorfer hat es sich Bärmann notirt. eben so Vogler wegen Holzmann. Neulich hatte ich keinen kleinen Schrekk. denk dir ich erhalte durch Liebich per Einschluß einen Brief von E dur in L: offen, den die Frau Johanna in Gedanken weil er unter mehreren Briefen für ihren Mann ankam aufgemacht hatte. zum Glükk war er so daß ihn allenfalls jedermann lesen konnte, aber das war doch nur ein Zufall. der Schrekk will mir noch nicht aus den Gliedern. von Gottfried höre und sehe ich nichts. da er mir doch auf so wichtige Dinge zu antworten hatte. mit Beer stehe ich so scheinbar auf dem alten Fuß, aber das ganz reine Zutrauen will nicht wieder kommen, wozu auch noch 1000erley Ursachen kommen die zu schreiben zu weitläufig wären.
Warst du lange nicht bey Wenzels?* hast du mich wegen meines nicht Abschiednehmens entschuldigt und weist du nicht was C Dur* macht? die Redacteurs der Zeitungen liegen schon halb krepirt zu meinen Füßen, und ich hoffe da߇ troz meinem kurzen Aufenthalte hier doch vieles für mein Bekanntwerden in Oestreich geschehen wird. Von Politik kann ich dir nichts Neues schreiben, da ihr ohnedieß alles Näher habt als Wir. Victorine erwarte ich | Montag, die mir recht viel von dir erzählen soll.
Mit meinen Aquisitionen geht es langsam, da ich nicht viel Geld daran wenden kann, und die Leute hier zu viele Resourçen habenT. doch hoffe ich einiges zu fischen. Mit Verlegern werde ich wohl erst nach meinem Concerte Geschäfte machen könne. Es ist Schade daß ich dann so nach Hause eilen muß. die Harlas hat ihren Contract abermals auf ein Monat, bis Mitte May verlängert*.
Nun habe ich genug gekrazt und sehe nichts
mehr. lebe wohl, du‡ mein liebster treuster Bruder,
schreibe mir bald und viel wieder, grüße alle Bekannte aufs herzlichste, besonders auch
das Clamsche liebe Haus /:
die Gräfin Zapury habe ich nicht finden können :/ und behalte lieb deinen
unveränderlichen
Weber.
Wien d: 16t Aprill 1813.
Apparat
Zusammenfassung
berichtet über seine Tätigkeit in Wien, Kontakte, Theaterbesuche, Konzerte, Bemühungen um Zeitungen; Privates
Incipit
„Deine lieben Briefe vom 1t und 8t Aprill habe ich richtig“
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Wien (A), Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Bibliothek (A-Wgm)
Signatur: Weber an Gänsbacher 25Quellenbeschreibung
- 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
- am linken oberen Rand der Adressenseite Echtheitsbestätigung von F. W. Jähns (Tinte): Eigenhändig von C. M. v. Weber.
Dazugehörige Textwiedergaben
-
Nohl 1867, S. 222–225 (Nr. 24)
-
tV: MMW I, S. 412
Themenkommentare
Textkonstitution
-
„S“„s“ überschrieben mit „S“
-
„oder“„und“ überschrieben mit „oder“
-
„bezahlte“durchgestrichen
-
„1 von“über der Zeile hinzugefügt
-
„daß“„das“ überschrieben mit „daß“
-
„du“„und“ überschrieben mit „du“
Einzelstellenerläuterung
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„… nicht mit ihm ins Reine“Zu den Auseinandersetzungen um die Drucklegung der Lieder op. 30 und der Duette op. 31 vgl. u. a. die Tagebuchnotiz vom 13. Mai 1814 den Brief von Haas an Weber vom 19. Januar 1815.
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„… einmal Zeit das C moll“Wahrscheinlich ist hier (ebenso wie mit dem „C Dur“ weiter unten) Caroline Clam-Gallas gemeint; die Unterscheidung Dur/Moll könnte sich auf deren Stimmungslage beziehen. Die Personen-Chiffre „C dur“ verwendet Weber auch im Tagebuch.
