Carl Maria von Weber an Caroline von Weber in Dresden
Wien, Samstag, 4. Oktober 1823 (Nr. 8)

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An die hochwohlgebohrne

Freyfrau Carolina von Weber.

zu

Dresden

Erst heute hatte ich auf einen Brief von dir gehofft, und wurde daher freudigst Gestern Abend vor dem Theater mit deinem lieben No. 4 vom 28t überrascht. Du böse böse Weibe, wie kannst du sagen, du glaubtest, du dürfest nicht öfter schreiben, wegen des Porto. Seit wann bin ich denn so ein Geizhammel daß ich mir selbst meine besten Freuden verkümmern sollte. das sind aber nur Ausreden Madam, Sie sind zu faul, und haben auch immer nach ihrem Bedünken nicht Materialien genug. Mir ist aber das kleinste was in meinem Hause vorgeht, und dich und Max betrifft, wichtig, und vergegenwärtiget mir Euch. Du hast aber eine böse Tageszeit gewählt zum schreiben, gerade entgegengesezt von meiner, ich bringe dir den ersten Morgengruß, und Du sagst mir immer gute Nacht, und stiehlst dir so die nothwendige Ruhe ab.      Bald wird nun auch der Postengang aufhören, und wir auf die 2 Tage beschränkt sein, zu einer Zeit wo ich Dir gerne täglich Nachricht geben möchte. bitte dich ums Himmelswillen ängstige dich nur nicht. Vorgestern, d: 2t aß ich bei Griesinger, der mir sagte daß Böttger und Piatti sich schon nach mir erkundiget hätten. dann machte ich Besuche, und hörte den ersten Akt von Tancred wo die Grünbaum sehr schön sang*, und das Publikum es auch anerkannte. Freilich ist sie keine Fodor.      Die Waldmüller sang den Tancred, ich hörte sie da zum 1t male. Die Stimme ist noch immer schön; aber sie singt schlecht.      dann fuhr ich noch zu Blahetka, wo Musik gemacht wurde, und Mayseder sehr schön spielte*.

Sie geben jezt immer vor dem Ballet einen Akt von einer Oper; das ist eine saubere Einrichtung, um vollends das Publikum von der Anschauung eines Ganzen abzuziehen.

Gestern früh, mußte ich gar fleißig sein, und konnte nicht dazu kommen mit dir zu pabsen. Dafür habe ich 32 Seiten am Kl: Ausz: von 6 bis 2 Uhr gemacht.      das ist jezt so meine Tages Eintheilung: bis 2 Uhr arbeiten, dann Eßen, dann Visiten und Theater. — Mittag war ich im Schwan, dann Besuche*, und Abends Riottes neue Oper Euphemie von Avogara.      Ein herrlicher Stoff, voll der schönsten Situationen, die aber weder vom Dichter noch Componisten gehörig benuzt sind.      Das Publikum ergriff alles mit Wärme, was es nur einigermaßen verdiente, die Sache wurde aber immer kälter und kälter, und gieng sehr matt aus.      Die Aufführung war gut, ein paar kleine Unglüksfälle abgerechnet die allerdings sehr störend waren, So schlug Z: B: Jägern die Stimme um als er eben recht tüchtig loslegen | wollte, und Zeltner kam bei einem raschen Abgang an eine verschloßne Thür, durch die er vergeblich aufzustoßen suchte.      Die Musik ist matt, zerstükkelt und Genie- wenn gleich nicht Verdienst-los*. da brauchts andere Kraft jezt, um zu wirken. Gott gebe daß sie mir verliehen sei.      Heute habe ich die erste Probe. und der Himmel gebe seinen Seegen.

Jezt noch zu Deinem Briefel und dann zur Arbeit.

Also die arme Mäzze ist mager geworden? und meine geliebte Lina hat ihm Nächte opfern müßen. siehst du Falsche, so etwas erfahre ich immer erst lange hinterher. fahre nur fort fleißig spazieren zu gehen. Wie führen sich denn die Mädels auf? Es ist auf jeden Fall sehr gut, liebe Mukkin, daß sich meine Oper hinausschiebt, damit die ital: etwas aus den Ohren komt*. dann brauchte ich mich auch nicht so zu hezzen, als wenn ich alle Besuche, Arbeiten und Proben zugleich hätte machen müßen. nun geht die Sache ruhig hintereinander fort, und zu Ende dieses Monats wird sie wohl in Szene gehn.

Ich freue mich herzlich über Morlacchis freundliches Benehmen*. ich bitte dich laß ihm bestens in meinem Namen danken. Gottlob, daß die Sachen so stehen, es ist eine große Beruhigung für mich.

Ich zwikke mich gar nicht, mein geliebtes Leben, wie meine Briefe sind bin ich auch. ruhig das meinige thuend, und in Ergebung den Erfolg abwartend, weder zuversichtlich, noch muthlos. Mögtest du doch auch so sein können, welch ein Glük für uns beide.

