Hinrich Lichtenstein: Erinnerungen an C. M. von Weber
Nach einer flüchtigen Bekanntschaft, die ich im J. 1808 mit Carl Maria von Weber in Weimar gemacht hatte*, sah ich ihn im Mai 1812 in Berlin wieder. Er hatte meinem alten Universitäts-Freund Flemming einen Brief überbracht, dieser ihn auf die Sing-Akademie geführt* und nach Beendigung des Gesanges machten wir einen Spatziergang, auf welchem Weber sich über unsre Gesellschaft, und ihre wahre Bestimmung, sowie über die Kunst überhaupt auf so eine liebenswürdige und anziehende Weise ausließ, daß wir uns beim Zuhausegehn nicht von ihm scheiden mochten, sondern bis spät in die Nacht mit ihm bei‡auf‡ Flemmings Zimmer* beisammenblieben. Wir sahn uns dann oft, auch die andern musicalischen Freunde Kielmann, Wollank, Rungenhagen, beide Hellwig und Grell schlossen sich an. Die gastlichen Häuser Jordan-Friedel, Pierre Jordan u. Gabain boten dem belebten Kreise öftere Vereinigungs-Puncte. Viele schöne Sommer-Abende wurden in Pankow bei den beiden ersten und bei Kielmann, sowie in Schönhausen in dem liebenswürdigen Familienkreise der Brose verlebt und durch Musik verschönert. Weber war Meister auf der Guitarre wie auf dem Flügel. Seine damals noch wenig bekannten Lieder, von ihm selbst mit schwacher aber ungemein wohlklingender Stimme begleitet gesungen‡ in unnachahmlichem Ausdruck vorgetragen und mit höchster Virtuosität auf der Guitarre begleitet sind das Vollendetste, was vielleicht je in dieser Gattung geleistet | worden und gewannen ihm Aller Herzen. Hatte er damit im Freien die um den Theetisch versammelte Gesellschaft schon in ungewöhnlichen Schwung gebracht, so ging es an den Flügel, wo er mit dem zu allen Leistungen gerüsteten Verein von den eben daliegenden Meisterwerken der Kunst das erste beste vornahm und durch seine Gewalt über alle Mittel, jede Kraft zu ungewöhnlichem Erfolg zu befeuern verstand, daß Jeder meinte, so sei es noch nie gelungen und jetzt erst gehe ihm ein Verständniß des Werks aufgegangen‡. Bald, um den Sängern Ruhe zu gönnen, ließ er dann von seinen eignen Klavier-Stücken hören, unter welchen die damals noch nicht gedruckte Große Sonate in C dur das beliebteste war. Er wußte nach eigner Laune und nach der Stimmung der Gesellschaft in dieses so oft wiederholte Stück soviel Abwechslung und Mannichfaltigkeit zu legen, daß es immer eine gewisse Neuheit behielt und daß sich dem Hörer, je öfter er es vernahm, nur desto mehr die in der Tiefe der Intention liegenden Schönheiten offenbarten. Hatte ihn nachher irgend ein Gesangstück in vorzügliche Begeisterung gesetzt, so pflegte er unaufgefordert, wie wenn er nur in einem längeren Nachspiel die Schönheit eines musicalischen Gedankens festhalten und verfolgen wollte, sich in freier Phantasie über ihn zu ergehn und leistete dann, völlig Herr des Instruments durch keine Schwierigkeit der Ausführung in dem kühnsten | Flug gestört und stets von dem klarsten Bewußtsein der Regel geleitet das Außerordentlichste, was die Kunst der Klavierspieler bis dahin zu‡ hervorzubringen vermochte.