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„… Gratulire zur Vollendung der Overture“Möglicherweise die Ouvertüre der Schauspielmusik zu Kotzebues Kreuzfahrern. An einem Chor zum Schauspiel hatte Gänsbacher bereits 1810 gearbeitet (vgl. Webers Brief an Gänsbacher vom 9. Oktober 1810), zur Uraufführung kam die komplette Musik allerdings erst am 19. April 1813 (vgl. den Bericht im Sammler vom 13. Mai 1813).
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„… den unaufgelösten Dißonanzen in acht“Anspielung auf den Umgang mit Gräfin Firmian (F-Dur), Gräfin Caroline Clam-Gallas (c-Moll) und Gräfin Desfours (d-Moll).
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„… die freylich ihre Schuldigkeit thaten“Vgl. die Tagebuchnotizen vom 11. April 1813.
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„… sehr brav läßt aber kalt“Vgl. u. a. Wiener allgemeine musikalische Zeitung, Nr. 15 (10. April 1813), Sp. 226f.
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„… höchst ledern, übrigens sehr gefallen“Die Vorstellungen am 6. und 8. April fanden in der Hofoper (Kärntnertortheater) statt. Zum David vgl. u. a. Wiener allgemeine musikalische Zeitung, Nr. 16 (17. April 1813), Sp. 245–248 und Nr. 17 (24. April 1813), Sp. 249f., Theater-Zeitung, Wien, Jg. 6, Nr. 43 (10. April 1813), S. 169f., Der Sammler, Jg. 5, Nr. 58 (11. April 1813), S. 232 sowie AmZ, Jg. 15, Nr. 18 (5. Mai 1813), Sp. 301.
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„… wobey Beer und ich Registrirten“Zum Concert spirituel in der evangelischen Kirche vgl. u. a. Wiener allgemeine musikalische Zeitung, Nr. 16 (17. April 1813), Sp. 239–241 sowie AmZ, Jg. 15, Nr. 18 (5. Mai 1813), Sp. 301 und Nr. 24 (16. Juni 1813), Sp. 398f.
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„… manches was hätte wegbleiben können“Zur Programmfolge vgl. den Kommentar zum Tagebucheintrag vom 9. April 1813.
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„… Kärnthner Thor mit 200 Musiker“Zu den Aufführungen des Oratoriums unter der Leitung von A. Salieri am 11. und 12. April 1813, organisiert von der „musik. Societät zum Besten ihrer Wittwen u. Waisen“, vgl. AmZ, Jg. 15, Nr. 24 (16. Juni 1813), Sp. 400.
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„… Clements Concert in der Leopoldstadt“Vgl. u. a. Wiener allgemeine musikalische Zeitung, Nr. 17 (24. April 1813), Sp. 255f.
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„… 7 Worte in der Peterskirche“Vgl. u. a. Wiener allgemeine musikalische Zeitung, Nr. 17 (24. April 1813), Sp. 262–264.
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„… Instrumente gekauft eines von Streicher“Laut Tagebuch am 9. April 1813. Dieses Klavier erwarb Weber laut Tagebuchnotiz vom 10. Mai 1813 für den Prager Kaufmann Johann Pfanner.
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„… ich wegen deiner Oper gesprochen“Das Treffen mit Treitschke ist im Tagebuch nicht festgehalten.
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„… lange nicht bey Wenzels ?“Möglicherweise die Familie des Prager Musikers Johann Wenzel.
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„… du nicht was C Dur“Zur Bedeutung vgl. den Kommentar zu „C moll“ weiter oben.
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„… Monat, bis Mitte May verlängert“Helena Harlas sang am Kärntnertortheater in Wien vom 20. Februar bis 21. Mai 1818. Zu den Rollen, der Vertragsverlängerung, dem Honorar und den Pressestimmen vgl. Weber-Studien 8, S. 357–360.