Nun muß ich schließen, nach der Probe noch zwei Worte und dann marsch auf die Post, damit die Mukkin alle 3t Tag Nachricht hatt. Gott segne Euch, meine Innigst geliebten. Ich umarme dich mit größter Liebe und Sehnsucht in Gedanken. + + + und buße meine gute Mäzze als treuer Vater, und gebe ihm hier was zu singen. — Er liest wohl auch meine Briefe?
Notenzeile [im Kußsymbol:] Millionen
Bußen.
Ewig Dein
Carl. |

Meine Probe dauerte bis ½ 4 Uhr, ohne daß jemand daran dachte*. Die Sänger* sind außer sich vor Entzükken, ich selbst war durch Ihre Theilnahme ergriffen und gerührt. ich zweifle nicht, daß Gott mein ehrliches Streben, segnen wird.

Ewig Dein C.

Apparat

Zusammenfassung

über Briefeschreiben; über Visiten und Besuch des Tancred; hat eifrig am Klavierauszug gearbeitet; über Riottes Euphemia; stellt die Verzögerung seiner Oper als positiv hin, da dann die ital. Oper „etwas aus den Ohren“ käme; bittet, Morlacchi für sein freundliches Benehmen zu danken

Incipit

Erst heute hatte ich auf einen Brief von dir

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Weberiana Cl. II A a 3, 12

    Quellenbeschreibung

    • 2 Bl. (4 b. S. einschl. Adr.), urspr. 1 DBl., zerschnitten
    • Siegelrest u. -loch
    • PSt: WIEN
    • Echtheitsbestätigung am unteren Rand von Bl. 2r von F. W. Jähns: „Original-Handschrift von C. M. v. Weber. Über eine General-Probe der Euryanthe in Wien 4. Oct. 1823. An seine Gattin. Nachschrift der No 8. 1823.“

    Provenienz

    • Bl. 1 bis 1986 im Weber-Familiennachlass, Bl. 2 (Nachschrift u. Adresse) aus der Sammlung Weberiana von F. W. Jähns; 1985/86 beide Teile wieder zusammengeführt unter der Signatur: Weberiana Cl.II A a 3, 12
    • Bl. 2 vermutlich zu jenen 60 Weber-Briefen gehörig, die Max Maria von Weber Anfang 1854 an Friedrich Wilhelm Jähns verkaufte; vgl. Max Jähns, Friedrich Wilhelm Jähns und Max Jähns. Ein Familiengemälde für die Freunde, hg. von Karl Koetschau, Dresden 1906, S. 403

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Reisebriefe, S. 31–33 (Nachschrift fehlt)
    • ED: tV.MMW II, S. 491 (nur kurzes Zitat); S. 501 (Zitat und Notenzeile)

Textkonstitution

  • „durch“durchgestrichen

Einzelstellenerläuterung

  • „… die Grünbaum sehr schön sang“An diesem Abend wurde in der Hofoper (Kärntnertortheater) lediglich der I. Akt von Tancred gegeben (der II. Akt am 5. Oktober), gekoppelt mit dem Ballett Die Amazonen, das Weber bereits am 9. Oktober 1823 gesehen hatte (vgl. Tagebuch). Th. Grünbaum sang im Tancred die Amenaide.
  • „… und Mayseder sehr schön spielte“Laut Tagebuch war auch L. de Saint-Lubin an den musikalischen Darbietungen beteiligt.
  • „… im Schwan , dann Besuche“Laut Tagebuch besuchte Weber gemeinsam mit C. Schwarz dessen Schauspielerkollegen H. Anschütz.
  • „… Genie- wenn gleich nicht Verdienst-los“Die Uraufführung an der Hofoper (Kärntnertortheater) war ein Misserfolg; das Werk wurde nach der dritten Vorstellung (15. Oktober 1823) abgesetzt. Vgl. u. a. die Premierenkritik in: Allgemeine Theaterzeitung und Unterhaltungsblatt für Freunde der Kunst, Literatur und des geselligen Lebens, Jg. 16, Nr. 124 (16. Oktober 1823), S. 495. Jäger sang den Herzog von Nemour, Zeltner den Grafen von Avogara, daneben waren besetzt: BayardForti, AllegreRauscher, EuphemieSontag, BeatriceBondra, AltomuroWeinkopf und GreisWeinmüller.
  • „… etwas aus den Ohren komt“Die italienische stagione an der Wiener Hofoper war am 28. September 1823 beendet worden.
  • „… herzlich über Morlacchis freundliches Benehmen“Über Morlacchis umsichtige Vertretung Webers im deutschen Hoftheater-Departement äußerte sich Weber auch im Brief an seinen Vorgesetzten Könneritz vom 14. Oktober 1823 sehr positiv.
  • „… ohne daß jemand daran dachte“Laut Tagebuch dauerte die Probe, auf der Weber die gesamte Oper vorlas, bis nach 15.00 Uhr.
  • „… daran dachte . Die Sänger“Zur Premierenbesetzung der Euryanthe vgl. u. a. den Bericht in der Wiener Allgemeinen musikalischen Zeitung vom 1. November 1823.

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