Den höchsten Triumph dieser Art errang er eines Abends bei Jordan-Friedel in Pankow*; nachdem das bekannte vortrefliche dreistimmige Lied von Haydn: „Der Jüngling hofft des Greises Ziel“* gesungen war, fuhr er, wie tief ergriffen von der Wahrheit des dichterischen Gedankens und unter öfterer Wiederholung‡wiederholtem Ausrufen‡ der Schlußworte: „Und keiner nimmt den Irrthum wahr“ — in leichter Modulation des Themas fort, aus dem sich bald eine auf das Kunstreichste durchgeführte dreistimmige Fuge entwickelte die, von den Kennern mit häufigen Ausrufungen gesteigerter Bewunderung begleitet, für den unbefangen genießenden Sinn in ruhiger Klarheit, dahinfloß, und sich wiegend‡ auf den Wellen des Tactes dahinfloß,‡ den Character des zum Grunde liegenden Gedichts, trotz der verwegensten Wendungen, Umkehrungen und rythmischen Verschiebungen immer festhielt‡. Kaum hatte je die muthwillige Keckheit in den glänzendsten Passagen und das Feuer im Fortschreiten vollgriffiger Accorde, womit Weber sich den Beifall sonst zu steigern verstand, eine solche Wirkung hervorgebracht, als dieses fast eintönig dahinfließende Fugenlied. G. A. Schneiders damalige übungslustige Schüler sanken vor W. auf die Knie, Andre umarmten seine Schultern, Alles drängte sich um ihn, statt des Blumenkranzes war sein Haupt von einem Kreise freundlicher, glücklicher Gesichter wie gekrönt und die feierlich wehmütige Stimmung, in die ihn dieser Beifall versetzte, klang bis spät in die Nacht in den tiefsten und ernstesten Weisen nach, die ich je von ihm habe hervorbringen hören. |
Sein Fantasiren in solcher Stimmung unterschied sich sehr von allen ähnlichen Kunstleistungen selbst größerer d. h. fertigerer Klavierspieler wie Hummel und Kalkbrenner, bei denen auch wenn sie es noch so wenig meinen, doch immer ein Streben zu gefallen durchblickt. Bei Weber aber war es, als ob er in diesen Augenblicken erst das Organ finde, seine innersten Empfindungen vertrauten Freunden zu enthüllen und als ob sein ganzes Wesen damit beschäftigt wäre, sich ihnen verständlich zu machen. Auch Lauska dessen gemüthliches Spiel‡ höchst correctes und zierliches Spiel noch so Vielen unter uns unvergeßlich vorschwebt, mußte doch darin dem jüngeren Meister weichen, daß sein freier Vortrag, wiewohl ungemein fließend und natürlich, doch immer mehr das Gepräge einer vorbereiteten und durchdachten Arbeit als einer wirklichen unmittelbaren Eingebung hatte und der großen‡ Mannichfaltigkeit der Erfindung entbehrte, die Weber in so hohem Grade besaß. Doch gelang es ihm nicht immer damit. Wenige Tage nach jenem glücklichen Abend befanden wir uns beim Fürsten Radziwill; Weber war durch irgend etwas gereizt oder verletzt und als er sich zu einer freien Fantasie über ein unmittelbar vorher gegebenes, freilich sehr unglücklich von einer vornehmen ganz unmusicalischen Person gewähltes Thema niedersetzte, gelang es ihm so wenig die gespannte Erwartung der Hörer zu befriedigen, daß diese bald aufstanden sich im Nebenzimmer zu unterhalten, worauf denn Weber schnell abbrach, seinen Hut nahm und etwas ungehalten (am mehrsten auf sich selbst) davonging*.
Am liebenswürdigsten erschien W. jederzeit in dem engsten Kreis, den Flemming, Wollank und ich um ihn schlossen. Das Dietrichsche Speisehaus, öfter noch eine Restauration unter den Linden (N. 72)* vereinigte uns jeden Abend, den W., von allen Seiten mit Einladungen bestürmt, sich frei erringen konnte. Hier erklang zwar | keine Musik, sie war aber der Gegenstand aller Gespräche, bald in launigen Erzählungen musicalischer Anekdoten, von welchen Weber einen unerschöpflichen Schatz besaß, vorzüglich wenn es galt, die Verkehrtheit des Dilettantenwesens, der Ziererei und Afterkunst aufzudecken, bald in ernsthafter Erörterung des Kunstmechanismus, der Geheimnisse der Composition und der Geheimnißkrämerei vornehmer Componisten, die doch keine wahren Kunstwerke hervorzubringen wüßten, wie Kirnberger u. A. Die ganze Theorie dieser Herrn sei aus der Erfahrung abstrahirt, also keine wahre Theorie; die habe die Physik zu geben, die Physiker aber seien zu wenig Physiologen und Psychologen, am wenigsten seien unter ihnen Musiker zu finden. So habe sich der Componist an die Natur und an die unverkennbare Gestalt des Schönen zu halten und werde dann alle Regeln, die ihm als tiefsinnige Weisheit gelehrt worden, leicht und natürlich befolgen, ohne der mathematischen Formel für sie zu bedürfen. u. s. w. — Es war gewöhnllich spät in der Nacht, wenn wir schieden, oft folgte noch ein Spatziergang; wer am meisten nach dem Lager verlangte, ward vor seine Thür geleitet. Eines Abends sahen wir in den Zimmern der Voitus noch Licht. Weber schlug vor, ihr einige Accorde zu singen bestimmte den Tact und den Folge‡ Gang der Modulation und wir erfuhren, daß die stille Nacht den gedämpften Gesang wie fernen Hörnerklang den Ohren der Sängerin zugetragen. Seitdem ward es Gebrauch, dergleichen Ständchen zu bringen, wir erlangten darin eine ordentliche Uebung und konnten bald auf Webers Kommando die schwersten Uebergänge wagen. Der Versuch gefiel, ward vor fröhlichen TischGesellschaften aus einiger Ferne wiederholt, durch doppelte Besetzung verstärkt, und gab dann Veranlassung eine Solostimme über den Accorden anzubringen, Lieder mit Brummstimmen zu schreiben und schon bekannten eine ähnliche Begleitung anzupassen, die, indem‡weil‡ sie vollen und weichen Tenorstimmen, wie Grell sie hatte, sehr zusagte, damals sehr in Gebrauch kam. |
Webers Hauptzweck in Berlin war die Aufführung seiner Oper Silvana. Righini hatte die Partitur gleich nach W’s Ankunft erhalten* und konnte sie nach seiner Art nicht anders als ungünstig beurtheilen, so daß Iffland Schwierigkeiten machen mußte. Gern und Eunike wurden indessen in kleinen Proben von dem Werth der Arbeit überzeugt, dann ward Gürrlich zugezogen, der sich der Sache lebhaft annahm und, da Righini ohnehin nach Italien abreiste, das Einstudiren und die Direction bei der Aufführung übernahm*. Die erste Vorstellung fand am 10t Jul. Statt und der Erfolg war bekanntlich erwünscht, obgleich einige dem italienischen Styl besonders geneigte Kunstkenner, die zum Theil noch am Leben sind, die Musik für verwerflich erklärten und meinten, Weber werde nie etwas Erträgliches zu Stande bringen. Niemand konnte damals auch denken, daß das, was Einem damals so fremd und zuweilen gar hart klang, in weniger als 15 Jahren auf den Straßen gesungen werden und in allen Ohren anklingen werde. Daß die Oper damals nicht noch mehr Glück machte, lag aber nicht allein an dieser Neuheit, noch an der Mittelmäßigkeit des Textes, sondern an der zu geringen Theater-Erfahrung des Componisten die ihn das rechte Maaß der Stücke und die Oeconomie in den‡ seiner‡ Mitteln‡ verfehlen ließ. Am Klavier machte sie durchaus denselben Eindruck wie nachmals der Freischütz, die Orchestre Begleitung störte dort zuweilen‡ die Wirkung ebensosehr, als sie Ihn‡ sie hier steigerte. Da wir sie vor und nach der Aufführung viel unter seiner eignen Leitung am Klavier‡ üben hörten, so hatten wir freilich eine sehr hohe Meinung von ihrem Werth, hörten uns ganz in die eigenthümlichen Weisen, in die langen Vorhalte u. dgl. hinein und waren leicht ungehalten, wenn uns Einer die Freude daran verderben und sie uns herabsetzen wollte. Besonders war Kielmann mit Leidenschaft für diese Musik eingenommen und sein Widerwille gegen Zelter ist‡ vermehrte sich noch, nach einem Streit, den sie über die Silvana führten. |
Ueberhaupt wollte es Webern mit den berühmten‡ Meistern Berlins nicht recht glücken, sie nahmen ihn meist für zu unbedeutend und er trat ihrem Kathederton mit ziemlichem Selbstvertraun und leicht gereizt entgegen. Am wenigsten günstig waren ihm Bernh. Ans. Weber und Zelter, beiden‡ wie es scheint zunächst wegen seiner persönlichen Erscheinung, deren scheinbare Schwächlichkeit zu sehr gegen ihre eigne Kraft abstach und der sie also um so weniger verziehn, daß sie auch für kräftig gelten wollte. Es sind von mir und Andern viele Versuche zur Verständigung gemacht worden, die aber Alle fehlschlugen. Die gegenseitige Abneigung hat in Allen bis zum Tode bestanden und‡ obgleich sie nie irgend eine Verletzung des Anstandes und der geselligen Verhältnisse herbeigeführt hat, so habe ich doch auch nie gehört daß Einer von ihnen den Werken des Andern hätte Gerechtigkeit widerfahren lassen. So wußte z. B. Zelter von Webers Freischütz nichts Andres zu rühmen als daß die Höllenscene mit ziemlichem Geschmack componirt sei und vom Oberon sagte er, das Beste darin sei der schöne Marsch in der vorletzten Scene. Sein Briefwechsel mit Goethe wird noch mehr darüber sagen; Weber klagte oft, von Göthe stets kalt empfangen zu werden und schrieb dies Zeltern zu. Doch, wie gesagt, ward die Form nie verletzt und bei dem Fest, das ich nach der ersten Aufführung der Euryanthe den Freunden Webers veranstaltet hatte, führte auf meine Bitte Zelter den Vorsitz.
Der Aufenthalt in Berlin wirkte sehr wohlthätig auf Weber, ja er war‡ brachte‡ die Entscheidung seines Lebens‡ Ziels. Früher in Jugend-Thorheiten befangen, nicht ganz frei von Geldverlegenheiten, brachte ihn das Gelingen seiner Oper, der innig ergebne Freundeskreis und Herrn Schlesingers wohlberechnete Pränumeration auf mehrere große Werke mit einemmal in ein gewisses Gleichgewicht mit sich selbst und zu dem Entschluß, sich ein festes Bestehn zu gründen. Von Wien, Prag und Frankfurt a/M lang‡lie‡f‡en Anträge ein, der Herzog von Gotha, seit | lange sein eifriger Gönner, lud ihn dringend zu sich ein und W. beschloß, dort die weitere Entwickelung seines Geschickes abzuwarten. Zu‡ Ende Augusts 1812 verließ er Berlin*. Einige Tage vorher, (am 19t) ward ihm ein Abschiedsfest veranstaltet*. Es war im Hause des Justiz-Commissarius Hellwig (Brüderstraße 16)*. Die Familien Gern, Schröckh, Gubitz, die‡ Fräulein Koch und Aug. Sebald, (Amalie war verreist) Kielmann, Flemming Wollank, Grell, Rungenhagen, L Hellwig und Müller* waren gegenwärtig. Das ganze Vorhaben war dem scheidenden Freunde verheimlicht, zu einem Spatziergange glaubte er sich geladen und ward zu seiner‡ Ueberraschung empfangen‡ mit dem Chor: Singt dem großen Bassa Lieder / Singet unserm Weber Lieder aus der Entführung. Eine Menge alter und neuer (von Wollank und Rungenhagen dazu componirter) Stücke folgten. Er selbst gab Eignes z. B. zum erstenmal den Entwurf der großen Sonate in As*, und mußte Vieles schon gehörte auf Begehren zum Besten geben und gab’s mit besonderem Gelingen. Ein ungewöhnlich glänzendes Mahl, zu welchem jeder seine Schüssel oder von seinem Wein geliefert, winkte dann der Gesellschaft. Beim Nachtisch sollten die eigentlichen Witze des Tages folgen. Mir war der Auftrag geworden, eine kleine scherzhafte Abschiedsrede zu halten. Wir hatten immer schon Webers Namen und daß auch ein zweiter Componist, ja noch ein dritter (der Theoretiker Gottfried W.) ihn führe, auf die bekannte Kombination der Dorfmusik mit der Leinweberzunft gedeutet und so mußte dieser Gedanke den Spaß zu der Abschiedsrede hergeben, die aber nach meiner Art mehr gemüthlich als scherzhaft ausgefallen war, vielleicht aber eben darum und weil man etwas Andres erwartet hatte gut aufgenommen wurde, auch‡ da sie so offenbar zu der Stimmung der Gesellschaft gut‡ besser‡ paßte. | Weber selbst zeigte sich am meisten davon ergriffen und wehmüthig, wie wir ihn noch nicht gesehn. Nachdem er mich umarmt hatte, setzte er sich nicht wieder an den Tisch sondern an das Klavier und sang nach einem längeren Vorspiel ein schönes Lied‡ ein wenige Tage vorher componirtes Lied*, das den Dank für Freundschaft, das Verheißen treuer Anhänglichkeit ausdrückte und allgemeine Rührung hervorbrachte, eine tiefere als eigentlich dies Fest haben sollte. Darum war es erwünscht, daß auch ein Scherz zur Hand war, den Kielmann gedichtet und componirt hatte und den ich hier samt der Abschiedsrede beiheften lasse*. Dieses vortreflich gelungene Musikstück erhielt sich bis zu Webers Tode in unserm Kreise lebendig und ward jedesmal ausgeführt, wenn an‡ Webers Andenken durch irgend eine Veranlassung, seinen Geburtstag, eine neue Oper, eine 50ste Vorstellung u. s. w. auf ungewöhnliche Weise hervorgerufen ward. Um das: Prosit Weber beim Anfange des Chors zu verstehn, muß man wissen, daß unter den vielen Scherzen, die Weber in fröhlicher Gesellschaft auf die Bahn zu bringen pflegte, auch der war, daß Jeder einen hellen oder spitzen Buchstaben des Alphabets erwählte und auf ein verabredetes | Taktir-Zeichen nach Webers Direction diesen Buchstaben gleichzeitig mit allen Uebrigen laut aussprach, was denn den Schall eines lauten Niesens abgab. Dieses Niesen war hier angebracht und darauf fiel der Chor ein: Prost Weber!
Mit diesem Abend erhielt das Verhältniß, das zwischen uns bestand eine höhere Weihe und steigerte sich zu einer innigen und ewigen Freundschaft, von welcher die sämtlichen hier gesammelten Briefe Zeugniß geben. Öfteres Wiedersehn erhielt den Briefwechsel lebendig. Schon im Sommer 1814 kehrte Weber nach Berlin zurück, um seine Cantate: Kampf und Sieg und die Körnerschen Lieder aufzuführen*, 1815 wenige Tage* mit seiner Ode an die Gottheit*. Jenes erstemal wohnte er bei mir, so auch als er 1817 von Prag abgegangen war* und in ruhiger Muße einige größere Arbeiten fertig machen wollte. Ich war schon verheirathet, er selbst im Begriff, diesem Beispiel zu folgen; Carolina Brand kam im Nov. einige Wochen nach ihm in Berlin an*, seine feierliche Verlobung wurde im engen Freundes-Kreise bei uns gefeiert*. Sie kehrte bis Ostern nach Prag zurück*, er brachte von hier aus seine Unterhandlungen mit Dresden zu Stande, verließ uns im Frühling 1818* und führte sie bald darauf heim*. Die Hoffnung, die im Sommer 1817 ihrer Erfüllung nahe war, ihn nach dem Wunsch des Grafen Brühl als Bernh. Ans. Webers Nachfolger bei der hiesigen Oper angestellt zu sehnT, vereitelte der Brand des Schauspielhauses und die Concurrenz mit B. Romberg, dem er nicht im Wege stehn wollte. Die Aufführung des Freischütz rief ihn, zu seinem größten Triumph 1821 nach Berlin, im Herbst desselben Jahres brachte ich 3 Wochen bei ihm in Dresden zu*. Dann kam er zum | letzten Mal im December 1825 hieher, um nach den merkwürdigen, zwei Jahre lang fortgesetzten Unterhandlungen über die Euryanthe, (die hier ziemlich vollständig vorhanden sind,) diese Oper hier auch‡ unter eigner Leitung auf die Bühne zu bringen. Seine Gesundheit war schon in hohem Grade geschwächt, sein baldiger Tod nicht mehr zweifelhaft. Mir allein spielte er noch die fast vollendete Partitur des Oberon und erklärte mir seine ganze Intention im Detail. Auch die Partitur der komischen Oper: Die drei Pinto’s zeigte er mir fast vollendet. Sie ist in England verloren gegangen. Wenige‡Ein Heft‡ Brouillons von einzelnen Stücken ist Alles, was sich von diesem merkwürdigen Werk hat wieder auffinden lassen, die Hoffnung aber nicht verloren, sie‡ es‡ noch dereinst in‡aus‡ dem Nachlaß eines reichen Curiositäten- und Handschriften-Sammlers in London wieder auferstehn zu sehn*.
Die Briefe, die er mir geschrieben hat, sind hier lange nicht vollständig vorhanden, manche sind zufällig verloren gegangen, einige nach seinem Tode an Verehrer verschenkt, die seine Handschrift zu besitzen wünschten, andre von Freunden, denen ich die Sammlung geliehen, behalten, noch andre absichtlich vernichtet. Aber genug ist noch übrig, um von dem edlen Sinne des Mannes vollständiges‡ Zeugniß abzulegen, über einige seiner wichtigsten Lebens-Perioden Aufschluß zu geben und meinen Kindern das Andenken an den liebsten Freund ihres Vaters zu erhalten. Das Leben ist nicht arm, dem auch nur ein solches Verhältnis beschieden gewesen. Berlin im Jun. 1833.
[Originale Fußnoten]
- *Die Worte des Liedes waren von ihm selbst und drückten manche‡einige‡ in seinem damaligen Gemüthszustand noch liegende Reste von Bitterkeit und Mismuth mit aus. Er wollte das Lied nie hergeben, sosehr wir ihn baten, hat aber später in dem Tiekschen Liede: Meine‡„Sind es‡ Schmerzen, „meine‡sind es‡ Freuden[“] einen Text gefunden, der ganz zu dem Character seiner Musik paßte, so da߇und‡ sich diese‡ mit einigen Abänderungen ihr unterlegen ließ. So ist es in dem reichen Liederheft Op. 30, 1815 mit herausgekommen*. Einige unsrer Freunde behaupten, die Musik gehöre urstränglich dem Tiekschen Liede an und Weber habe nur für jenen Abend sich die Worte geändert, was sich auch hören läßt*.
Apparat
Generalvermerk
Lichtensteins Erinnerungen sind sieben Jahre nach Webers Tod, über zwanzig Jahre nach den ersten intensiveren Kontakten niedergeschrieben und enthalten daher etliche Fehler im Detail. So dürfte die erste Begegnung in Weimar wohl nicht im Jahr 1808 stattgefunden haben, und auch die erste Kontaktaufnahme in Berlin (im Anschluss an eine Zusammenkunft der Singakademie, am späteren Abend im Hause Flemming) lässt sich in der geschilderten Form nicht mit Webers Tagebuchnotizen in Einklang bringen. Möglicherweise verschmolz Lichtenstein verschiedene Erinnerungssplitter zu einem nicht gänzlich authentischen Bild. Trotzdem sind die Aufzeichnungen eine wesentliche Quelle zum Freundeskreis Webers in Berlin; Webers musikalische Darbietungen bei geselligen Zusammenkünften sind nirgends sonst ähnlich ausführlich und eindrücklich beschrieben, ebenso die Wirkung seines Klavierspiels auf das Publikum.
Entstehung
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Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Bartlitz, Eveline; Ziegler, Frank
Überlieferung
Themenkommentare
Textkonstitution
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Einzelstellenerläuterung
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„… ihn auf die Sing-Akademie geführt“Den ersten Besuch der Singakademie hielt Weber am 25. Februar 1812 im Tagebuch fest; Flemming wird dort erstmals am 10. März 1812 genannt (allerdings ohne das von Lichtenstein genannte Schreiben). Die persönliche Bekanntschaft mit Lichtenstein ist aber auch in Webers Tagebuch mit Mai (genauer: 14. Mai) 1812 datiert, freilich nicht auf den von Lichtenstein beschriebenen Abend bezogen.
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„… ihm bei auf Flemmings Zimmer“F. Flemming wohnte Krausenstr. 36.
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„… Abends bei Jordan-Friedel in Pankow“Hier könnte Webers Sonntagsausflug nach Pankow am 21. Juni 1812 gemeint sein, zu dem er im Tagebuch notierte: „ich spielte viel und wirklich gut. ich kann mich gar nicht errinnern so disponirt gewesen zu sein. so daß ich selbst zufrieden war.“ Allerdings notiert Weber, bei P. A. Jordan eingeladen gewesen zu sein, nicht bei P. J. Jordan; hier könnte ein Irrtum Lichtensteins vorliegen.
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„… Jüngling hofft des Greises Ziel“Joseph Haydn, Betrachtung des Todes für STB, Text von Christian Fürchtegott Gellert (Hob. XXVb.3).
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„… mehrsten auf sich selbst) davonging“Der geschilderte Abend ist mit Webers Tagenuchnotizen zum Musizierem beim Fürsten nicht in Einklang zu bringen. Lichtensteins Terminierung-Konstellation (Auftritt beim Fürsten wenige Tage nach dem oben geschilderten Pankow-Ausflug) trifft im Jahr 1812 nur einmal zu: Im Tagebuch sind am 7. und 21. Juni die ersten beiden Fahrten nach Pankow notiert, die letzten beiden Besuche beim Fürsten Radziwiłł in diesem Jahr am 9. und 22. Juni. Am 9. Juni bewertete Weber selbst positiv sein Klavierspiel (Klavier-Quartett, nicht Phantasie) positiv, am 22. Juni ist gar kein musikalischer Beitrag Webers erwähnt.
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„… unter den Linden (N. 72)“Unter der angegebenen Adresse ist zu Lebzeiten Webers kein Gasthaus nachweisbar.
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„… ward ihm ein Abschiedsfest veranstaltet“Vgl. auch Webers Tagebuchnotizen.
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„… des Justiz-Commissarius Hellwig (Brüderstraße 16)“Laut Berliner Adressbuch für 1812 (S. 93 und 383) wohnte C. Hellwig Brüderstraße 11.
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„… , L Hellwig und Müller“Eventuell Carl Friedrich Müller.
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„… der großen Sonate in As“Weber spielte erstmals komplett seine Sonate in C-Dur.
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„… Op. 30, 1815 mit herausgekommen“Das Liederheft op. 30 erschien noch im Dezember 1814.
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„… was sich auch hören läßt“Dieser Überlieferung Lichtensteins steht Webers eigene Tagebuchnotiz entgegen, dass er das Lied erst am 29. Januar 1813 komponierte.
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„… samt der Abschiedsrede beiheften lasse“Das Abschieds-Lied an Carl Maria von Weber „Viel Weber giebts in unserm Land“, Abschrift beiliegend.
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„… 1817 von Prag abgegangen war“Weber wohnte bei Lichtenstein in der Universität im August/September 1814 sowie (nach dem Abgang vom Prager Ständetheater) von Oktober 1816 bis Januar 1817.
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„… engen Freundes-Kreise bei uns gefeiert“Vgl. die Tagebuchnotiz vom 19. November 1816.
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„… führte sie bald darauf heim“Eheschließung am 4. November 1817.
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„… bei ihm in Dresden zu“Dresden-Besuch vom 10. bis 21. September 1821.